Zu unbestimmt

Polizei Was darf die Polizei eigentlich? Mit den Änderungen im Polizeigesetz Baden-Württemberg weiß das niemand mehr so ganz genau

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Polizisten ist Stuttgart
Polizisten ist Stuttgart

Foto: Thomas Kienzle/Afp/Getty Images

Unklare Eingriffsvoraussetzungen, fehlende Definitionen – die Normen des neuen Polizeigesetzes Baden-Württemberg führen das grundrechtliche Bestimmtheitsgebot ad absurdum. Während noch im Vorfeld des Gesetzesentwurfs der Landesregierung (Bündnis90/DIE GRÜNEN und CDU) laute Stimmen gegen weitere Verschärfungen im Polizeirecht zu hören waren, blieb der Beschluss des Gesetzes Ende September 2020 vom Landtag in Stuttgart weitgehend ohne Kritik.

Daher hier im Überblick: Warum bedürfen die Änderungen einer genauen Betrachtung?

Trend: Verschärfungen der Polizeigesetze

Die Polizei übt das staatliche Gewaltmonopol aus und greift damit oft tief in die Grundrechte der betroffenen Personen ein. Nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes (kein Handeln ohne Gesetz) bedarf sie hierfür einer gesetzlich normierten Eingriffsermächtigung - die Polizeigesetze der Länder. Diese Polizeigesetze wurden in den letzten Jahren massiv verschärft, zuletzt das Polizeigesetz Baden-Württemberg.

Nach der Einführung von Staatstrojanern, der Überwachung öffentlicher Räume und der Ausstattung der Polizei mit Explosivmitteln im Rahmen der Verschärfung des baden-württembergischen Polizeigesetzes im November 2017 soll mit der Novelle vom September 2020 neben der Umsetzung der EU-Datenschutz-Richtlinie für Polizei und Justiz (EU 2016/680) und der Urteile des Bundesverfassungsgerichts (zum Bundeskriminalamtgesetz (1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09) und zur automatischen Kennzeichenerfassung (1 BvR 2795/09, 1 BvR 3187/10, 1 BvR 142/15)) laut Zielsetzung der Landesregierung eine „weitere Effektivierung polizeilicher Befugnisnormen“ erfolgen (Drucksache 16/8484, S. 1). „Mit dem neuen Polizeigesetz machen wir Baden-Württemberg noch sicherer.“, so der stellvertretende Ministerpräsident und Innenminister Thomas Strobl.

Bedenklich im Rahmen der Verschärfung der Polizeigesetze ist insbesondere die zeitliche Vorverlagerung polizeilicher Eingriffsnormen. Während die Polizei zuvor erst bei einer „konkreten Gefahr“ einschreiten durfte, kann sie jetzt oftmals schon in der Annahme, dass sich irgendwann einmal eine gefährliche Situation entwickelt, Maßnahmen ergreifen. Die einfache Formel der Verschärfungen ist also: Früher und mehr. Die Polizei soll im Bereich der Gefahrenabwehr früher eingreifen und gleichzeitig mit einem breiteren Überwachungs,- und Waffenarsenal ausgestattet werden.

Unklare Tatbestände und mehr Eingriffsbefugnis

Der Gesetzesbeschluss des Landtags ist sehr umfangreich, weshalb hier nur ein grober Überblick über die bedenklichen Normen gegeben werden kann.

Zunächst ist die Unbestimmtheit der Rechtsgrundlage zur Personenfeststellung bei öffentlichen Veranstaltungen und Ansammlungen (§ 27 Abs. 1 Nr. 2 PolG-BW) und der Durchsuchung von Personen (§ 34 Abs. 1 Nr. 3 PolG-BW) anzuführen: Danach kann die Polizei die Identität einer Person feststellen, „wenn sie bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Veranstaltungen und Versammlungen angetroffen wird, die ein besonderes Gefährdungsrisiko […] aufweisen […]“. Zwar wird an anderer Stelle definiert, wann ein solches Gefährdungsrisiko vorliegt (§ 44 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 PolG-BW), nämlich bei einer „aktuellen Gefährdungsanalyse“ und Bedrohung von terroristischen Anschlägen (Nr. 1) oder aber bei wenn erfahrungsgemäß eine „erheblicher[r] Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ entstehen kann (Nr. 2). Hierbei bleibt jedoch offen, wie zum einen für Bürger*innen ersichtlich sein soll, wann eine Veranstaltung von einer solchen Gefährdungsanalyse erfasst ist und zum anderen wie eine entsprechende gerichtliche Kontrolle dieser höchst vagen Voraussetzung erfolgen soll. Diese Vorverlagerung der polizeilichen Eingriffsbefugnis in den Bereich einer abstrakten Gefährdung ist nicht nur bei der Durchsuchung von Personen, sondern auch im Bereich der vermeintlich harmlosen Personenfeststellung bedenklich: Eine solche stellt immerhin einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und darüber hinaus Einfallstor für rassistische Kontrollstrukturen dar. Es hilft auch nicht, dass hierbei „in besonderem Maße“ der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geachtet werden soll. Dieser ist ohnehin immer zu beachten.

Weiterhin ist die Ausweitung des Einsatzes von Bodycams in Wohnungen (§ 44 Abs. 5 S. 2 PolG-BW) in verfassungsrechtlicher Hinsicht problematisch. Ein solcher Einsatz von Bodycams bedürfte wohl – außer bei Gefahr im Verzug – der vorherigen richterlichen Anordnung, um den grundrechtlichen Voraussetzungen von Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) gerecht zu werden. Die Effektivität und Angemessenheit des Bodycam-Einsatzes sei hierbei dahingestellt.

Zuletzt verfehlt der Landesgesetzgeber die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an eine reduzierte Wahrscheinlichkeitsprognose, indem er den Einsatz heimlicher Überwachungsmaßnahmen bereits im Vorfeld einer konkreten Gefahr ermöglicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 PolG-BW). Während das Verfassungsgericht eine solche Vorverlagerung der Eingriffsbefugnis lediglich im Bereich von überragend wichtigen Rechtsgütern (insbesondere Leib, Leben, Freiheit der Person) oder bei terroristischen Straftaten für möglich erachtete, lässt das neue PolG eine solche differenzierte Betrachtung vermissen.

Grundrechtliches Bestimmtheitsgebot

Eine Norm ist ausreichend bestimmt, wenn sich aus Wortlaut, Zweck und Zusammenhang objektive Kriterien gewinnen lassen, die Behördenhandeln vorhersehbar machen und Willkür ausschließen. Der Gesetzgeber kann zwar unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden, wenn sie durch Auslegung bestimmbar sind. Die neuen Normen des Polizeigesetzes sind aber so unscharf formuliert, dass selbst an die Auslegung von Rechtsnormen gewohnte Jurist*innen an ihre Grenzen kommen. Dies führt zu extremer Rechtsunsicherheit für Bürger*innen, erschwerter gerichtlicher Kontrolle und damit nicht zuletzt zu einem flexiblen Eingriffs,- und Auslegungsspielraum für die Polizei.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Rebecca Militz

Themen rund um Recht und gegen rechts

Rebecca Militz

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