Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Merkel,
wir als deutsche Akademikerinnen und Akademiker mit und ohne Migrationshintergrund, jedoch mit
einem besonderen Interesse an einer fortschrittlichen, friedvollen und demokratischen Türkei sind
angesichts Ihres bevorstehenden Türkei-Besuchs am kommenden Sonntag besorgt. Es ist uns ein
Anliegen Ihnen unsere Sorgen in einem offenen Brief mitzuteilen.
Die Anschläge auf der Friedenskundgebung in Ankara haben nicht nur die Türkei, sondern die
gesamte internationale Staatengemeinschaft erschüttert. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir Ihre
Entscheidung eines zeitnahen Kondolenzbesuchs in Ankara. In Anbetracht der innenpolitischen
Situation in der Türkei empfinden wir jedoch die Wahl der Gesprächspartner als unglücklich und
sorgen uns um die potentiellen Inhalte der Gespräche.
Zunächst möchten wir Sie höflichst darauf aufmerksam machen, dass ihr Ansprechpartner für
politische Angelegenheiten nicht der auf repräsentative Aufgaben beschränkte Staatspräsident
Recep Tayyip Erdoğan sein kann, sondern ihr türkischer Pendant, nämlich der Regierungschef Ahmet
Davutoğlu. Der Staatspräsident ist qua Verfassung zu einer politischen Neutralität verpflichtet – auch
Erdoğan. Seit seiner Wahl erlebt die Türkei jedoch einen parteiischen Präsidenten, der sich willkürlich
über Verfassungsbestimmungen hinwegsetzt. Es wäre sehr bedauernswert, wenn Sie als deutsche
Bundeskanzlerin diese höchstumstrittene Erdoğan‘sche Lesart der türkischen Verfassung
legitimierten. Zudem können wir nur hoffen, dass Sie sich nicht dazu hinreißen lassen, dem
Staatspräsidenten einen Besuch in seinem Palast abzustatten, dessen illegaler Bau höchstrichterlich
bestätigt wurde.
Die Türkische Republik besteht nicht nur aus Regierungsverantwortlichen, sondern auch aus einer
bunten und lebendigen Opposition. Ebenjene Opposition war Ziel des verheerenden Anschlags in
Ankara. Zu der Friedenskundgebung hatten die Gewerkschaften und Berufsverbände aufgerufen.
Dem Aufruf waren neben der HDP und CHP auch zahlreiche demokratische Parteien und
Organisationen aus der Türkei gefolgt. Zum jetzigen Zeitpunkt kann niemand die Verantwortlichen
benennen, es ist jedoch klar, dass (1) die „Demonstration für Demokratie und Frieden“ gegen die
Politik der AKP-Regierung gerichtet war und, dass (2) die türkische Regierung versagt hat,
Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, was angesichts der sonstigen massiven Sicherheitsvorkehrungen
bei AKP-Veranstaltungen Fragen aufwirft. Dementsprechend müssten die Adressaten Ihres
Kondolenzbesuchs an erster Stelle die Opfer des Anschlags sein und nicht diejenigen, die es nicht zu
verhindern wussten.
Des Weiteren fürchten wir, dass der Besuch die türkische Regierung dazu verleiten könnte, die die EU
beschäftigende Flüchtlingsdebatte für ihre eigenen innenpolitischen Zwecke zu instrumentalisieren.
Die türkische Regierung wird sich ihrer strategischen Lage bewusst sein, weswegen wir Sie
ausdrücklich dazu auffordern, auf die sich verschlechternde Situation der Menschenrechte und die
friedliche Lösung des Kurdenkonfliktes in der Türkei hinzuweisen.
Eine nachhaltige Lösung der Flüchtlingsproblematik kann nur erfolgreich sein, wenn eine politische
Lösung des innertürkischen Konflikts mit den Kurden gefunden wird. Vor dem Hintergrund der
Aufkündigung des Friedensprozesses seitens der Regierung, wäre es falsch von der Türkei als ein
„sicheres Herkunftsland” zu sprechen, insbesondere da in Städten mit kurdischer
Bevölkerungsmehrheit bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen, wie es die neuntägige Belagerung
der Stadt Cizre auf erschütternde Weise darstellte. Eine politische Lösung der Kurdenfrage würde
nicht nur einen erheblichen Demokratisierungseffekt auf die Türkei haben, sondern auch eine
Stabilisierung der gesamten Region fördern.
