Frischer Kaffee riecht anders. Das Aroma der Röstung zieht oft durch die Bremer Innenstadt. Aber hier am Hafen ist der Kaffee frisch, ein ganzes Lagerhaus voll davon, Palette auf Palette, Säcke bis unter die Decke. Und es riecht nach einer Mischung aus Dörrobst und noch nicht ganz trockenem Heu. An farbigen Streifen im Gewebe der Jutesäcke und an den großen dunklen Aufdrucken ist die Herkunft der Bohnen zu erkennen. Thomas Hofmann sucht nach einer Ladung Rohkaffee aus Vietnam, grüner Streifen, Hallensektor 12, ganz hinten.
Der Kontrolleur vom Pflanzenschutzdienst begutachtet die Säcke, schaut sich besonders die Nähte an: Er sucht nach Spuren von Insekten. Hier und da sticht er einen Sack an, lässt ein paar Hand voll Bohnen in einen Eimer laufen: "Wenn zu viel aus den Säcken läuft, kann der Stapel ins Rutschen kommen, das ist dann nicht so gut."
Eine Stichprobe muss reichen. Wenn sie frei von Käfern ist, darf der Kaffee weiter verladen werden. "Eigentlich", meint Thomas Hofmann trocken, "platzen die Käfer ja in der Röstung, für den Kaffeetrinker ist es im Grunde also egal." Für die heimische Flora und Fauna ist es das nicht. Welthandel in immer größerem Ausmaß, mit immer kürzeren Transportzeiten bringt immer mehr Organismen lebend in Gebiete, die sie im Rahmen ihrer natürlichen Fortbewegungsfähigkeit nie erreicht hätten.
Tiere und Pflanzen wandern - keine Frage; und auch der Mensch hat seit Jahrtausenden Lebewesen mit sich herumgeschleppt und verbreitet. Erst mit der Entdeckung Amerikas wurde eine Lawine losgetreten: "Die Augen ermüden nicht angesichts so schöner Gewächse, so anders als die unseren", schreibt ein verträumter Christopher Columbus am 19. Oktober 1492 in sein Tagebuch. "Und außerdem glaube ich, dass es hier viele Kräuter und Bäume gibt, die in Spanien für Tinkturen und Medizin sehr viel mehr wert sind, als ich jetzt erkenne, und das bereitet mir Schmerzen."
Wandernde Flora und Fauna
Neugier und wirtschaftliches Interesse, häufig aber auch Unkenntnis und Unbedachtheit des Menschen lassen Tier- und Pflanzenarten von Kontinent zu Kontinent springen und die dortige Flora und Fauna auf den Kopf stellen. Die Folgen dieser Form der Globalisierung, die in den letzten 50 Jahren massiv zugenommen hat, sind unklar, denn manche Tiere leben unauffällig, während andere Schäden in Millionenhöhe verursachen. Manche Zierpflanze bleibt in ihrem Garten, eine andere bricht aus und überwuchert die heimische Vegetation.
So genannte Ubiquisten, Alleskönner, bescheidene Arten, die viele Umweltfaktoren tolerieren, sind die aussichtsreichsten Kandidaten für eine erfolgreiche Einbürgerung. Der erste Schritt erfolgt immer durch den Menschen: Das Mitbringen einer Pflanze vom Urlaubsort, der Import von Salat, in dem die spanische Wegschnecke reist, das Ablassen von Schiffsballastwasser, das vor einer anderen Küste in den Tank gepumpt wurde und kleine Tiere enthält. "Anschließend", so Ragnar Kinzelbach, Professor für Zoologie an der Universität Rostock und Vorsitzender der Gesellschaft für Biologische Systematik, "entfaltet sich die Population nach den allgemeinen Regeln der Populationsdynamik und Invasionsbiologie, unabhängig von ihrer Herkunft und dem Weg der Einschleppung."
In erster Linie verbreiten sich neue Arten entlang der Transportwege des Menschen und an Flussläufen. Aber was passiert zuerst? Verändert eine neue Pflanzenart Landschaft und Ökosystem, oder macht das der Mensch und ermöglicht der Pflanze dadurch das Überleben? Bekannt ist nicht einmal, wie viele Arten überhaupt neu sind und sich in Mitteleuropa bereits fest etabliert haben. Denn eingeschleppte Arten sind nicht alle groß und auffällig wie Mandarinente und japanischer Staudenknöterich: "Bei den Tieren sind für Deutschland etwa 1.350 bis 1.400 Arten registriert", schätzt Kinzelbach, "für viele Arten ist der Status aber nicht geklärt. Von anderen ist ein anthropogener Import erst seit kurzem bekannt, etwa bei der Sandklaffmuschel oder auf der iberischen Halbinsel bei der Blauelster."
