Auf Wilhelms Sockel

Deutschlandhaus Bei den neuesten erinnerungspolitischen Gedenkzeichen verschwimmt die Schuldfrage zusehends

Erinnerung ist Teil der Identität. Eingebettet in Geschichte gewinnen Denken, Sprache, Handeln Dimensionen, die auf den Erfahrungen vieler Vorgängergenerationen basieren, Lernprozesse begründen und vieles von dem verständlich machen, was gemeinhin als Vorurteil gehandelt wird. Schuldhaftes Verhalten ist eine eigene Kategorie, auch der übelste Täter rechtfertigt sich mit einer weniger üblen Erklärung. Man kann keine Zukunft gestalten, wenn man die Vergangenheit vergisst, sagte Frankreichs Präsident Sarkozy bei der Totenfeier für den letzten französischen Soldaten des Ersten Weltkriegs, als der jetzt 110-jährig starb. (Der so geehrte Veteran hätte lieber eine bessere Versorgung der Lebenden gehabt.) Erinnern ist Lernen. Ähnliches darf nicht mehr zugelassen werden, so das Fazit. Vorausgesetzt: Man will es.

Im Verhältnis zu Frankreich wusste man immerhin nach dem Zweiten Weltkrieg ziemlich genau, was man nicht mehr wollen sollte: Die Austragung von Differenzen mittels Krieg. Das Miteinander wurde auf mühsamen Wegen erreicht. Im Verhältnis zu den östlichen Nachbarn geht es zwar auch um ein Miteinander. Aber um was genau? Welche Schlüsse kann man ziehen, wenn Gedenkstätten anempfohlen werden, bei denen die Dimensionen Schuld und Nachdenklichkeit zumindest verwischen? Sie haben schließlich mit den Folgen des Zweiten Weltkriegs zu tun.

Die vom Bundestag jüngst beschlossenen, vorläufig mit "Flucht und Vertreibung" beziehungsweise "Deutsche Einheit" umschriebenen Vorhaben bleiben umstritten. Im Vorfeld der von den Vertriebenenverbänden forcierten "Aufarbeitung" dieser Geschichte stand die Frage, ob Deutschland sich im Verhältnis zu Polen, aber auch zu anderen Ländern der eigenen Schuld entledige und in die Rolle der Opfer schlüpfe. Nun wird als Kompromiss verkündet, Polen hätte seinen Widerstand aufgegeben. Das klingt nach Erfolg. Tatsächlich aber hat Polen jede Mitarbeit kategorisch abgelehnt. Die Übereinkunft besteht darin, dass es keine Übereinkunft gibt.

Deutschland wird seinen Erinnerungsort (ein Deutschlandhaus für 29 Millionen plus 2,4 Millionen jährlichen Unterhalts in Berlin in der Nähe des Anhalter Bahnhofs unter Oberhoheit des Deutschen Historischen Museums) allein verantworten. Das ist schon deshalb keine optimale Lösung, weil ebenso viele Menschen anderer Nationalität betroffen waren. Auch wenn heute keiner der Verantwortlichen leugnet, dass der vom faschistischen Deutschland ausgelöste Zweite Weltkrieg die Ursache war, dominiert das Leid derer, die von Osten gen Westen gedrängt wurden - oft in den Tod. Die Nachricht lautet, die Nation erinnert sich derer, die mit ihren privaten Habseligkeiten für den Raubkrieg zahlten. Nach der Flucht in die Kern"heimat" waren sie nirgends mit offenen Armen empfangen worden. Das Leid der anderen, der Nachrückenden, selbst vertriebenen Polen, Ukrainer, der geschändeten Juden, in die Armut getriebenen Russen bleibt eine Randerscheinung. Das eigene Leid schmerzt mehr.

Es wäre ein Gebot der Vernunft gewesen, für diese Vorhaben unverzichtbar eine europäische Verantwortung zu setzen, die nationale Befindlichkeiten gerade im Zusammenhang mit diesem Krieg bewertet und in einer gemeinsamen Bearbeitung daraus ein haltbares Glied europäischer Vereinigung schmiedet. Genau das geschieht nicht. Eben so wenig wie das vorgeschlagene "Freiheits- und Einheitsdenkmal" auf einen Zusammenhalt Europas von unten setzt. Erinnerte Volksbewegung als Motor der Geschichte soll nicht einmal da stattfinden, wo sie gelebt wird und ohne europäische Dimension nie erfolgreich gewesen wäre. Auf den Sockel des früheren wilhelminischen Nationaldenkmals soll es gehievt werden, eine Kontinuität national-konservativer Reichsideen suggerierend, die es so nie gegeben hat und die dem Wirken der europäischen Bürgerrechtler ins Gesicht schlägt. Zwei Gedenkvorhaben, die sich gegenseitig auf erschreckende Weise kommentieren.

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