Vor diesem Hintergrund wünschen wir uns eine Bundeskanzlerin, die sich mutig, vehement und
kompromisslos in Gesprächen mit der Regierung und der Opposition für die Menschenrechte in der
Türkei, für eine Wiederaufnahme des Friedensprozesses und für die Aufklärung der Anschlagsserie
ausspricht. Nachdrücklich appellieren wir diese Punkte nicht als Gegenstand einer wie auch immer
gearteten Verhandlungsmasse im Gegenzug zu einer engeren Kooperation der Türkei in der
Flüchtlingsfrage aufzugeben. Aufgrund der sich immer zuspitzenden Lage der Türkei, die sich in
bürgerkriegsähnliche Zustände entwickeln könnte, erhoffen wir, dass Sie unseren Bedenken
bezüglich der Signalwirkung ihres Türkeibesuchs Gehör schenken.
Kommentare 7
Auch wenn in diesem offenen Brief an die Bundeskanzlerin vieles richtig ist, ist sein Grundtenor und auch sein Ziel eher eine offene Unterstützung der PKK-HDP-Positionen. Das ist bei Frau Burc wegen ihrer Nähe zur PKK auch nicht verwunderlich. Allein ihre Feststellung, dass Öcalan "Neben seiner Rolle als Führungsfigur des kurdischen Volkes entwickelt er auch Lösungsvorschläge für eine Demokratisierung der gesamten Türkei und Region", zeigt wessen Gesiteskind sie ist.
Anders sind die Verhältnisse bei Herrn Tokatli. Er hat zu PKK-HDP eher eine diztanzierte, eine obektivere Haltung und nennt den Vorsitzenden der HDP einen "„kurdischen Nationalisten“ und einen Wendehals, weil er die Geziproteste, wie Erdogan auch, als einen Putschversuch bezeichnete.
Wichtig ist, dass die Bundeskanzlerin erkennt, dass die Türkei zwei Wochen vor den Wahlen eine Entspannung braucht und keine Erhärtung der Fronten. Wenn sie das den beiden Lagern in vertraulichen Gesprächen und nicht öffentlich vermitteln kann, dann wird ihr Besuch sicherlich ein Erfolg.
Wenn Die Frau Merkel jetzt noch einen Schmuh mit der Türkei machen will, na dann Gnade uns Gott.
Auf der Suche nach Protestaktionen bzw. Demonstrationen gegen den morgigen Besuch der Bundeskanzlerin in der Türkei, bin ich auf Ihren offenen Brief gestoßen. Auch wenn ich den Duktus Ihres Briefes nicht glücklich gewählt finde, schließe ich mich voll und ganz Ihren Überlegungen an, die es zu berücksichtigen gilt und die die symbolische Be-Deutung des Besuchs gerade in der gegenwärtigen Situation hervorheben. Ich danke Ihnen für die Mühe, die klaren Worte, die hoffentlich möglichst viele Lesende erreichen.
Übrigens, Herr Eren, ich kann in Ihrem Kommentar den Verweis auf die politische Gesinnung von Frau Burç nicht ganz einordnen. Vielleicht ist Ihnen ja nicht bekannt, dass nach unserem Grundgesetzt (§ 3 (3)) unterschiedliche politische Anschauungen zu respektieren sind? Denn gegen den Inhalt, die Argumente des Briefes -und darum sollte es gehen- scheinen Sie ja nichts einzuwenden zu haben.
Ebenso wenig nachvollziehbar erscheint mir ihr Argument, dass der Besuch der Kanzlerin zur Entspannung der Verhältnisse in der Türkei führen könne. Inwiefern kann hierzu beigetragen werden, wenn bei den gegenwärtig bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen in der Türkei nun aus innenpolitischem Kalkül darüber diskutiert werden sollte, die Türkei als sicheres Herkunftsland anzuerkennen? Wird der Präsident der Türkei hofiert, wie heute im Spiegel festgestellt, und wird auf seine Forderungen für eine Kooperation eingegangen, dann dürfte das höchstens zu seiner Entspannung führen.
