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In diesen fünfundsiebzig Orten finden täglich oder regelmäßig jede Woche Mahnwachen, Infos, Kundgebungen, Diskussionen, Schweigekreise, Gottesdienste gegen den Krieg im Kosovo statt. Unspektakulär, aber beharrlich protestieren Menschen gegen einen Krieg, der ihnen aseptisch in die Wohnzimmer kommt. Sie mißtrauen einer Medienberichterstattung, die die Scheinwelt eigner Reinheit trotz der täglich gemeldeten »schwersten Angriffe« beschwört. Und sie glauben vor allem nicht, daß Bomben Menschenrechte schaffen können, weil sie Menschenrechte für unteilbar zwischen Serben und Kosovaren halten. Anders als viele Journalisten auf den Pressekonferenzen von NATO oder Bundesverteidigungsministerium lullt sie der Technizismus einer computergesteuerten Berichterstattung nicht ein. »Die Wahrheit stirbt vor dem Krieg«. Die Gruppen und die, die täglich hinzukommen, in ihrem Kampf zu übersehen, ist leicht, sie unübersehbar zu machen, war für die Organisatoren der Kundgebung vom 8. Mai auf dem Berliner Gendarmenmarkt eines ihrer Anliegen. Aus der ganzen Republik angereist, wollten sie laut werden, Bestätigung erreichen und Mut für die kommenden Aktionen finden. Selbstgefertigte Plakate machten den Zorn, die Angst, das Mitgefühl für alle Opfer öffentlich. Und die Enttäuschung: »Wir haben eine andere Politik gewählt - und Krieg bekommen«.
Was fünfzig Jahre lang undenkbar schien, so einer der Initiatoren der Kundgebung, der IG-Metall-Vorsitzende Schmitthenner, ist wieder Wirklichkeit: Krieg von deutschem Boden aus. »Farce« seien die Beteuerungen deutscher Friedfertigkeit gewesen, steht auf einem der Plakate, und von der Bühne kommt der Satz, man sei dabei, »eine neue Auschwitzlüge« zu begründen. Diesmal nicht durch das Leugnen konkreter Zahlen, sondern durch den Versuch, »die eigene Geschichte durch Bomben auf Serbien« zu bewältigen.
Kundgebungen sind kein Ort, auf dem man nuanciert formuliert, aber die ganz einfachen Parolen will man denen überlassen, die diesen Krieg führen. Beifall, wenn die Redner ihre Standpunkte begründen: Zehn Prozent der Weltbevölkerung verbrauchen zwei Drittel aller Militärausgaben, hieß es, und: es sei pervers, ein Land um ein Jahrhundert zurückzubomben, um den Überlebenden Hilfe in Aussicht zu stellen, die ihre Abhängigkeit für die künftigen Jahrzehnte begründet. Die Hoffnung der Wende, das Ende des Kalten Krieges mache die überhöhten Militärhaushalte überflüssig und setze Gelder für ökonomische Hilfen in Krisengebieten frei, hat getrogen, das ist eine der ernüchternden Erfahrungen von zehn Jahren Einheit. Und einer der schärfsten Vorwürfe: Mit einem Bruchteil der Gelder, die nun der Krieg kostet, hätte der gesamte Jugoslawienkonflikt entschärft werden können. Die Rückkehr zur Logik des Krieges empfinden viele der Demonstranten als Niederlage der Demokratie; ein Arzt von IPPNW interpretiert sie als psychosoziale Krankheit, die eigentlich ausgerottet schien. Denn, so der Psychologe Horst-Eberhard Richter: der Krieg straft nicht Milosevic, ja nicht einmal die paramilitärischen Einheiten, die an Not und Vertreibung im Kosovo beteiligt sind, sondern die vielen kleinen Leute, die Nacht für Nacht in Angst und Wut die Keller aufsuchen. Je mehr Zivilisten zu Opfern werden, desto schwerer wird der Widerstand gegen die Vertreibungspolitik in der serbischen Bevölkerung selbst zu wecken sein, »Bomben produzieren Haß«.
Auf dem Platz sind viele, die die Schießscheibe, das Symbol der jugoslawischen Brückenschützer, an ihre Jacke geheftet haben, ein paar, die faschistische Zitate und Symbole Schröder und Clinton zuordnen und dafür vom Veranstalter gerügt werden, und einige, die glauben, nur eine bipolare Welt könnte der Garant für eine friedliche Zukunft sein: »Gäbe es die DDR noch, gäbe es keinen Angriff auf Jugoslawien«. Ein Armutszeugnis. Wer die Drohung totaler Vernichtung braucht, um Vernunft durchzusetzen, ist selbst nicht vernünftig. Die meisten aber halten die Parteien für die richtigen Adressaten ihres Protests.
Einig sind sich die Versammelten nur in einem: Der Krieg verschärft alle Probleme und muß gestoppt werden. Käthe Reichel, an Brecht geschult, trägt mit geübter Rhetorik die Orte und Zahlen von Opfern vor, die der - wie sie ihn nennt - Staatsterrorismus der USA gefordert hat. Sie erinnert daran, daß Jugoslawien das einzige der ehemaligen Ostblockländer war, das sich nicht nur gegen den Faschismus, sondern auch gegen den Stalinismus immun zeigte. Ein Wissen, das jedes Vertrauen in die Selbstheilungskräfte des Landes gerechtfertigt hätte.
Für die Regierungsparteien waren, trotz offiziell angemahnter Zurückhaltung, zwei Frauen gekommen: die SPD-Landtagsabgeordnete aus Bayern, Monica Lochner-Fischer und Annelie Buntenbach von den Grünen. Für mindestens eine Feuerpause plädierte die eine, die gleichzeitig ihre SPD geführte Regierung davor in Schutz nahm, allein verantwortlich zu sein. Die Vorgänger hätten Zwänge geschaffen. Der Platz quittierte diese Feststellung mit Pfiffen, nicht, weil sie falsch ist, sondern weil die Zuhörer keine Relativierung von Verantwortung dulden wollten. Annelie Buntenbach fand eine Feuerpause nicht ausreichend - die Bombardements müßten endgültig eingestellt werden.
Gregor Gysi von der PDS schilderte die Begegnung mit dem indischen Parlamentspräsidenten, bei der Proteste gegen die indische Atombombe vorgetragen wurden. Die indische Antwort: Glauben Sie, daß man Jugoslawien bombardieren würde, wenn das Land im Besitz von Atombomben wäre? Jene Frau, die das Schild »Mütter gegen den Krieg« hochhielt und ausharrte, obwohl es in Strömen goß, starrte entsetzt auf ihre Mitstreiterinnen: »Die Hoffnung kann doch nicht eine neue Runde des Wettrüstens und des Kalten Krieges sein«.
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