Der verweigerte Kniefall

Kommentar Egon Krenz verlässt das Gefängnis

"Wendehals", der Begriff der Jahre 1990/91 war, wie sich inzwischen herausstellte, nicht als Beschreibung eines Zustands gemeint, es war eine Aufforderung. Wer für das alte System Hosianna schrie, sollte das nun auch für das neue tun. Eilig und laut. Am besten von heute auf morgen. Wer sich weigerte - der Prozess gegen die Politbüromitglieder Kleiber, Schabowski und Krenz war in dieser Beziehung unmissverständlich -, riskierte bis zu drei Jahren Haft und mehr. "Ich bereue" oder "wie konnte ich nur" hätten gereicht, um die Richter milde zu stimmen. Was muss sich Krenz auch auf den Schutz der Grenzen eines souveränen Staates berufen und lediglich "bedauern", was dort passiert ist?

Zwar hatte gerade er Nachdenken bewiesen, als eine gewaltsame Konfrontation zwischen Regime-Gegnern und einer Gewehr bei Fuß stehenden Volksarmee im Herbst 1989 unter seiner Oberhoheit verhindert wurde und mit seiner Unterschrift die Grenzen fielen. Aber Nachdenken ist nicht das, was dem neuen System nützt. Das hat einen Anspruch auf den Kniefall. Auch vom verflossenen Staatschef. Das Urteil gegen ihn, von allen Instanzen - bis hin zum Europäischen Gerichtshof - bestätigt, stand dennoch auf tönernen Füßen: Alle Kammern begründeten die Rechtmäßigkeit anders.

Krenz´ plötzliche Entlassung, noch im Oktober war sie vom gleichen Kammergericht abgelehnt worden, ist zwar nicht das, was der Vollzugsplan vorsah - danach hätte er schon im April entlassen werden müssen -, aber immer noch ein gewollter Hinweis auf die "großzügige" Justizpraxis dieser Republik. Keine öffentliche Demütigung, bei der man nach Läusen sucht oder das Gebiss begutachtet. Man habe ihn freigelassen, nachdem der Mann nun "keine Gefahr" mehr für den neuen Staat darstelle und seine "Sozialprognose" positiv ausgefallen sei. (Ginge es um positive Sozialprognosen, müsste inzwischen ein erheblicher Teil der Republik hinter Gittern verstaut werden. Nicht wegen krimineller Energie der Betroffenen, sondern wegen der Unfähigkeit von Politikern.)

Krenz hält sich immer noch für einen "politischen Menschen" und einen "Sozialisten", seine Rolle in der Politik aber ist ausgespielt. Der letzte Akt hat immerhin eine Art erstaunter Aufmerksamkeit bei größeren Teilen des DDR-Publikums hinterlassen. Immerhin einer, der es offenbar ernst gemeint hatte, sich nicht der Verantwortung entzog, nicht winselte und Asche aufs Haupt streute, als es ans eigene Fell ging. Das Grinsen ist aus seinem Gesicht verschwunden, die Sprache immer noch hölzern und ungelenk. Die Ruhe hinter nun erlöschenden Scheinwerfern wird ihr gut tun. Und vielleicht jenen Prozess des Nachdenkens fördern, den Krenz Ende 1989 begann. Unzufrieden sind nur jene, die in der DDR - Westmedien gestützt - um Toleranz für Andersdenkende warben. Selbst an der Macht, fordern sie Härte.


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