Gott braucht Widerspruch

Nachruf Zum Tod der Theologin und Schriftstellerin Dorothee Sölle

Ich glaube an Gott, der die Welt nicht fertig geschaffen hat wie ein Ding, das immer so bleiben muss, der nicht nach ewigen Gesetzen regiert, die unabänderlich gelten, nicht nach natürlichen Ordnungen von Armen und Reichen, Sachverständigen und Uninformierten, Herrschenden und Ausgelieferten. Ich glaube an Gott, der den Widerspruch des Lebendigen will und die Veränderung aller Zustände durch unsere Arbeit, durch unsere Politik.« Dorothee Sölle lebte den Widerspruch des Lebendigen als Verantwortlichkeit für den Zustand der Welt, als Beteiligt-sein an allen Prozessen, gleichgültig an welchen Orten der Welt sie abliefen. Sie verstand Christentum als kritische Bereitschaft, die eigenen Vorstellungen zu überprüfen, die Dinge nicht hinzunehmen, sondern nach ihrer Wirksamkeit in Gegenwart und Zukunft zu befragen. Für sie waren die Kirchenstrukturen unerträglich verkrustet. Die Vorstellung, da »oben säße« ein Gott, der »in aller Herrlichkeit ... Auschwitz mit veranstaltet habe«, war ihr unerträglich. Gott gegen solche Vereinfachungen in Schutz nehmen, Theologie als Veränderung begreifen, das Rechte tun, waren die wichtigen Punkte ihres theologischen Verständnisses, das zwangsläufig polarisierte: Für die einen war sie eine Art Prophetin des Christentums, in dem die Trennung von theologischer Wissenschaft und Lebenspraxis aufgehoben war, für die anderen eine Ketzerin, deren Thesen dem traditionellen Gottverständnis widersprachen und deshalb als theologischer Zynismus geächtet wurden. Die Welt war, wie sie auf dem Kirchentag in Vancouver sagte, »reich vor allem an Tod und besseren Möglichkeiten zu töten«, sie böte den Kindern »nichts als Konsum-Sand«, der Dritten Welt »ein Dauer-Auschwitz«. Dagegen anzukämpfen verstand sie als Pflicht und selbstgewählte Aufgabe.

Vor 30 Jahren stand Dorothee Sölle zum ersten Mal im Rampenlicht, als sie mit Gleichgesinnten unter dem Motto »Vietnam ist Golgatha« durch Köln zog und postulierte »jeder theologische Satz muss auch ein politischer sein«. Sie war eine der wichtigen Botschafterinnen der Friedensbewegung, reiste nach 1945 als eine der ersten Deutschen nach Israel, in den sechziger Jahren nach Nordvietnam und später nach Nikaragua. Für sie waren Atheismus und Gottesglauben keine Gegensätze, sie definierte ihre eigene Haltung als »atheistischen Glauben an Gott«, die jede Art Veränderung einschloss. Darin sah sie die ganz wesentliche Aufgabe von Christen: das Veränderbare zu benennen und dabei zu helfen, es zu tun. Dieses sehr weltliche Theologieverständnis hat ihr die Kirche nie verziehen. Zu keiner Zeit war sie deshalb in Kirchendiensten oder als Ordentliche Professorin an einer deutschen theologischen Fakultät. Politische Theologie war als Lehrfach suspekt. Lediglich Gastvorlesungen wurden erlaubt. Von irgendeinem Zeitpunkt an hat sie sich selbst deshalb Schrifstellerin genannt, ihr Thema aber blieb: Nachdenken über Gott und die Welt.

Ihre Sicht, die sich an engagierten antifaschistischen Theologen orientierte, hat dennoch nachfolgende Generationen geprägt; in der Bundesrepublik selbst - Dorothee Sölles Reden auf Kirchentagen haben immer die streitbare Debatte zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen, zwischen Orthodoxen und Reformern angeregt -, ebenso wie in der DDR. Gott braucht den Widerspruch, die Gegenrede, das Anteil nehmen ebenso wie die Macht ihn braucht. Denn nichts ist vollkommen, fertig, abgeschlossen, undiskutierbar; schon gar nicht, wenn Menschen beteiligt sind. An politischen Themen interessierte Theologen gerade auch in den Neuen Bundesländern sorgten, ganz in ihrem Sinne, im jüngsten Irak-Krieg dafür, dass die Kirche ein Raum blieb, in dem ein verantwortlicher Frieden gefordert wird. Bereit mit zu reden, bereit auf die Straße zu gehen, bereit einzugreifen.

Dorothee Sölle starb am vergangenen Wochenende, 73-jährig, während einer Tagung der Evangelischen Akademie Bad Boll, die dem Thema »Gott und das Glück« gewidmet war.

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