Links, kommunistisch und antisemitisch?

Nationalismus als Gefahr Thomas Haurys Studie über die frühe DDR

Der Generalverdacht, nun solle auch noch der immer wieder aufflammende Antisemitismus im vereinigten Deutschland der Hinterlassenschaft der DDR in die Schuhe geschoben werden, ist unbegründet: Das Buch des 1959 geborenen, Freiburger Historikers Thomas Haury Antisemitismus von links, erschienen im Verlag von Jan Philipp Reemtsmas Sozialforschungsinstitut in Hamburg, ist sachlich fundiert, argumentiert nicht mit Vorurteilen, bemüht sich um eine streng durch Fakten und Dokumente belegte Debatte. Es basiert auf einer Dissertation, deren Ziel die Einordnung des Antisemitismus in die deutsche Geistes- und Sozialgeschichte ist, spart also weder Vorgeschichte noch Veränderung in der Ausprägung oder gar politische Einordnung in die Nachkriegsentwicklung beider deutscher Staaten aus.

Viele in der DDR Aufgewachsene werden dennoch jeden Zusammenhang von kommunistisch und antisemitisch von vorneherein zurückweisen. Es gehörte zur Erziehung in den Schulen, mindestens einmal ein Konzentrations- und Vernichtungslager besucht zu haben. Auszusparen, dass dort Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten gemeinsam gequält, dass die industriemäßige Vernichtung von Menschen vor allem Juden betraf, war schon deshalb unmöglich, weil die sorgfältig erarbeiteten Begleitausstellungen es belegten. Das galt auch dann, wenn - wie in Buchenwald - die "Selbstbefreiung" eine große Rolle spielte.

Hinzu kam, dass in der späteren DDR die großen Agitations-Auftritte im Nationalrat der Nationalen Front vom Sohn eines Rabbis, Albert Norden, absolviert wurden, zuständig für die Kulturarbeit im ZK war Alexander Abusch, zusammen mit Bodo Uhse, Paul Merker, Anna Seghers im mexikanischen Exil entscheidend für die hohe Qualität der Zeitschrift Freies Deutschland verantwortlich. Hinweise auf Verfolgungen in der frühen DDR wurden von jüdischen Überlebenden empört zurückgewiesen. Jürgen Kuczynski oder auch Victor Klemperer verweisen einen Zusammenhang von Kommunismus und Antisemitismus ins Reich der Legenden. Eine der Merkwürdigkeiten der Nachkriegszeit war zudem, dass Emigranten zwar über Exil, Flucht, Rückkehr, nie aber über die Erlebnisse in der frühen SBZ/DDR sprachen. Stephan Heym hat das mit Loyalität begründet. Dem neuen Gesellschaftsmodell sollte eine Schonfrist eingeräumt, eigene Zukunftsvisionen nicht vorzeitig in Frage gestellt werden. Hoffnung auf Selbstreinigung ist ein starkes Motiv für Schweigen.

Die nachfolgenden Generationen hätten nachlesen können, einiges jedenfalls, aber selbst dann war die Verbindung mit in der DDR geführten Prozessen ohne zusätzliche Quellen nicht zu belegen. Erst in den späten achtziger Jahren brachen einige ihr Schweigen. Meine Kollegin versuchte zum ersten Mal, ihren Vater, Westemigrant, jüdisch, zunächst in führender Position, nach den Hintergründen seines plötzlichen Verschwindens in den frühen fünfziger Jahren zu befragen. Die Ergebnisse der Gespräche waren selbst für die Tochter überraschend. Mein Chefredakteur im Sonntag erzählte die Geschichten seiner jüdischen Kindheit in Deutschland und zum ersten Mal auch die seiner Verhaftung in der DDR.

Haurys Buch geht es allerdings nicht um "Enthüllungen", sondern um die Erarbeitung einer wissenschaftlichen Basis, von der aus die verschiedenen Spielarten von Antisemitismus bewertet und zugeordnet werden können. Er definiert den Begriff als Antiprinzip zur Nationalen Gemeinschaft. Für den Fall, dass die Summe der Gemeinsamkeiten nicht ausreicht, um die gewünschte Geborgenheit in der Nation zu finden. Der Autor unterscheidet zwischen dem Antisemitismus der Vergangenheit, der in ganz Europa immer wieder zu Pogromen geführt hatte, und dem in Gegensatz zum Begriff Nation entstandenen Feindbild "Jude", das durch die Nationalsozialisten bis zum Massenmord in Auschwitz getrieben wurde.

