Kaiserliches Patentamt" steht auf dem Dokument. Es ist die Patentschrift Nr. 235421, die seit dem 13. Oktober 1908 das Verfahren zur synthetischen Darstellung von Ammoniak aus den Elementen schützt. Entwickelt hat das Verfahren der Chemiker Fritz Haber, Inhaber des Patents ist die Badische Anilin und Soda-Fabrik (BASF).
Mit dem Patent auf die Ammoniaksynthese rückte die industrielle Herstellung von Ammoniaklösung in greifbare Nähe. Ammoniak wurde um die Jahrhundertwende dringend zur Herstellung künstlicher Düngemittel benötigt, um die Nahrungsmittelversorgung einer Bevölkerung zu sichern, die binnen eines einzigen Jahrhunderts von 25 auf 55 Millionen Menschen angestiegen war.
Ammoniak, ein kleines Molekül aus Stickstoff- und Wasserstoffatomen, ist die Basis wasserlöslicher Stickstoffverbindungen. Aus Stickstoff wiederum ernähren sich Pflanzen. Doch nur wenige Pflanzen sind in der Lage, den Stickstoff mit Hilfe von Bakterien einfach aus der Luft zu binden und zu verwerten, die meisten Arten nehmen das Element aus dem Boden über ihre Wurzeln auf.
Vogeldreck für Amerika ...
Die Initialzündung zur Forschung an künstlichen Düngemitteln hatte Justus von Liebig um 1840 geliefert. Zwar unterlag Liebig dem Irrtum, Pflanzen würden den Stickstoff generell aus der Luft aufnehmen, doch er formulierte seine Thesen von den Stoffkreisläufen in der Natur und dem Bedürfnis der Pflanzen nach Mineralien so deutlich und doch so allgemein, dass dieses Wissen Einzug in die landwirtschaftliche Forschung und Praxis nahm. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnten die Chemiker also wissenschaftlich erklären, warum Landwirte schon seit mehreren tausend Jahren tierische und menschliche Fäkalien auf den Acker streuten. Der organische Dünger fügte dem Boden Stickstoff, Phosphate und andere organische Verbindungen wieder zu, die die Ernte ihm entzog.
Guano, unter bestimmten klimatischen Bedingungen sedimentierter Vogeldung, entwickelte sich im 19. Jahrhundert zu einem wertvollen Rohstoff, so wertvoll, dass die Vereinigten Staaten 1856 ein eigenes Gesetz dafür erließen. Der Guano Islands Act besagt, dass eine Insel voller Vogeldreck, die nicht zufällig bereits einem anderen Staat gehört, automatisch zum US-amerikanischen Staatsgebiet wird, wenn ein US-Bürger sie entdeckt. Gut 50 verkotete Inseln konnte sich die Nation auf diese Weise aneignen.
Überwiegend eingeführt aus Südamerika, war Guano eine gute Ergänzung, doch teuer und ebenso wenig unbegrenzt erhältlich wie Chilesalpeter. Auf diesen beiden Stoffen basierten die ersten Stickstoffdünger. Auch ein Verfahren, über Koksgas Ammoniak zu bilden, war nicht in benötigtem Ausmaß einsetzbar.
So lief um 1900 die chemische Forschung rund um den Ammoniak auf Hochtouren, viele Wege schienen zur Bildung des kleinen Moleküls zu führen, doch eine realistische Möglichkeit zur technischen Umsetzung, geschweige denn eine effektive Produktion schien keine der Möglichkeiten zu versprechen. Fritz Haber forschte von 1905 bis 1910 an diesem Problem, und ihm gelang es, im Labor kleine Mengen Ammoniak zu gewinnen. Seine Ammoniaksynthese beruht auf einem Kreislauf, der unter hohem Druck und bei Arbeitstemperaturen zwischen 400 und 500 Grad Celsius mit Hilfe eines Katalysators Stickstoff und Wasserstoff reagieren lässt. Das dabei gebildete Ammoniak wird durch Kondensation aus dem Kreislauf entzogen.
Von Habers Idee und seinen ersten Laborversuchen über das Patent bis zur realen Umsetzung waren allerdings weitere Schritte nötig. Die Chemiker Alwin Mittasch und Carl Bosch leisteten für den Patenteigentümer, die BASF, wesentliche Vorarbeiten, damit bereits 1913 die erste Ammoniakfabrik in Oppau bei Ludwigshafen ihren Betrieb aufnehmen konnte. Die massenweise Produktion von Stickstoffdünger lief an. Hersteller-Syndikate bemühten sich, den Preisverfall durch Absprachen zu bremsen.
