"Wer ist besiegt? Die Siege und Niederlagen der Großkopfigen oben und der von unten fallen nämlich nicht immer zusammen, durchaus nicht." (Brecht: Mutter Courage)
Regine Hildebrandt, die Mutter Courage des Ostens, hat das Handtuch geworfen. Nicht besiegt, aber an den Rand einer Partei gedrängt, in deren Mitte sie über viele Jahre zu stehen glaubte - und im Bewusstsein der Brandenburger auch stand. Die SPD hat mit ihr auf eines ihrer Zugpferde verzichtet. Niemand kann mit Bestimmheit sagen, wo sie ohne Regine Hildebrandt stünde. Allerdings: "verzichtet" ist das falsche Wort. Das Zugpferd selbst mochte nicht mehr in einem Geschirr laufen, in dem seine Kraft benutzt, seine Vorstellungen aber ohne Einfluss auf die Richtung waren. Diejenigen, die sie nach Maßgabe ihrer Parteiführung Partner nennen sollte, hatten aus dem Hinterhalt Knüppel nach ihr geworfen, sie ganz unchristlich immer dann im Vormarsch gebremst, wenn es um die Ärmsten der Armen ging. Das hat sie nicht weggesteckt, da ist sie nachtragend.
Auf ihrer letzten Pressekonferenz als Sozialministerin, in der sie tapfer und engagiert wie je den Bericht zum Landespflegeplan bis 2005 abgab, wurde sie gefragt, ob Landeschef Manfred Stolpe sich ihr gegenüber denn loyal verhalten habe. Sie hat geantwortet: "Ich bin es auch weiterhin".
Ihre Verletzungen werden demnächst jedenfalls nicht öffentlich ausgebreitet, und aus dem Nähkästchen wird sie auch nicht plaudern, sie hat feste Prinzipien. Was nicht heißt, dass sie ohne Fehler ist. Wie lange sie sich allerdings anhören wird, ihr Rücktritt sei der "bornierten Affinität" zur PDS geschuldet, steht in den Sternen. "Ich staune über deine Wahrnehmung dieser Partei" hatte Potsdams Oberbürgermeister Platzeck zu ihr gesagt. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: die Koalition mit der CDU führt die bisherige Politik ihres Ministeriums und damit einen wesentlichen Teil ihrer politischen Biographie ad absurdum. Es ist der Rücktritt vor einer Sozialpolitik mit gebremstem Schaum. So etwa die angemessene Umschreibung dessen, was sie unabwendbar auf Brandenburg zukommen sieht. Das heißt aber auch, Regine Hildebrandt scheiterte weder an ihrem Verhältnis zur PDS, noch an den Zumutungen der CDU, sie scheiterte am Kurswechsel ihrer eigenen Partei.
Dabei verdankt die SPD ihr etwas, was im Osten besonderes Gewicht hat: die soziale Glaubwürdigkeit. Selbst wenn sie längst nicht alles von dem, was sie anschob, umsetzen konnte: Sie redete, überzeugte, drängte, gönnte sich und anderen keine Ruhe, solange noch der Schimmer einer Chance bestand. Sie konnte den Eindruck vermitteln: Anliegen, die Regine Hildebrandt vertritt, sind in guter Hand, obwohl sie die Versuche ihres Ministeriums, Polikliniken zu erhalten, sinnlose Medizininvestitionen zu vermeiden, Diabetes-Patienten in Anlehnung an die Praxis in der DDR besonders zu betreuen, schließlich sogar vor Gericht verteidigen musste. Herausgefunden hat man Nachlässigkeiten, keine Tatbestände, aber die Pläne waren hin.
Sowas muss man in der Politik in Kauf nehmen, sagte sie, daraus lernen und sich in die nächste Aufgabe stürzen. Sie stahl der PDS die Schau, alles, was von den tiefroten Genossen hätte kommen können, hatte Regine schon gesagt. Sie kannte alle Argumente für und gegen eine Entscheidung und konnte sie überzeugender vertreten als jeder andere. Überschäumendes Temperament verband sich mit Redegewandheit, der Wille, etwas durchzusetzen mit dem Mut, die Dinge unverzüglich anzugehen. Journalisten wurden unter Umständen mit in den Wagen geladen und zwischen zwei Terminen "bedient". Sie hatten ihre liebe Not, die Fragen zwischen die Antworten zu klemmen, sie sprach schnell, ahnte, wie die nächste Frage lauten würde, und versuchte, die Dinge komplex anzugehen. Alles in der für die Region typischen Mundart, deftig durchformuliert und in rasender Geschwindigkeit, zu deftig für die langgedienten Damen und Herren aus der "politischen Klasse". Sie hätten es lieber etwas zahmer - jedenfalls seit klar ist, dass Brandenburgs Sozialministerin in der eigenen Partei den Rückhalt verlor. Vor den Wahlen handelte man sie gern als mögliche Bundesministerin, nun ist sie gerade noch fürs Forum Ost brauchbar. Dort kann sie in aller Ruhe und Bescheidenheit Veränderungen anregen, entscheiden tun andere und meist so, dass der Nutzen für den Osten kaum noch zu erkennen ist.