Der Weg zur internationalistisch verstandenen kommunistischen Weltanschauung ist von dieser Definition aus steinig. Haury bedient sich nicht des Vorurteils, der Jude Marx sei der Erfinder des Antisemitismus von links. Er entdeckt aber schon in der frühen kommunistischen Bewegung Spuren eines von ihm "sekundärer Antisemitismus" genannten Phänomens und stellt sie in den Zusammenhang mit dem Begriff des Zionismus. Die in den sozialistischen Staaten sorgfältig aufgebaute Unterscheidung von Antisemitismus und Anti-Zionismus verwirft er. Zwar sei letzterer vom faschistischen Rassenwahn entkoppelt, aber eindeutig dem Judentum zugeordnet. Ginge es "nur" um die behauptete Auseinandersetzung mit dem Imperialismus in Israel, hätte er gar keine Funktion. Die Protokolle des Slansky-Prozesses in der C?SSR, der Ärzteprozesse in der Sowjetunion, die literarischen Zeugnisse lassen nur eine Deutung zu: Es handelt sich um die pauschale Verdächtigung jüdischer Emigranten, also um Antisemitismus. Stalins Paranoia ist auch für Haury Anlass seiner Forcierung bis hin zu Schauprozessen, Erklärung ist sie nicht. Auch nach Stalins Tod gab es derlei Prozesse. Die DDR beginnt den gegen das SED-Führungsmitglied Paul Merker erst danach.

Antisemitismus gesehen als immanenter Teil der Definition von Nation, macht plausibel, warum er in der DDR auflodern konnte. Wer sich in der Systemauseinandersetzung des Nachkriegs als Vertreter der ganzen deutschen Nation präsentieren wollte, tatsächlich aber ein Halbvolk, durchsetzt mit ehemaligen Nazis vertrat, konnte der ohnehin vorhandenen Unterwanderungsneurose mühelos die durch Westemigranten, vor allem jüdischer Herkunft, hinzufügen. Das tangierte den eigenen Antifaschismus nicht und wahrte die Chance, für ganz Deutschland zu sprechen.

Es hat, auch das sagt Haury, in der DDR der Jahre 1948/49 durchweg freundliche Berichterstattung über Israel gegeben. Zur gleichen Zeit brachen aber Differenzen in der Parteispitze über die Frage der Entschädigung jüdischen Eigentums auf: Wer Widerstand im Land oder über die Sowjetunion geleistet hatte, unterwarf die Entschädigungsfrage dem ideologischen Dogma, wonach die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln als wichtigste Voraussetzung für die Befreiung der Arbeiterklasse galt und Eigentum an sich die Basis für kleinbürgerliche Vorbehalte hergab. Hinzu kam, dass die enormen Reparationsleistungen an die Sowjetunion die realen Möglichkeiten einschränkten.

Antizionistische Propaganda war zu einem Teil Import aus der UdSSR. Eine Entlastung bedeutet das nur insofern, als andere sozialistische Staaten deutlich eifriger agierten; die Grenzen zum Westen waren noch offen. Die SED entwickelte aber, trotz einer weitgehend nicht antisemitischen Spitze, ihren eigenen Cocktail aus Antizionismus, antikapitalistischer Hysterie und Verfolgungswahn, der die Probleme in der Sowjetischen Besatzungszone als Feindeinwirkung interpretierte und in Thesen goss, die ideologische Auseinandersetzungen strukturieren und positiv entscheiden sollten. Nachzulesen unter anderem in den Berichten der Zentralen Parteikontrollkommission über Gespräche mit Emigranten, vorwiegend aus Mexiko und den USA.

Diesen Teil der Geschichte nicht einfach mit Erklärungen aus der Zeit zu versehen, sondern als Gefahr auch für jede linke Bewegung heute wahrzunehmen, scheint wichtiger, als sich an der im Klappentext behaupteten Nähe von kommunistischem und antisemitischem Weltbild abzuarbeiten. Das Buch belegt, Antisemitismus muss als Gefahr für Deutschland überhaupt gelten, sobald Nationalismus Nahrung erhält. Was durch jedes einzelne Jahr der Nachwendezeit bewiesen wird.

Thomas Haury: Antisemitismus von Links - Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der frühen DDR, Hamburger Edition, Hamburg 2002, 527 S., 35 EUR


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