Unbedacht vom Menschen ausgesetzt oder aus Farmen befreit, stromern Pelztiere wie Waschbär, Mink und Marderhund durch Mitteleuropa. Der ostasiatische Marderhund erobert seit den dreißiger Jahren vom Ural aus immer westlichere Gebiete. Ausgewildert, um die russische Pelztierfauna zu bereichern, kann er sich nun ungehindert ausbreiten, denn heute, so bemerkt Jürgen Goretzki vom Institut für Forstökologie und Walderfassung in Eberswalde, "ist Pelz nicht mehr Mode, heute stellen wir Kleidung lieber aus nicht regenerierbaren Ressourcen her und nennen das ökologisch."
Wieviel Bisam erträgt der Deich?
Mit der Wende verringerte sich in Brandenburg die Jagdintensität, aber die Strecke - also die Zahl der pro Jahr erlegten Marderhunde - explodierte. "Es gibt immer noch Leute, die glauben, das sei Evolution und regelt sich von selbst, beklagt Goretzki und diagnostiziert ein "Wendesyndrom im Naturschutzbereich". Dabei ist noch gar nicht sicher, ob und wem der Marderhund schadet. Macht er dem Fuchs Konkurrenz? Frisst er, was auch der Fuchs frisst und können die Beutetiere den doppelten Verlust ausgleichen? Stellt der Marderhund eine Gefahr für den Menschen dar, indem er zum Beispiel Tollwut und den Fuchsbandwurm verbreitet?
Für den Menschen zählen Neobiota oft nur, wenn sie als Schädlinge auftreten: Haus- und Wanderratte, ebenso wie Reblaus und Kartoffelkäfer sind ursprünglich keine Mitteleuropäer. Sie sorgen in Landwirtschaft und Gärten für große wirtschaftliche Verluste. Die Bautätigkeit von Bisamratten an Deichen und Uferböschungen kostet allein das Land Niedersachsen jährlich mehrere hundertausend Euro. Professor Gerhard Lauenstein vom Pflanzenschutzamt Weser Ems in Oldenburg hält es für unmöglich, den Bisambestand langfristig zu verkleinern: "Wir müssen über die Carrying Capacity, die Tragfähigkeit, reden." Wie viel Bisam erträgt der Deich? Der Bisam legt bei Hochwasser zusätzliche Notbauten an und schwächt damit den Schutzwall. "Beim Elbehochwasser hatte der Bisam selbst die Sohle der Zusatzdeiche sofort wieder perforiert", verdeutlicht Lauenstein das Problem.
Egal welchen Wissenschaftler man zu eingeschleppten Arten befragt, irgendwann fällt einmal der der Satz "Da besteht großer Forschungsbedarf". Politisch gewollt ist diese Forschung auch, nicht nur wegen wirtschaftlicher Verluste. Die Konvention von Rio schreibt vor, "die Einbringung gebietsfremder Arten, welche Ökosysteme, Lebensräume und Organismen gefährden, zu verhindern und diese Arten zu kontrollieren."
Doch gemäß der europäischen Pflanzenschutzrichtlinie wird nur überprüft, was bereits erforscht ist. Denn was der Pflanzenschutzdienst zum Beispiel in Bremen bisher kontrollieren kann, sind die Organismen, die nach der europäischen Pflanzenbeschauordnung erfasst sind, und diese Lebewesen haben mit Sicherheit schon bewiesen, dass sie zumindest wirtschaftliche Schäden verursachen können. Und das bedeutet: Sie sind schon da.
Wolfgang Billen vom Pflanzenschutzdienst in Lörrach beginnt alle Beispiele, die er für eingeschleppte Arten nennt, mit Sätzen "eigentlich auch ein schönes Tier" oder "auch ein hübsches Kraut". Dieser Würdigung folgt immer eine lakonische Ergänzung: "Diese Zikade hat vor einigen Jahren in Weil die komplette Sommerbepflanzung vernichtet." "Ich mag nicht sagen, womit die Maulbeerschildlaus bekämpft wird, aber ich versichere Ihnen: Nicht mit legalen Mitteln." Billen wünscht sich eine Warnliste, ähnlich der Listen, die das Washingtoner Artenschutzabkommen zur Regulierung des Handels mit bedrohten Arten aufstellt. "Unser Instrumentarium ist zur Zeit der Dampflokomotive stehen geblieben", klagt er, "wir agieren nicht, wir warten auf den neuen Schädling, und dann machen wir was."
Mangelnde Artenkenntnis
Auch Joachim Schliesske vom Institut für angewandte Botanik der Universität Hamburg stört sich an diesem Vorgehen: "Wenn man feststellt, dass ein Schädling vorhanden ist, dauert es lange, bis die Übereinstimmung in der Europäischen Union hergestellt ist. Auch Sofortmaßnahmen brauchen mehrere Wochen. Als zum Beispiel der Laubholzbockkäfer 1998 in Hamburg gefunden wurde und obwohl die Probleme mit ihm aus Amerika bekannt waren, interessierte er zunächst nicht, denn er war nicht gelistet."