Mich würde mal interessieren, wie Sie das Phänomen der offenen Grenzen zwischen Türkei & Syrien erklären. In vorderster Front betrifft es terroristische Gruppen wie z.B. Al-Nusra _ die mutmaßlich für den Giftgasanschlag in Ghouta verantwortlich ist, Dann ist da noch der IS, der sich tw, direkt durch den syrischen Ölraub finanziert, abgewickelt über den Bezirk Ceyhan in der Türkei für 30 $ per Barrel . Wer das Öl dort kauft ist dann auch eine Frage. Die andere ist, ob Erdogan & seine Regierungs-Mannschaft von alldem nichts weiß _ was ich nicht vermute _ ,dann darf die nächste Frage sein, ob oder wie sie ihr Land regieren.
Mein Verweis darauf, wer die beiden Autoren des Beitrages sind, sollte hauptsächlich Ihnen und den anderen Lesern ermöglichen, in dem offenen Brief erhobenen Anschuldigungen gegen die türkische Regierung und die Erwartungen an Frau Merkel richtig einzuordnen und die von den Autoren bewusst oder unbewusst suggerierte Neutralität (Universität Bonn) in Frage zu stellen. Sie hätten bestimmt nichts dagegen, wenn ich den Verfasser eines Beitrages, in dem ein Produkt gelobt und empfohlen wird, als ein Verkäufer der Firma enttarnte, die das Produkt herstellt. Oder?
Wir alle lesen tagtäglich zahlreiche Berichte, Beiträge und Analysen und müssen diese einordnen. Das können wir nicht bzw. ordnen sie falsch ein, wenn wir nicht wissen, wer diese Texte schreibt und welche Interessen er/sie verfolgt. Es geht also nicht um die Gesinnung von Frau Burc , solange sie geltende Gesetze nicht verletzt. Dass meine Antwort Sie dazu verleitet, das GG mit einem Fragezeichen an mich zu zitieren, halte ich reine Agitation.
In meiner Antwort plädiere ich dafür, dass die Bundeskanzlerin sich bemüht, die gereizte Stimmung in der Türkei etwas zu entspannen. Ich sage nicht, dass eine Entspannung eintreten wird, weil Frau Merkel nach Istanbul reist. Also, richtig lesen, verstehen und dann antworten und kritisieren.
Falls ihre Frage die allseits behauptete Unterstützung des IS durch die türkische Regierung beeinhaltet, kann ich diese Behauptung weder bestätigen, noch bestreiten. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass der IS in der Türkei Terroranschläge ausübt, die Vertreter der Regierung bedroht und alles möglich unternimmt, damit in der Türkei, wie im Übrigen die PKK auch - Chaos herrscht. Deswegen scheint es mir eine direkte oder indirekte Zusammenarbeit zwischen der PKK und IS naheliegender zu sein, als eine Zusammenarbeit der türkischen Regierung mit dem IS.
Kontrolliert denn die PKK vollumfänglich die türkisch-syrische Grenze? Fällt schwer, das zu vermitteln oder zu glauben.
Was ist denn mit der Al-Nusra, die offensichtlich zwischen den Grenzen ein & ausgehen kann. Auch hier schwerlich zu glauben, dass die türkische Grenzwache derart machtlos ist, wenn sie denn nicht gewollt ist. Welche Verbindungen gibt es zwischen Al-Nusra & der IS?
Ist es denn erwiesen, dass die Terroranschläge seitens der IS erfolgten? Welche Indizien sprechen für eine Zusammenarbeit zwischen PKK & IS?
Fragen über Fragen _ ich erlaube mir nicht, Gerüchte den wahren Gegebenheiten vorwegzunehmen. In diesem irren Machtszenario ist alles denkbar _ eben auch, dass Erdogan & seine Regierungscrew alles andere als friedliebende, demokratische Moslems sind.