Mit Toten spielt man nicht

Spanien Aznars Volkspartei wurde für ihre Lügen bestraft

Der Tod von 200 Menschen war den spanischen Rechtskonservativen gerade gut genug für eine letzte große Wahlkampf-Mobilisierung. Da wurde wissentlich gelogen und die Bevölkerung aufgeheizt. Als Folge dieses Spektakels starben am Samstag fast unbeachtet von den internationalen Medien noch zwei weitere Menschen. Im Pamplona erschoss ein Polizist einen Bäcker, der sich geweigert hatte, ein Anti-ETA-Plakat in seinem Laden aufzuhängen. Und bei einer Protestkundgebung gegen diesen Mord kam in der baskischen Kleinstadt Hernani auch noch eine 58-jährige Frau durch Gummigeschosse der Regionalpolizei ums Leben.

Dabei wusste die Aznar-Regierung schon wenige Stunden nach den Anschlägen: das Massaker ging nicht auf das Konto der ETA. Kurz nach den Bombendetonationen hatte Arnaldo Otegi, Sprecher der verbotenen Linkskoalition Batasuna erklärt, man verurteile das Attentat und solidarisiere sich mit den Opfern. Die PP-Regierung nannte das "erbärmlich", was Journalisten eigentlich zu Nachfragen hätte veranlassen müssen. Das Batasuna-Verbot 2002 fußte nämlich im Wesentlichen darauf, dass die Koalition sich nicht von Anschlägen der ETA distanzierte und deswegen als deren politischer Arm betrachtet wurde. Verhielt sich Batasuna nun anders, blieben nur zwei Erklärungen: Entweder ging man erstmals auf Abstand zur ETA oder die hatte tatsächlich nichts mit der Sache zu tun.

Doch konnte nicht sein, was nicht sein durfte. Auf lauter werdende Forderungen nach umfassender Aufklärung reagierte die Aznar-Regierung mit der Anweisung an die diplomatischen Missionen, unbedingt an der ETA-Version festzuhalten. Dabei ging es ihr nicht nur darum, die umstrittene Beteiligung Spaniens am Irak-Krieg aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Die PP verfolgte auch langfristige politische Ziele. Die ETA ist zwar auch im Baskenland mittlerweile weitgehend isoliert, doch ihre Hauptforderungen - Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts und Einberufung eines Referendums - werden heute von mehr Bürgern des Baskenlands (und Kataloniens) geteilt als zu Beginn der Amtszeit von Premier Aznar.

So verwandelte die konservative Regierung die Trauerkundgebungen im ganzen Land in zentralistische Großdemonstrationen. "Mit den Opfern - für die Verfassung - gegen den Terror" lautete das Motto. Auch 27 Jahre nach Francos Tod ist die Verfassung Spaniens nämlich durchaus umstritten. Aus Sicht der Regionen repräsentiert sie die Kontinuität des Franquismus. Die alten Eliten sorgten nach dem Tod des Diktators 1975 dafür, dass die Armee in der Konstitution als Garant von Ordnung und nationaler Einheit verankert blieb. Eine unverhohlene Drohung, die das Verhältnis zwischen den Regionalregierungen und Madrid bis heute prägt.

Dass eine Mehrheit der Spanier die Manöver Aznars als Betrug oder schlechtes Krisenmanagement erkannte, ist das einzig Erfreuliche an den Ereignissen der vergangenen Tage. Trotz des Schocks hat sich die Bevölkerung nicht blind für die Interessen der Volkspartei mobilisieren lassen. Ob das Wahlergebnis allerdings einen wirklichen Politikwechsel bewirkt, ist nicht sicher. Schon einmal, 1981 unter Felipe González, hatte die PSOE eine antimilitaristische Wende und postfranquistische Demokratisierung versprochen. Es folgten der NATO-Beitritt und der Aufbau der GAL-Todesschwadronen. Wird also Zapatero tatsächlich gegen den Druck aus Washington die spanischen Soldaten aus dem Irak abziehen?

Davon abgesehen, die entscheidende Frage bleibt: wer steckt hinter dem Terror? Auch der berechtigte Hinweis, dass es in Europa derartige Anschläge bereits mehrmals gegeben hat und zwar mit rechtsterroristischem beziehungsweise geheimdienstlichem Hintergrund - 1969 in Mailand, 1974 auf den Italicus-Zug oder 1980 auf den Bahnhof Bologna -, kann das Massaker von Madrid nicht erklären. Den Law-and-Order-Befürwortern mag ein derartiger Terrorismus zwar in einer Hinsicht zupass kommen, da er neue Sicherheitsgesetze ermöglicht, aber anders als in den Jahren der sogenannten "Strategie der Spannung" hat heute niemand in Europa ein Interesse an einer derart umfassenden Verunsicherung von Gesellschaft und Ökonomie. So bleibt das beunruhigende Gefühl, einem Angreifer ausgesetzt zu sein, der keiner nachvollziehbaren politischen Logik zu folgen scheint.


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