Bauen heißt, etwas errichten, das irgendwann in Betrieb genommen wird. Ein Haus bauen, umfasst eine Frist - danach soll jemand darin wohnen. Aufbauen hingegen ist eine unendliche Geschichte. Ein Betrieb im Aufbau kann nie die Forderungen der Gewerkschaft erfüllen, weil dann zu wenig für den Aufbau da ist, sagt der Besitzer. Eine Gesellschaft, einen Staat aufzubauen, endet schon gar nicht, nichts ist irgendwann abgeschlossen, er bleibt eine ewige Baustelle. Der "Aufbau" kann nur erlahmen und dann abrupt unterbrochen werden, weil irgendeiner versehentlich oder gewaltsam dazwischenfunkt. Mit Spekulationen auf eine ungewisse Zukunft zum Beispiel. Oder schlimmer: einem Umbruch, was dann einen Neuaufbau nötig macht, und am allerschlimmsten, mit einem Krieg, irgendwo, einer Revolution. Deutsche Interessen gibt es überall. Und Aufbau.
Pünktlich zum 18. Jahrestag spricht die Bundesregierung in ihrer Einschätzung zum Stand der Einheit von mindestens 30 weiteren Jahren, die der Aufbau Ost, ebenso ein Neuaufbau nach Umbruch, in Anspruch nehmen wird. Also lebenslang "Bau auf, bau auf, bau auf, bau auf ...". Die nicht oft genug zu wiederholende Aufforderung, weiter zu machen, nicht allzu viel zu erwarten, den Mut nicht zu verlieren. Das, was man vorfindet, durch etwas, was man draufsetzen möchte, zu erweitern, manchmal auch zu verdecken, je nachdem, was der neue Bauherr wünscht oder man sich selbst ausdenkt. Das aber kann auch daneben gehen, denn nicht alles, was irgendwann steht, ist auch nützlich. Dann muss man abreißen oder eben wieder aufbrechen. Bauen an irgendwas oder irgendwem. In meiner Nachkriegsostkindheit waren die Trümmer, denen man zu Leibe rücken musste, zu sehen, in späteren Jahren war der "Aufbau" anonym, der Elan ließ nach. Die "Freie Deutsche Jugend baut auf ...", wie es im Lied weiter heißt. Aber sie war alt geworden und wollte was haben von der Mühe.
Wenn es mit dem Aufbau nicht mehr so richtig klappen will, braucht man einen Aufbruch. Ein Wort, dessen Bedeutung vom Kontext abhängt und das man auch aus der Jägersprache kennt. Aber vielleicht passt es gerade deshalb: Man schneidet dem erlegten Wild sorgfältig die besten Stücken heraus und verteilt sie an die erfolgreichen Jäger. Wer die Erfolgreichsten sind, kann natürlich umstritten sein. Dem aufgebrochenen Wild ist das gemeinhin egal. Es ist nur noch Lieferant für ein paar Kalorien. Die Kalorien werden für den kommenden Aufbau genutzt oder auch nicht, kontrollieren kann man erst dann, wenn der Erfolg den Erwartungen nicht entspricht und einer misstrauisch wird, aber dann sind die Kalorien längst verbraucht.
Der Streit um die Erfolgreichsten flammt zwar gelegentlich wieder auf, im Moment haben ein paar Minister der letzten DDR-Regierung die Nase vorn. Aber die, die das müde Wild getrieben haben, gehörten noch nie zu den Erfolgreichsten. Ihr Anteil spielt in der Regel eine geringere Rolle, sie werden mit kleineren Stücken der Beute belohnt, und es wird festgehalten, dass es sie gab. Das ist wichtig, für das, was folgt. Die Aufgaben. Aber auch dann, wenn irgendetwas - die Konjunktur nach der Vereinigung, weil man nur gerafft und nicht investiert hatte beispielsweise - lahmt und eine wichtige Gruppe von denen, die das Wild am Ende erlegten, unzufrieden ist mit den Ergebnissen des vorangegangenen Aufbruchs, wird ein neuer anempfohlen. Ex-Bundespräsident Roman Herzog hat ihn gefordert, der jetzige Amtsinhaber Horst Köhler natürlich auch. Zwar sind dann die Anteile an der Beute längst verteilt, aber man tut so, als könne man jederzeit neu vergleichbar erfolgreich sein.
Trotzdem maulten ein paar Leute rum. Sie empfanden als ungerecht, dass sie sich willig der Verteilung der Aufgaben unterworfen hatten, an ihren Platz gerückt waren und loslegen wollten, ganz im Sinne des ersten Aufbruchs. Aber da hatte sich der Inhalt des Begriffs längst gewandelt. Aufgabe umschrieb zwar noch den Bereich, in dem man arbeiten konnte, er meinte aber mehr und mehr das Loslassen. Von der alten Gewohnheit zum Beispiel, täglich in einen bestimmten Betrieb zu gehen und eine Arbeit zu tun. Im besten Fall wurde gewandert. Für einige freilich nur von Arbeitsamt zu Arbeitsamt. Kein Wunder, dass die Sozialkassen durch den Aufbau Ost angeschlagen waren. Die großen Kassen, die Banken, die legten sich aus den Übernahmen, Werksschließungen und Veräußerungen des Inventars einen schönen Vorrat zu, den sie für die Schatullen ganz anderer Leute vorrätig hielten. Es war ihnen aber noch nicht genug. Sie haben den Aufbruch verzockt.
Die Dimensionen der aktuellen Finanzkrise verlangen also was? Einen neuen Aufbruch selbstverständlich. Geleistet von den alten Treibern, sie müssen ihren Anteil ein bisschen beschneiden, das Verzockte muss wieder rein. Wie häufig Aufbau, Aufbruch, Aufgabe, Auferstehung, Aufbesserung, Aufgeld verwendet werden, sagt über den Zustand einer Gesellschaft also viel mehr, als wir uns bewusst machen. Wer mitzählt und hochrechnet, könnte daraus ablesen, wie zufrieden, wie egalitär, wie angeglichen oder unterschiedlich gesellschaftliche Gruppen, Ost und West, Migranten und lange hier Lebende miteinander umgehen. Je öfter, desto größer der Versuch, einen Beruhigungsfaktor einzufügen. Ob er wirkt, kann nicht vorausgesagt werden. Siehe 1989/90.
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