Moderne Technik garantiert technische Brillanz, für die Qualität einer Sendung bürgt sie nicht. Wird jedenfalls behauptet. Nachvollziehen kann man das kaum. Wer hat schon den Vergleich zwischen Schwarz-Weiß und Farbe, zwischen einer schnell wandernden und einer bedächtig suchenden Kamera, zwischen Moderatoren von damals und heute ständig im Kopf. Der RBB, die Sendeanstalt, bei der Günter Gaus zuletzt seine Reihe Zur Person produzierte, hat einen Film gedreht, der in dieser Hinsicht verblüfft. Er dokumentiert, wie bei dieser Gesprächssendung über Jahrzehnte hinweg fast alles identisch blieb. Ihre Hauptbestandteile - Musik, optische Präsentation, der Gesprächsstil - behaupteten sich sogar völlig unverändert. Zurückhaltend, höflich, ja verbindlich formuliert Günter Gaus seine Fragen. Immer so, dass sie ausführliche Antwort erzwingen und oft Rückzugswege für den Befragten abschneiden, besonders bei Politikern. Wer sich am Kern einer Frage vorbei mogeln will, wird bis zur Schmerzgrenze getrieben. Der Interviewer verlangt die klare Antwort.
Als Günter Gaus - über 40 Jahre nach Beginn der Reihe (die erste Sendung wurde am 10. März 1963 ausgestrahlt) - im März 2004 zum letzten Mal das Gespräch führte, war an ein Ende nicht gedacht. Aus der als Gratulation gedachten Dokumentation seines langjährigen Redakteurs Hellmuth Henneberg ist nun die Erinnerung an einen Mann geworden, der im Fernsehgenre Gespräch Maßstäbe setzte. Gaus wollte nie den gerade frisch geschmückten Ochsen durchs Dorf treiben, wie das bei heutigen Talkshows nicht selten der Fall ist, er legte Wert auf Tiefenschärfe: Seine Interviewpartner sollten sich durch ihre Eltern, die Familie, ihre Beziehung zu Literatur und Geschichte, durch das Urteil über eigene Entscheidungen entblättern.
Egon Bahr sagt: Wer sich bei ihm auf den Stuhl setzte, musste gewärtig sein, gegrillt zu werden. Das sei der Grund gewesen, warum kein Interview Willy Brandts gründlicher vorbereitet wurde. Dann aber stellte Gaus Fragen nach der Kindheit, nach Ausgrenzung und Emigration - Brandts Gesicht drückte aus, was er empfand. Langsam und leise kamen seine Antworten. Gaus sah sich zuweilen dem Vorwurf ausgesetzt, zum Verhör geladen zu haben. Tatsächlich suchte und insistierte er, um Antworten zu erhalten, die alles andere als Ausflüchte waren.
Gaus befragte erstmals im Fernsehen eine Frau: Hannah Arendt, die Analytikerin des Faschismus - er nennt sie Philosophin, sie stellt klar, die deutsche Philosophie-Elite akzeptiere sie nicht. Sie ist emanzipiert und glasklar in jedem Satz, eine Frau mit durchdringendem Verstand, Phrasen reduziert sie auf das, was sie sind, ein Mangel an Gedanken.
Der Film Erlauben Sie eine letzte Frage listet auf: Erstes sensationelles Interview mit Ludwig Erhardt. Damals schon unter dem Sendetitel Zur Person. Es folgen 250 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, angesiedelt ist die Reihe zeitweilig bei ZDF, SWR, WDR, nach der Wende zunächst beim DFF (Deutscher Fernsehfunk) in Adlershof, dann beim ORB, danach RBB.
Hellmuth Henneberg befragt für seinen Film Zeitzeugen aus den vier Jahrzehnten, Herbert Westermann, den "Erfinder" der Sendung, Hans Bentzien, der sie zum DFF holte, prominente Gesprächspartner wie Christa Wolf, Hermann Kant, Egon Bahr, Richard von Weizsäcker, Friedrich Schorlemmer, Barbara Thalheim, er verbindet diese Sequenzen mit charakteristischen Auszüge aus Zur Person: Darunter so spektakuläre Gespräche wie das mit Heiner Geißler, der im Interview den Pazifismus für Auschwitz verantwortlich macht. Gaus fragt nach, sucht eine Brücke, aber Geißler beharrt auf seiner Meinung. Gaus schließt mit einem Satz, der für ihn ungewöhnlich scharf klingt: Ich lasse Sie mit diesem Satz jetzt einmal hier stehen. Er fiel Geißler hart auf die Füße. Oder das Gespräch mit Rudi Dutschke, noch fröhlich unbefangen. Und Christian Klar - dem wegen Mordes zu fünf Mal lebenslänglich Verurteilten. Das einzige Gespräch übrigens, bei dem sich der Interviewer, wie er selbst sagt, befangen fühlte. Es findet nicht im Studio, sondern hinter den Mauern der JVA Bruchsal statt. Die Neugier auf Christian Klar ist groß, aber die Welten der Gesprächspartner klaffen weit auseinander. Sie denken in anderen Kategorien, die Augen von Klar sind müde. Gaus´ Welt ist nicht die seine.
Die Interviews mit Helmut Kohl - gleich zweimal, zu Beginn und gegen Ende der Karriere geführt - werden von Henneberg gegeneinander geschnitten. An ihnen wird deutlich: Gaus interessiert sich für die Motive des Handelns. Er befragt seine Gäste in der Regel dann, wenn er ihren Aufstieg ahnt oder der Abschwung einer Karriere in Sicht ist. In diesen Momenten schälen sich Mann oder Frau eher aus den Schutzhäuten als in anderen Situationen.
Als Gaus Ständiger Vertreter in Berlin (Ost) ist, pausiert die Reihe. Das bleibt im Film nicht unerwähnt, wird aber nicht weiter bewertet. Doch die Zeit in der DDR hinterlässt ihre Wirkungen, denn nach Gaus´ Rückkehr in den bundesdeutschen Journalismus werden - schon vor 1989 - auch Gesprächspartner aus dem anderen Teil Deutschlands eingeladen. Nach der Wende gilt das erst recht. Gaus hat als einer der wenigen Westdeutschen Ostdeutsche in ihren Lebensumständen und Äußerungen erlebt, sie erschienen ihm ebenso fremd wie nah. Er begegnete ihnen mit einem unbändigen Drang zu wissen, zu forschen, zuzuhören. Er blieb der Bürger in seiner "nobelsten Form", wie es im Film heißt, der jedem das Recht auf die eigene Geschichte, auf Ideale und Träume zugesteht.
Die Hommage an einen Großen des Fernsehens bedient sich seiner Methode: Einige wenige Privatfotos ersetzen den Lebenslauf, im Übrigen zeichnen die Fragen das Bild dieses Mannes: Sie zeigen seine Art zu denken, den Umgang mit Freund und Feind - ein Porträt aus Porträts in Gesprächen.
22. November, 22.15 bis 23.00 Uhr beim RBB
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