... und Ammoniak für den Krieg
Mit Beginn des Ersten Weltkriegs war das Deutsche Reich von den Salpeterlieferungen aus Südamerika abgeschnitten. Aus Salpeter ließ sich nicht nur Dünge herstellen, es war auch ein wesentlicher Ausgangsstoff bei der Produktion von Sprengstoff und Munition. Grundsätzlich ließ sich Salpetersäure auch auf Ammoniakbasis erzeugen - nur war die Methode dazu noch nicht genügend erforscht. So kam es in Deutschland zu erheblichen Nachschubproblemen mit Sprengstoff. Das Reich habe nach der Marneschlacht 1914 unmittelbar vor einer Katastrophe gestanden, die nur durch "pflichtschuldige äußerste Anstrengungen der chemischen Großindustrie vorerst abgewandt" werden konnte, erinnert sich der am Haber-Bosch-Verfahren beteiligte Chemiker Alwin Mittasch 1951 in einem Buch über die Geschichte der Ammoniak-Synthese. Mit Hilfe staatlicher Gelder errichtete die BASF binnen weniger Monate die Leuna-Werke bei Merseburg. Im Gegensatz zum Werk bei Oppau lag dieser Standort weit genug von allen Grenzen entfernt und schien daher weniger gefährdet. Außerdem gab es in der Nähe von Leuna Braunkohlevorkommen, mit Hilfe derer der hohe Bedarf an Energie für die Ammoniak-Produktion gedeckt werden konnte. Erst nach Ende des Krieges, so Mittasch, gelang es der "jungen Industrie, zu ihrem Ursprungsziel zurückkehrend, in den Dienst der Volksernährung zu treten".
Und es hat funktioniert. 25 Kilo mehr Getreide erntet ein Landwirt in Deutschland heute pro Kilo eingesetzten Stickstoffdüngers. Neben der chemischen Zufütterung haben Pflanzenzucht und verbesserte Anbaumethoden ihren Teil zu den stetig steigenden Erträgen beigetragen. Pro Kopf erzeugt die Landwirtschaft heute weltweit mehr Lebensmittel als je zuvor. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) rechnet in ihrem aktuellen Bericht über Düngemitteltrends mit einer weiteren globalen Steigerung der Produktion von derzeit jährlich 206,5 Millionen Tonnen auf 241 Millionen Tonnen im Erntezeitraum 2011/2012. Die größte Produktionssteigerung wird dabei der Stickstoffdünger bringen.
Doch bei allen Erfolgen: Dünger ist keinesfalls harmlos. Nährstoffarme Lebensräume und ihre Artenspektren werden durch Düngemitteleintrag verändert. Falsch eingesetzt, hinterlassen organische sowie künstliche Düngemittel hohe Konzentrationen an Nitraten in Lebensmitteln oder im Trinkwasser. Im August dieses Jahres veröffentlichten Wissenschaftler der Universität Heidelberg und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung eine Studie über die Nitratbelastung der Brunnen im Gaza-Streifen. Von 165 untersuchten Brunnen lagen nur 13 unterhalb des von der WHO empfohlenen maximalen Nitratgehaltes von 50 Milligramm pro Liter. Etwa die Hälfte der 640 in der Region untersuchten Kindern zeigte einen Mangel an roten Blutkörperchen, ein Symptom in Folge zu hoher Nitratbelastung.
Der Dünger hat so einerseits neue Umwelt- und Gesundheitsrisiken geschaffen, andererseits aber auch die verfügbaren Nahrungsmittel erhöht. Durch Kriege und Armut ungleich verteilt, gehören Hungersnöte nach wie vor zum globalen Alltag. Ungleich verteilt bleibt auch der Dünger. Nach Angaben der FAO steigt in Asien und Afrika die Menge der Stickstoff- und Phosphat-Düngerproduktion und der entsprechenden Exporte, während die USA Importeur ist und bleibt. Kaum verwunderlich also, dass der Guano Islands Act mehr als 150 Jahre später immer noch gültig ist - falls der Dünger einmal knapp wird oder es einer originellen Begründung bedarf, eine Vogelinsel in den Weltmeeren zu annektieren.
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