Luise Endlich hat ihren Horrortrip nach Ostelbien noch einmal marktgängig aufbereitet. Das zweite Buch als Fortsetzung des ersten - im Grunde gibt es nur eins: Neuland, das nun in seiner Veröffentlichungs- und Wirkungsgeschichte den Stoff für den Nachtrag, eben den Ostwind liefert. Die Autorin weiss genau, was sie tut: Sie bringt den Frust, der sonst am Bier-, Küchentisch emotionale Ausbrüche provoziert, in den öffentlichen Raum, klatscht, was das Zeug hält, keine Schwäche der neuen Nachbarschaft bleibt unbeobachtet, die anderen Lebensumstände nach einem Umzug von West nach Ost sind für sie nur durch Beschreibung der Absonderlichkeiten zu bewältigen. Die Fremde hinter dem nun durchlässigen "EisernenVorhang" existiert für sie weiter, weil die Art Mensch, die er hinterlassen hat, nicht aufzuschließen ist, sie bleibt auch nach Jahren unbekannter als jede Spezies aus der fernen Welt. Der Vorsatz, alles gut und richtig zu machen, vergrößert die Distanz; der Schock, dass die eigenen Normen nicht die erwünschten sind, hat Langzeitwirkung und schärft ihre Unduldsamkeit.
Was gerade noch hinginge im gewohnten Ambiente, wird unverzeihlich in diesem neuen, dem man sich mit missionarischem Hintergrund quasi ausgeliefert hat. Das Maß an Leidensfähigkeit ist bald erschöpft, denn was in der Auseinandersetzung mit Bauherren, Ämtern, fremder Mentalität ohnehin strapaziös werden kann, wird hier durch die West-Ost-Brille monströs vergröbert und von beiden Seiten mitleidlos breit gezerrt, bis es das ganze Bild beherrscht. Die Personage aus Oststadt ist der Autorin adäquat. Sie spielt das Spiel, das Opfermentalität, Neid, Nostalgie und Übereifer anraten, bedrückend eifrig. Der Leser, der Beschreibung des täglichen Privatkrieges zunächst amüsiert, dann genervt, schließlich wütend folgend, ist, ob der Dimension, die dieses Spektakel unter tatkräftiger Hilfe sämtlicher Medien schließlich annimmt, der nachgeschobene Band Ostwind beschreibt sie, einigermaßen verstört.
Das Ganze hat im ersten Band die Dimension von Stefan Raabs Song über "Moaschendroahtzaoun" und "Knallerbsenstraouch", ausgeweitet auf Reportageformat. Das tägliche Hickhack unter missgünstigen Kleingeistern, inszeniert als nationale Katastrophe. Streckenweise mit durchaus satirischem Unterton. Ähnliches hat es, auf etwas anderem Niveau, in der Literatur schon häufiger gegeben, und auch zur Beschreibung des Ost-West-Verhältnisses wurde es schon einige Male mit Erfolg praktiziert: Eine zur Schadenfreude einladende Unterbrechung des Einerleis der Unterhaltung mit deftiger Beschimpfung des (jeweils) anderen. Allemal amüsant und verkäuflich. Der gerade nicht Betroffene kann sich als Voyeur genüsslich der Schwächen anderer versichern und deren totale Entblößung als eigene Läuterung empfinden. Welch schönes Gefühl. Man genießt und schweigt.
Neu an Luise Endlichs Beschreibung in Neuland ist die Umkehr der Perspektive. Nicht aus dem Westen über den Osten, auch nicht Ost über West, was es auch schon gab, sondern aus der östlichsten Ecke Ost über jenen Ort, der künftig der Lebensmittelpunkt sein soll. Ein Entree der besonderen Art. Dass das nicht nur Freunde macht, ist von vornherein klar. Im Verständnis der neuen Umgebung schreibt eine, die sich den Mühen des Alltags nicht unterzog. Was sie dem Verdacht aussetzt, politisch denunzieren zu wollen. Die Arztgattin, die jeder kennt, verkündet die Interna des Ortes: scharfzüngig beschreibt sie Borniertheit, falsche Freundlichkeit, hinterlistige Gemeinheit, Fremdenfeindlichkeit, besondere Empörung herrscht, weil darüberhinaus zivilisatorische Defizite unterstellt werden, die keiner auf sich sitzen lassen möchte. Das liest sich pikant und prickelnd, gefundenes Fressen für die Medien. Bei den Betroffenen, die sich selbst ganz anders sehen, wie jedefrau/mann ihre nicht gerade liebenswerten Eigenschaften gerne in einer Grauzone verstecken, fordert es den Wutausbruch über den feindlichen Gartenzaun geradezu heraus.