Sicher, Regine Hildebrandt ist eine von denen, die viel zu lebendig agieren, um jeder Idee auf der Spur zu bleiben und ihr Dauerhaftigkeit zu verleihen. Sinnvoll wäre die Kombination von bewegen und beharren - davon lebt Politik ohnehin -, die muss ja nicht in einer Hand liegen. So etwas lässt sich organisieren. Wenn man es will.
Aber die neuerdings machtbewussten Sozialdemokraten bremsen Macher und Mahner in den eigenen Reihen lieber aus. Gegenwärtig ist Gerechtigkeit für sie das, was übrig bleibt, wenn die "Verpflichtungen" gegenüber der Industrie erfüllt sind.
Und die Medien ziehen mit: Handtuch werfen wird diffamiert. Was noch vor ein paar Legislaturperioden zur besten politischen Tradition zählte, zurückzutreten, wenn die Vorstellung vom Nötigen zu weit von dem, was durchsetzbar ist, abweicht, wird nun mit Hohn und Spott bedacht. Langjährige politische Feinde müssen nicht halb so viele Anfeindungen ertragen.
Widerspruch stört, Regine Hildebrandt widerspricht. Sie hat eine Meinung: Wie viele DDR-Bürger schätzt sie diesen Luxus höher als Parteidisziplin - vielleicht hat sie zuviel von den verheerenden Folgen solcher Disziplin gehört. Sie kann nicht einsehen, dass ihre Partei nicht wenigstens versucht, ein engagiertes Sozialprogramm mit eben jener Partei durchzuziehen, die ihre Pläne schon in den vergangenen Jahren unterstützte - und das war nicht die mit dem christlichen Attribut. Nicht dafür gekämpft zu haben, ist für eine Person, die die Fähigkeit zur Auseinandersetzung zu den politischen Tugenden von Politikern zählt, unverzeihlich. Wer sich den Beifall einer so geradlinigen Person verdienen will, darf nicht einfach Sprüche klopfen, er muss etwas tun. Das haben aber die Kollegen von der CDU tunlichst vermieden. Ein Segen für Brandenburg, sagt nicht nur die ehemalige Sozialministerin. Übrigens: die Kürzung der ABM-Gelder, wie sie gegenwärtig für Ostdeutschland im Gespräch ist, träfe mit Sicherheit auf ihren Protest.
Es dürfte Regine Hildebrandt schmeicheln, sich an die Seite von Oskar Lafontaine gestellt zu sehen. Er ist nicht der schlechteste Verbündete, wenn es darum geht, links als Synonym für sozialdemokratisch zu verteidigen. Der Mann aus dem westlichsten Bundesland und die Frau aus dem östlichsten treffen sich als Makler einer Politik, die den sozialen Auftrag als den zentralen für Politik überhaupt begreifen. Dass der eine ein Buch schreibt, was die andere (noch) kategorisch ausschließt, dürfte kein unüberbrückbarer Gegensatz sein.
Mit Regine Hildebrandt tritt eine Politikerin ab, die zu den ostdeutschen Originalen zählt. Ausgestattet mit den Erfahrungen einer anderen Sozialisation, an der Bürgerbewegung gewachsen, war 1989 für die Biologin der Aufbruch in eine neue Dimension. Ausgestattet mit den Idealen und Träumen derjenigen, die die Stagnation der DDR aufbrachen, wollte sie zusammenfügen, was des Zusammenfügens wert war. Für sie galt, nicht der Herkunftsort einer Idee entscheidet über deren Verwendbarkeit, sondern deren Sinnhaftigkeit. Sie machte glaubhaft, auch in der SPD können Frauen und Männer gut aufgehoben sein, die ihre Herkunft nicht an der Garderobe abgeben und in der Öffentlichkeit regelmäßig eine Entschuldigung vor ihren Geburtsort setzen. Es muss in der SPD auffallen, dass die Zahl derer, die im Osten als politisches Zukunftspersonal nachwachsen, gen Null tendiert. Nicht nur deshalb, weil zelebrierte Politikverdrossenheit überall in ist, sondern auch, weil westdeutsch dominierte Parteien lediglich Anpassung erwarten. Wer in sie eintritt, lasse alle Hoffnung auf politische Selbstverwirklichung fahren.
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