Das Vogelgrippe-Virus wird immer gefährlicher. Aber für wen?
Vogelgrippe Als Pandemie-Auslöser wurde die Vogelgrippe vor Corona heiß gehandelt. Jetzt mutiert H5N1 munter weiter, sorgt für gekeulte Puten, verendete Schwalben, Aussterbegefahr für den Krauskopfpelikan und eine Impf-Debatte
Auf einer wegen H5N1 unter Quarantäne gestellten Hühnerfarm in Israel werden Eier zur Vernichtung aussortiert
Foto: Atef Safadi/dpa
Es ist wieder da, das aviäre Influenzavirus, Auslöser der Klassischen Geflügelpest. Es tritt im gesamten Bundesgebiet auf: ein Putenmastbetrieb im Landkreis Cuxhaven, Legehennenbetriebe im Emsland, Ostholstein und Paderborn. Nandus im Tierpark Walldorf im Rhein-Neckar-Kreis gehören ebenso zur Opferbilanz des Monats Februar wie die Hamburger Alster-Schwäne, von denen die Vogelgrippe ein Viertel dahingerafft hat. Im Landkreis Ansbach wurden am 13. März 15.000 Mastputen gekeult, weitere könnten folgen. Landkreise in Baden-Württemberg und Bayern haben Stallpflicht für Geflügel verhängt. Sperrzonen werden eingerichtet, Tierbestände geräumt, Hühner und Puten getötet, um weitere Ansteckungen zu verhindern.
Winter ist Vogelg
ist Vogelgrippe-Saison. Die Nachrichten wiederholen sich, in manchen Jahren passiert wenig, in anderen mehr. Doch nun hat die Sache eine neue Dimension. Die Tierseuche ist gekommen, um zu bleiben. Sie verschwindet nicht mehr in den Sommermonaten wie bisher. Das aktuell grassierende aviäre Influenzavirus aus der Baureihe H5N1 hat dazugelernt. Es greift auf mehr Vogelarten über als seine Vorgänger und macht auch vor Säugetieren nicht halt. Im Herbst trat es auf einer Nerzfarm in Spanien auf. Die Infektion verbreitete sich rasant. Man schloss den Betrieb und tötete die verbliebenen der ursprünglich 50.000 Nerze.Hämaglutinin und Neuraminidase: Von den Oberflächenproteinen des Influenzavirus gibt es jeweils eine ganze Reihe. Die Kombination, die das Virus trägt, ist namensgebend. Außerdem gibt es ein genetisches Feintuning mit kleinen Mutationen hier und da. Je öfter sich das Virus replizieren kann, umso eher kommt es zu solchen Veränderungen. 50.000 Nerze oder 15.000 Puten eröffnen viele Möglichkeiten.Wie sich das Virus ausbreitetBisher lief das folgendermaßen ab: Die Zugvögel aus Südostasien schleppen das Virus im Sommer nach Sibirien in die Brutgebiete, treffen dort Zugvögel aus Europa, die es im Herbst mit nach Mitteleuropa in die Überwinterungsgebiete tragen. Dazu müssen sich Brutgebiete überlappen und infizierte Vögel noch flugfähig sein. Von den Wildvögeln springt das Virus dann in die Nutzgeflügelhaltungen über – seien es die Hobby-Hühner im Garten, die an einem toten Vogel picken, oder der Putenbestand, der durch Unachtsamkeit mit Vogelkot von außen kontaminiert wird. Umfangreiche Biosicherheitsmaßnahmen in der Landwirtschaft sollen den Eintrag in die Bestände verhindern. Das klappt nicht immer.Obwohl die Ställe desinfiziert werden, ausreichend Einstreu vor jedem Durchgang eingelagert wird, Mitarbeiter Hygieneschleusen passieren und die Kleidung wechseln müssen, schafft es das Virus doch immer wieder, diese Barrieren zu überwinden. Doch wo das Virus in den Stall kommt, da kommt es auch wieder heraus. Jeder Ausbruch in der Landwirtschaft ist auch wieder ein Risiko für die Vögel in der Umgebung. Es reicht, wenn der Wind kleinste verunreinigte Partikel weiter trägt.Das ist dumm für die Wildvögel. Und noch dümmer, wenn nur ein paar Hundert Meter weiter in der Hauptwindrichtung der nächste Putenstall steht. Im Landkreis Cloppenburg in Niedersachsen gibt es pro Quadratkilometer etwa 6.500 Puten. Häufig betroffen ist zum Beispiel die Gemeinde Garrel. 2022 kam es hier im Februar, September und Dezember zu Ausbrüchen, denn dort gibt es nicht nur besonders viele Ställe, sondern diese liegen obendrein in der Einflugschneise zur Thülsfelder Talsperre, einem beliebten Zugvogelrastplatz und - winterquartier.Neue Sommergefahr für WildvögelFür die in Risikogebieten liegenden Betriebe wird es nun teuer. Geflügelherden sind über die Tierseuchenkassen der Bundesländer pflichtversichert. Muss ein Bestand aufgrund eines Seuchenausbruchs vernichtet werden, tritt die Kasse ein. Allein in Niedersachsen fielen in den Jahren 2020 bis 2023 insgesamt etwa 43 Millionen Euro an. Bisher übernahm die Europäische Union 50 Prozent der Kosten, in Zukunft sollen es nur noch 30 Prozent sein. Damit steigen die nach Risikogebieten gestaffelten Beiträge