Der Laubholzbockkäfer reist in billigem chinesischen Verpackungsholz um die Welt. Seine Larven entwickeln sich, egal ob in kranken oder gesunden Bäumen, innerhalb von ein bis zwei Jahren zu fünf Zentimeter langen und einen Zentimeter breiten Fressmaschinchen, die mit ihren riesigen Bohrgängen ganze Baumteile absterben lassen.
In Bayern ist man sensibel für derartige Probleme: In den letzten Jahren fand dort auch ein kleiner Schmetterling große Beachtung. Die Raupen der Miniermotte fressen sich durch das Innere der Kastanienblätter und sorgen für verfrühten Laubfall. Doch im Grunde war das Medien-Drama um die sterbenden Kastanienbestände der Biergärten verfrüht: Seit zwölf Jahren knabbert das Tier in Österreich an den Bäumen, die den Schaden bisher verkraftet zu haben scheinen.
Obwohl sich die Experten Öffentlichkeit wünschen, sind Sensationsgeschichten von Krokodilen im Rhein unbeliebt, entlarven sie doch eines der Hauptprobleme: Mangelnde Artenkenntnis. "Monsterfrösche in der Leine", titelte Bild vor einem Jahr den Fund von Riesenkaulquappen in einem Löschwasserteich in Neustadt bei Hannover. Kinder hatten Kaulquappen von bis zu zwölf Zentimeter Länge aus dem Teich gefischt, und der von den Eltern benachrichtigte Leiter der Naturschutzstation Sachsenhagen, Christian Erdmann, schlug Alarm. Er vermutete, aus den Quappen würden sich die ursprünglich aus den USA stammenden bis zu 20 Zentimeter großen gefräßigen Ochsenfrösche entwickeln.
Als sich nach Tagen ein Experte fand, der die Tiere bestimmen konnte, stellte sich heraus, das es sich beim so genannten Ochsenfrosch um eine heimische, extrem seltene Krötenart, die Knoblauchkröte, handelte. Das erwachsen eher kleine Tier leistet sich riesige Kaulquappen, um in diesem Entwicklungsstadium Fressfeinden einfach über das Maul hinaus zu wachsen. Leider hatten die Kinder der Gegend, angeheizt durch Zeitungsberichte und Panikmache, schon mehrere Tage Jagd auf die Riesenkaulquappen gemacht und Hunderte der geschützten Tiere getötet.
Die Fachleute in den Pflanzenschutzämtern sehen sich regelmäßig diesem Problem gegenüber: "Häufig haben wir Schwierigkeiten, Tiere zu bestimmen, weil uns die Literatur fehlt, die Europäische Pflanzenschutzverordnung gibt uns einiges an die Hand, doch häufig handelt es sich um schon bekannte Schädlinge", erklärt Jo Schliesske. Besonders schwierig wird es, wenn ein Schädling zum ersten Mal in Europa entdeckt wird: "Als der Laubholzbockkäfer im Hamburg ankam, hat die EU Material zur Verfügung gestellt, aber nur für diese eine Art, nicht für die ähnlich aussehenden. Die Literatur, die uns dafür zur Verfügung stand, war in chinesischer Sprache abgefasst, da konnten wir natürlich nichts damit anfangen."
Etwa fünf ein halb Millionen Container mit Waren werden allein in Hamburg pro Jahr umgeschlagen. Eine Million davon kommt aus China. Beschaupflichtig ist nur ein Teil der Waren: Kaffee, Tabak, Rohkakao. Baumwolle, Gehölze, Stecklinge zum Beispiel. "In jeder Ware kann irgendwas stecken, und wenn es ein Container voller koreanischer Hausschuhe ist", sagt Schliesske, "es kam schon vor, dass ein ganzer Heuschreckenschwarm aus einem leeren Container aus Ruanda kam und ins Hafenbecken geweht wurde."
Thomas Hofmann in Bremen, der von der Menge an Bestimmungsliteratur, die den Kollegen in Hamburg zur Verfügung steht, nur träumen kann, hält seinen Beruf für unspektakulär: "Meistens findet man nichts." Auch der vietnamesische Kaffee, der nach Heu riecht und aussieht wie Trockenerbsen, ist in Ordnung. Kräftig durchgesiebt: Nichts gefunden. Die Ware bekommt ein Pflanzengesundheitszeugnis und darf weiter verschickt und verarbeitet werden. Für dieses Mal bleibt der Kaffee käferfrei.
Unter dem Titel Brennpunkt Natur ist in Berlin seit dem 6. Juni eine Ausstellung zum Thema Biodiversität zu sehen.
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