Aufbruch, ja bitte!

Protest Vertreterinnen der „Wir haben es satt!“-Bewegung zeichnen ein düsteres Bild der deutschen Agrarpolitik. Wann wird umweltpolitisch endlich umgedacht?
Christian Schmidt – das Gesicht einer Agrarpolitik, die so nicht mehr weitergehen kann
Christian Schmidt – das Gesicht einer Agrarpolitik, die so nicht mehr weitergehen kann

Foto: Emmanuel Dunand/AFP/Getty Images

Der Grundtenor ist klar: So kann es nicht weitergehen. Die Unzufriedenheit und Besorgnis der Bauernschaft, Experten und Unternehmerinnen hinsichtlich des bisherigen Kurses der Landwirtschaftspolitik ist unüberhörbar. Daran ändert auch das Versprechen im Sondierungspapier von Union und SPD nichts, den „Einsatz von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln deutlich einschränken“ zu wollen. Zu vage formuliert ist die Ankündigung, zu berechnend und vor allem zu unglaubwürdig das Vorhaben. Jochen Fritz, Sprecher der „Wir haben es satt!“-Bewegung, bezichtigt die schwarz-rote Koalition der Beruhigung der Bevölkerung durch sich wiederholende „leere Versprechungen“, um von der Fehlbesetzung des Landwirtschaftministerpostens mit Christian Schmidt (CSU) in den vergangen vier Jahren abzulenken. Die gebetsmühlenartige Umwelt- und Landwirtschaftspolitik des „Weiter so“ hat einen Aufbruch bitter nötig.

Einem Aufbruch, der seinem Namen gerecht wird, ist jedoch nicht mit einer diffusen Ankündigung der Koalitionäre Genüge getan. Zur Einhaltung der globalen Nachhaltigkeitsziele bis 2030 bedarf es vielmehr konkreter Umsetzungsstrategien vonseiten der Regierung. „Wir fordern verbindliche Zeitpläne für Glyphosat-Ausstieg und Lebensmittel-Kennzeichnung und wir brauchen echte Unterstützung für Tiere, Umwelt und Bauernhöfe“, insistierte der Sprecher der "Wir haben es satt!"-Bündnisses, das an diesem Samstag zur Großdemonstration in Berlin aufruft, am Montagmorgen. Unmut gegenüber Landwirtschaftsminister Schmidt äußerte auch die Investigativ-Journalistin Marie-Monique Robin, die sich mit der Langzeitwirkung des Totalherbizids Glyphosat auseinandersetzt: „Glyphosat greift Böden, Pflanzen, Tiere und Menschen an. Es ist eines der giftigsten Produkte, das die Menschheit je erfunden hat, und muss konsequent verboten werden.“ Die vom EU-Rat entschiedene Verlängerung der Glyphosat-Zulassung – von Robin als „illegale Entscheidung“ kritisiert – spreche für eine Missachtung des Vorsorgeprinzips, welches denkbare Schäden für Mensch und Natur im Voraus hätte verhindern können. Doch wie soll das umweltpolitische Umdenken aussehen?

Jan Wittenberg von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft wirtschaftet seit 2010 ohne Glyphosat und andere Pestizide. Er diagnostiziert eine „größere Vielfalt auf dem Acker“ ohne Monokulturen als Rezept für intelligenten Ackerbau zur Erlangung der Unabhängigkeit von der konzerngesteuerten Agrarindustrie. Für eine gelungene Umsetzung glyphosatfreien Ackerbaus mit stabilen Erträgen, den ein Großteil der Bevölkerung fordert, müsste die Politik anfangen, für und nicht gegen den Pestizid-Ausstieg konventioneller landwirtschaftlicher Betriebe zu arbeiten. Das setzt ein „faires Umschichten der Agrarsubventionen“ und die Erzeugung umweltpolitischer Anreize voraus. Wird dies nicht umgesetzt, verlieren besonders ländliche Regionen durch den Wegfall mittlerer und kleiner bäuerlicher Betriebe an Struktur oder geben sich überholten „Weiter so“-Mantras hin. Die Konsequenz beschreibt Wittenberg so prägnant wie verheerend: „Wenn wir nicht lernen, mit der Natur zusammenzuarbeiten, sondern weiterhin gegen sie, sind unsere Tage auf dieser Erde gezählt.“

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