für die Tierhalter. Vor jeder Entschädigungszahlung wird außerdem ein mögliches Mitverschulden der tierbetreuenden Personen geprüft.Auch über eine Impfung wird nachgedacht. Nutzgeflügel wird routinemäßig gegen verschiedene Krankheiten geimpft, meist über das Tränkewasser. Doch mit einer Impfung gegen das aviäre Influenzavirus sind Handelsbeschränkungen verbunden, das Fleisch ist dann nicht mehr exportierbar. Eine sogenannte sterile Immunität ist mit bisherigen Impfstoffen nicht zu erreichen, eine Infektion auch in geimpften Herden kann unerkannt bleiben. Mit der Impferlaubnis tut sich die Europäische Union daher schwer.Waren Ausbrüche früher zuverlässig zum Sommer hin vorbei, ist das Virus nun so weit verändert, dass hochpathogene Varianten sich auch bei wärmerem Wetter in der Umgebung halten können. Das Wildvogel-Monitoring, mit dem das Vorkommen in der Wildvogelpopulation ganzjährig überwacht wird, belegt inzwischen über das ganze Jahr Totfunde von Vögeln, in deren Kadavern das Virus nachweisbar ist. Das Friedrich-Löffler-Institut auf der Insel Riems, Nationales Referenzlabor für das aviäre Influenzavirus, listet in der monatlich aktualisierten Risikoeinschätzung für das Vogelgrippevirus allein für den Zeitraum vom 1. Februar bis zum 6. März dieses Jahres 218 positiv getestete Wildvögel auf, doppelt so viele wie im Januar. Die Totfunde stammen aus dem ganzen Bundesgebiet. Weltweit – mit Ausnahme von Australien und der Antarktis, wo es noch nicht nachgewiesen wurde – sieht es ähnlich aus: Die aktuelle Variante von H5N1 ist so gut angepasst, dass es sich neue Vogelarten als Wirt und Transportmittel erobert hat. Möwen zum Beispiel waren, seit das Virus erforscht wird, noch nie so oft betroffen wie jetzt.Manche Arten drohen auszusterbenWenn das Virus im Sommer nicht verschwindet, trifft es auch auf Vogelpopulationen, die aus dem Süden nach Mitteleuropa kommen, um hier ihre Jungen aufzuziehen. Gerade Vogelarten, die in Kolonien brüten, erleiden durch einen Ausbruch dramatische Verluste. Im vergangenen Jahr traf es die Basstölpelkolonie auf Helgoland. Mehr als zwei Drittel der 1.500 Brutpaare verschwanden. Auf der Vogelinsel Minsener Oog vor der Küste von Wilhelmshaven zählte die Vogelwarte 1.000 tote Brandseeschwalben, auch auf der niederländischen Insel Texel verschwand ein Bestand, der einmal etwa 4.500 Tiere umfasste.Panzootie ist eine Pandemie, die nur Tiere betrifft. Doch für einige Arten kann ein Virus das Aus bedeuten. So war beispielsweise der Krauskopfpelikan bereits stark bedroht. Das Virus dezimierte im vergangenen Jahr eine der größten Brutkolonien in Griechenland von ursprünglich etwa 1.000 Tieren auf 60. Bedenklich ist außerdem, dass zu den Vogelarten, die das Virus nun erstmals befällt, auch Aasfresser gehören, darunter sogar Geier. Inzwischen tritt das Virus auch immer wieder bei Säugetieren auf.So kommt es laut Fachmagazin Emerging Infectious Diseases in Neuengland, USA, gerade zu einem Robben-Massensterben durch H5N1. Für die gilt dasselbe wie für die 50.000 pelzigen Raubtiere auf der spanischen Nerzfarm oder die circa 1.000 verendeten Mähnenrobben vor der Küste von Chile und Peru: Die Ansteckung kann von Tier zu Tier erfolgt sein oder über das Futter. Die Mähnenrobben können die Kadaver von Seevögeln gefressen haben, Nerze füttert man mit Überresten aus der Fisch- und Geflügelproduktion. Möglicherweise haben sich die Nerze auch durch die Gitterstäbe beschnüffelt, die Robben sich in Gruppen auf Sandbänken herumgelümmelt und gegenseitig infiziert. Dann wäre dem Virus ein enormer Sprung über die Artengrenze gelungen. Und da auch der Mensch ein Säugetier ist, rattert sofort das Hypothesenkarussell: wenn, dann, würde, wäre, könnte.Lange vor dem Covid-19-Ausbruch galt das aviäre Influenzavirus als heißer Kandidat für die nächste Pandemie – es wäre nicht die erste, die von einem Grippevirus ausgeht. Für die Spanische-Grippe-Pandemie von 1918 war ein solches Virus verantwortlich. Und aviäre Influenzaviren scheinen immer nur ein paar kleine Mutationen vom nächsten großen Schlag entfernt. Das Vogelgrippevirus kann auch Menschen angreifen. Bisher hat es allerdings nur Einzelfälle gegeben, zumeist bei Personen, die sehr intensiven Kontakt zu Tieren hatten. Aktuell ist das Virus vor allem für Vögel gefährlich – und zwar so sehr, dass es ganze Arten vernichten könnte.Placeholder authorbio-1
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