Satiriker können ein Lied, ja eine ganze Operette davon singen, dass auch die tapfersten Verteidiger des Genres, durch Spott aller Mäntelchen entkleidet, zu Hyänen werden und dem Drang zur Vernichtung des Gegners nur mühsam widerstehen. Luise Endlichs Neuland verliert den ironischen Unterton auf der Hälfte der Distanz. Immer dann, wenn sie sich auch selbst in Frage stellen müsste, bleibt er ihr im Halse stecken. Dann reduziert sich das Buch auf Geschichtchen von Faulenzern und Dummköpfen, wenigen Engagierten und vielen, die gerne allen und jedem vorklagen, es gehe ihnen zwar nicht gerade schlecht, eigentlich aber müsste es viel besser gehen, und daran seien die Wessis und die Ausländer und all das schuld, was man sich in der Nach-DDR-Zeit eingehandelt habe. Leser, die bereit sind, die Dinge und sich selbst gelegentlich in Frage zu stellen, auch einmal über die eigenen Schwächen zu lachen, ohne dasselbe vom Gegenüber zu verlangen, können sich damit anfreunden und herzhaft lachen, gerade weil einige der Beobachtungen so herrlich überzeichnet sind, sie könnten sogar darüber nachdenken ...
Die meisten, das beweist der zweite Band "Ostwind", wollen das aber gar nicht. Das macht die Fortsetzung nötig. Der macht es seinem Leser nicht gerade leicht, denn der ganze Anfang ist einfach überflüssig, es sei denn, man betrachtet ihn als Anleitung "Wie bringe ich ein Manuskript beim Verlag unter?" Die Zeit für Streichungen und sorgfältiges Redigieren scheint gefehlt zu haben. Selbst wenn ein Verlag drängt und den Verkaufserfolg des ersten Buches gerne mit dem des zweiten übertreffen will, so viel Zeit müsste in jedem Falle sein. Beinahe die Hälfte der 170 Seiten werden mit kleinen oder größeren Beschreibungen von Interviews, Meinungen etc. gefüllt, wobei jede gegnerische mit den größten Kalibern beschossen wird. Natürlich ist es bedrückend, dem gesammelten Widerstand einer Schar von voreingenommenen Lesern (oder Hörern) ausgeliefert zu sein, die Attitüde der ewig Beleidigten verhindert allerdings auch, dass sie je hinter die Oberfläche schaut und macht das ganze zu einer eindimensionalen Personality-Show.
Lediglich im letzten Drittel liefert diese deutsche Kleinbürgerreportage das Anschauungsmaterial dafür, was passiert, wenn diese Kategorie Mensch die Weinerlichkeit und das Selbstmitleid aufgibt, das Visier runter lässt und sich in Marsch setzt. Zwar wird auch dieser Part weder sprachlich noch inhaltlich durchkomponiert, aber selbst in der unreflektierten Beschreibung gewinnt er eine erschreckende Dimension. Es gibt keinen Zweifel, der Streit der Kategorie "Moaschendroahtzaun" liegt bereit, um als politischer West-Ost-Sprengsatz gezündet zu werden. Die Wut über die gegenseitigen Kränkungen, angestachelt und aufgeputscht durch immer neue, immer zugespitztere Berichterstattung von Medien, die der gelangweilten Fernseh(Leser)gemeinde etwas bieten zu müssen glaubt, treibt den Schaum vor den Mund, so giftig, dass niemand mehr in der Lage ist, ihn wegzuwischen. Das funktioniert offenbar ganz leicht: die Wahrheit, so heißt es, müsse gesagt werden, dass es die Wahrheit nicht gibt, wird, weil Banalität, ausgespart. Parolen wie: "Halten Sie durch, lassen Sie sich von den Verbrechern nicht fertig machen", sollen der Autorin Mut machen, aber sie lassen keinen Spielraum für die Annäherung der ungleichen Brüder und Schwestern.
Zu Unrecht der Intoleranz verdächtigt, wie viele Einwohner von Oststadt (Frankfurt/Oder) meinen, liefern einige von ihnen nun den Beweis, dass irgendetwas dran sein muss: Mit Drohungen gegen die gesamte Familie, anonymen Briefen, die zum bevorzugten Kommunikationsmittel avancieren. Unterstellungen, die Debatten ersetzen. Die Stummheit konterkariert in bestürzender Weise demokratische Spielregeln, Feigheit bedroht die Lebensfähigkeit des Gemeinwesens. Die Decke, die den Hass ersticken könnte, ist ganz dünn. Auch bei denen, die politische Macht ausüben und in der Wirklichkeit - diese Geschichte hat sich abgespielt - schlichten sollten. Wenn vergleichbar nichtige Anlässe (und dieses Buch ist ein nichtiger Anlass, eine muntere, ungerechte, pointierte Abrechnung mit einer Lebensart, die in ihrer Fremdheit abstoßen kann), wenn so nichtige Anlässe ausreichen, um nach Belieben Ressentiments und Vorurteile zu aktivieren, die sich bis zu Morddrohungen gegen das Kind steigern und die Vernichtung des "Nestbeschmutzers" einkalkulieren, dann ist die Friedfertigkeit des neuen Deutschland keinen Pfifferling wert.
Luise Endlich, Neuland - Ganz einfache Geschichten, Transit Buchverlag, Berlin 1999, 184 S., 34.- DM
Luise Endlich: Ostwind - nicht ganz einfache Geschichten Transit-Buchverlag, Berlin 2000, 200 S., 34.- DM
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