Liebe in Zwischenräumen

Nachruf Zum Tod Herbert Ottos

Herbert Otto hatte Erfolg. Seine Bücher wurden in der DDR tausendfach gelesen, die Kritiker allerdings reagierten verhalten. Seine Figuren besetzten fast immer die Ebenen zwischenmenschlicher Beziehungen. Es waren nicht Helden, die man bewundern konnte, weil sie die Zentren des neuen Lebens bevölkerten, sondern Figuren, die ihre Schwierigkeiten mit den gesellschaftlichen Normen hatten und sich damit herumschlugen, ein einigermaßen erfülltes Leben zu leben. Er lud kaum theoretische Überlegungen bei ihnen ab, ihn interessierte ihre Gemütslage, ihre Gefühlswelt. Herbert Otto schrieb über die Liebe, seine Figuren sehnen sich und warten und hoffen auf ein Glück, das oft nur in kleinen Stücken und manchmal auch gar nicht zu haben war.

Mit Ausnahme des Erstlings, seines 1956 erschienenen Buches Die Lüge, das die Jahre in Gefangenschaft im Ural beschreibt und auch schon den Zwischenraum zwischen Wahrheit und dem, was einen Gefangenen dazu bringt, bisherigem Denken abzuschwören, zu füllen versucht - er erhielt damals den Fontane-Preis - besteht seine Personnage aus jenen Typen, die Literatur seit Urzeiten bevölkern: Verliebte, Getrennte, sich Wiederfindende, die fernab großer Ereignisse ihre Konflikte bewältigen oder scheitern. Auch in der DDR.

Otto drängte sich nicht in die erste Reihe. Die politischen oder kulturpolitischen Auseinandersetzungen tangierten ihn immer dann, wenn sich die versammelten Biedermänner vom eigentlichen Feld, der "richtigen" Darstellung des sozialistischen Alltags, auf die Saubermannschiene Moral und Liebe begaben und damit seine Arbeit ins Blickfeld geriet. Dann konnte sich der Vorabdruck eines neuen Romans, von der größten Illustrierten der DDR, der Neuen Berliner Illustrierten, in durchaus verkaufsfördernder Absicht ins Programm genommen, vorübergehend in einen Alptraum verwandeln: Unmoralisch sei, was er da zum besten gebe und man könne die ansonsten so großartige Zeitschrift nur noch vor der heranwachsenden Generation in Sicherheit bringen, ließen "Leser" wissen. Oder : Wir brauchen keine komplizierten Menschen! Oder: Gegen den Verfasser dieser Sudelgeschichte ist Emile Zola ein Waisenknabe! Dem Verkauf des gescholtenen Buches hat das in der Regel nicht geschadet, im Gegenteil. Es brachte dem Autor den Ruf ein, die erotischsten Bücher zu schreiben. Der Traum vom Elch gilt noch heute als einer der besten erotischen Gesellschaftsromane, die in der DDR je entstanden. Übrigens wurden beinahe alle seine Bücher verfilmt.

Herbert Otto war kein unpolitischer Mensch, er wollte aber den ewigen Ausnahmezustand, in dem sich DDR-Literatur bewegen sollte, nicht bedienen. Ihm genügte, wenn seine Bücher reißend Absatz fanden. Warum das so war, interessierte ihn nur am Rande. Denn, so seine Einlassung auf dem X. Schriftstellerkongress der DDR 1987: "Wenn eines unserer Bücher hunderttausendmal gelesen ist, können wir fast sicher sein: Wir haben hunderttausend verschiedenen Bücher geschrieben, denn jeder Leser liest sein Leben mit hinein." Und er fragte besorgt, ob wissenschaftliche Schlüsse aus einer Wirkungserforschung von Literatur vielleicht dazu führten, dass "mit weniger Spaß, mit weniger Qual und mehr Verantwortung" geschrieben würde? Was der Literatur in der DDR seiner Meinung nach nicht gut tun könnte. Mit dem von Christoph Hein während des Kongresses aufgeworfenen Thema - Zensur in der DDR - hatte das nur entfernt zu tun. Und doch vermittelt es viel von seiner Art, mit Problemen umzugehen: Eben Zwischenräume besetzen. Sie ganz ausfüllen. Denn der direkte Weg kann, so seine Befürchtung, zum längsten möglichen Umweg werden.

Der 1925 in Breslau Geborene hat nach der Wende nur noch einen Roman geschrieben: Das Hundeohr, erschienen 1997. Da fällt Edgar Deutschmann vom Pferd und lebt fortan mit einem Hundeohr. Von Stund an hört er, was für Menschenohren nicht bestimmt ist. Komisches, Aufschlussreiches, Verletzendes. Wahrheiten einer anderen Gesellschaft, die zurückwirken auf das Verhalten seiner Figuren, die - wie gehabt - Zwischenräume besetzen. Herbert Otto starb am 24. August in seinem letzten Wohnort Ahrenshoop.

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