Kein zweites Gleis

Die Linkspartei in Dresden Der Interzonen-Zug nimmt langsam Fahrt auf

Da glänzt noch längst nicht alles, woran herum geputzt worden ist. Natürlich hätte man sich einen harmonischeren, einen besser vorbereiteten Parteitag der Linken.PDS ohne manch verunglücktes Intermezzo gewünscht. Die Partei muss immer noch lernen, dass ihre Kandidaten - auch die für das Amt des Schatzmeisters - gläserne Figuren sein sollten. Alles Verborgene wirkt wie Dynamit. Das gilt eigentlich für Kandidaten jeder Partei, doch für die der Linkspartei wohl besonders. Sie hat eine Geschichte, die sie weder leugnen, noch bedienen kann - und in deren Schlagschatten sie nicht mehr als nötig geraten sollte. Nur dann kann sie selbstbewusst argumentieren und, wenn nötig, Anklagen zurückweisen. Dass noch eine ganze Weile jede Weste eines Linkspolitikers auf dunkle Flecken hin abgesucht wird, steht außer Frage und wäre nicht der Erwähnung wert, würden andere Politiker ebenso gründlich geprüft. Auf die Hinterlassenschaften mancher Geheimdienste etwa. Nur wird das vorerst nicht geschehen.

Die Linke.PDS muss sich nicht wundern, wenn einem Ereignis von einiger Dimension wie ihrem Dresdner Parteitag nur halbherzig die erhoffte Strahlkraft zugebilligt wird. Das Lieblingsspiel der Partei, wie geht es in meinem Inneren zu, überschattet leider ein wenig den entscheidenden, um nicht zu sagen sensationellen Fortschritt: Die Gleise für ein gesamtdeutsches Schienennetz sind verlegt, zum ersten Mal könnten die Weichen so gestellt sein, dass zwei linke Parteien höchst unterschiedlicher Herkunft auf gemeinsamer Strecke unterwegs sind. Das schien vor einem Jahr noch undenkbar. Doch linke Ideen aus dem Osten lassen sich nicht mehr ganz so einfach mit antikommunistischen Vorurteilen im Westen aushebeln - künftigen Stoiber-Adepten wird die Diffamierung von Wählern in den östlichen Bundesländern schwerer gemacht.

Die Linke könnte als gesamtdeutsche Kraft ein Partner werden, dessen Daseinsberechtigung nicht nur vorübergehend hingenommen, sondern dauerhaft eingeräumt werden muss. Sie agiert landesweit, spricht im Namen von fast neun Prozent der Wähler, sitzt mit einer Fraktion im Bundestag und will künftig ihre Abgeordneten in die Parlamente der alten wie der neuen Länder schicken. Sie bündelt die Kraft derer, die einem sich aggressiver gebenden Kapitalismus der Nachwendezeit nicht mehr nur mit den politisch vorgeprägten Kräften eines überlieferten rheinischen Sozialstaats begegnen wollen - sondern in anderer, kämpferischer Aufstellung. Sie empfiehlt sich als Partner für Gewerkschaften und Verbände, als Korrektiv sozial deklassierender Reformen, als Katalysator gesellschaftspolitischer Auf- und Umbrüche. Sie hat das Zeug, einen gewichtigen Part im Konzert der Parteien zu übernehmen.

Diese Perspektiven wurden nicht mit programmatischen Zugeständnissen erkauft. Wenn über die Fusion von Linkspartei und WASG gesprochen wird, ist auch vom demokratischen Sozialismus die Rede. Mitglieder beider Parteien vertreten dieses Ziel, bei allen Differenzen darüber, wie und mit wem es erreicht werden kann. Das ist mehr als Opposition in parlamentarischen Refugien. Wer dafür wirbt, plädiert für einen Richtungswechsel. Und muss es nicht eine Vorstellung davon geben, wie eine Gesellschaft aussehen kann, von der mehr soziale Gerechtigkeit und mehr Friedfertigkeit nach innen wie außen erwartet werden? Eine vereinigte Linke in Deutschland wird ihr Potenzial europäisch einbinden und global denken müssen, um einem global agierenden Kapitalismus begegnen zu können. Um so mehr sollte Sorgfalt im Umgang mit der Basis in beiden Parteien selbstverständlich sein.

Wenn ein Parteitagsvotum über eine Doppelmitgliedschaft in WASG und Linke.PDS im ersten Anlauf verunglückt, zuckt der eben noch euphorisierte Linkswähler erst einmal zusammen. Denn für ihn kommt es nicht darauf an, mit größtmöglicher Geschwindigkeit einem Ziel entgegen zu rasen, sondern die Gewissheit zu haben, dass der Zug auch wirklich ankommt.

Bericht vom Parteitag, s. Seite 5

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