Jahrzehnt der Heuchelei

Kommentar Bundestag beschließt Palast-Abriss

Fluchtartig von der letzten DDR-Volkskammer verlassen, wurde der Berliner Palast der Republik wegen Asbestgefahr so lange zum unansehnlichen Rohbau herunter saniert, bis keine Widerworte mehr aufflammen konnten. Das früher offene, vielfältig genutzte Gebäude sieht nach zehn Jahren aus, wie man sich die DDR gern vorstellt: Absolut verkommen. Inzwischen wurden so viele Millionen in seine Zerstörung investiert, dass es auf die geplanten 20 bis 40 für den Abriss auch nicht mehr ankommt. Pleiter als pleite geht nicht.

Wer gedacht hat, das Schleifen von Gebäuden und Denkmälern stünde für barbarische Gesellschaften, die sich nicht weit genug vom Mittelalter entfernt haben, und schlimmstenfalls noch für die frühe DDR, die das stark beschädigte, aber nicht völlig zerbombte Schloss ohne Not sprengen ließ, sieht sich getäuscht. Jede "Dynastie" wählt ihre eigenen Erinnerungspunkte. Manchmal mit guten Argumenten, manchmal mit nachgebesserten Vorwänden. Wenn es sein muss, auch um den Preis totaler Überschuldung. Und nicht nur dort, wo Zeichen der Vergangenheit ästhetischen Maßstäben von heute so eklatant widersprechen, dass es zu Schmerzreaktionen kommen kann oder muss.

Es geht allerdings nicht zum wiederholten Mal um die Frage Schloss oder Palast, da gab es seit langem Entwürfe, die das rigide Schleifen zugunsten sinnvoller Zwischennutzung vermeiden sollten. Es geht um ein Jahrzehnt der Heuchelei, um in den Sand gesetzte Sanierungsinvestitionen, um eine Politik, die Ruhe an der westlichen Bürgerfront, nicht aber Nachdenklichkeit und Annäherung will. Die spaltende Entweder-Oder-Position schien mit Hilfe sinnvoller Vorschläge, auch des Berliner Senats, vom Tisch. Was man sich ausgedacht hatte, konnten auch Anhänger eines Schlossaufbaus mit tragen - es hätte ihrer Vision nichts genommen. Nur wird es für dieses Vorhaben - das war lange klar - in absehbarer Zeit kein Geld geben, auch nicht von jenen eifrigen Sponsoren, die vor Jahren lustvoll eine Schloss-Attrappe installierten.

Nun aber stehen unkalkulierbare Folgekosten des Schleifens an: aus der Veränderung des Wasserspiegels für den benachbarten Dom oder aus ungelösten ingenieurtechnischen Problemen bei der Verfüllung einer außerordentlich tiefen Fundamentwanne oder bei der Bepflanzung eines Parks, den es auf der anderen Seite der Spree sowieso schon gibt. Diese Kosten werden sich wie Mottenlöcher in die öffentlichen Haushalte fressen. Vielleicht ist das auch der Hintergrund des in wenigen Minuten gefällten Bundestagsbeschlusses: Die finanziellen Bürden des Palastabrisses lassen sich als belastendes DDR-Erbe beklagen. Dem Seelenheil der alten Bundesrepublik ist das sicher ebenso zuträglich wie die Pflege einer Erinnerungskultur, die auf Tuchfühlung mit zweifelhafter deutscher Geschichte bedacht ist und sich auf Heldenfriedhöfe in Bitburg oder Schlösser wie das der Hohenzollern in Berlin kapriziert.


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