Malzwang

Walze In ihrem neuen Roman "Das Portrait" versucht Zoe Jenny, Grenzen zu sprengen

Nicht alles ist käuflich. Darauf läuft es hinaus. Schon gar nicht dann, wenn das Geld die schmerzhaften Einschnitte in persönliche Freiheiten kompensieren soll. Natürlich besteht Leben auch aus tausend Versuchungen, die größte: So viel Geld zu verdienen, um damit das Dasein nach eigenen Wünschen gestalten, in diesem Falle, Kunst als Lebensform der Künstlerin entwerfen zu können und dem Bruder eine Stütze zu sein.

In Zoe Jennys jüngstem Roman Das Portrait erliegt die junge, talentierte Malerin Helen dem lukrativen Angebot eines renommierten Kunsthändlers, sein Portrait zu malen. Zwar ist die etwas merkwürdige Bedingung daran geknüpft, es auf seinem Anwesen zu tun und während der auf exakt drei Monate terminierten Arbeit das Gelände nicht zu verlassen. Aber was heißt das schon, wenn die eigene Behausung dürftig ist, die Staffelei zwischen Kochtopf und Futon aufgestellt werden muss und der Erwerb jeder Farbtube den Verzicht auf andere, lebensnotwendige Dinge voraussetzt?

Sie, das elternlose Kind, das zusammen mit Bruder Gabriel bei Lucille, der sehr armen Freundin der Mutter aufwächst, die sich selbst weder finanziell, noch organisatorisch im Griff hat und deshalb ständig Gefahr läuft, die Kinder an das Jugendamt zu verlieren. Trotz der Armut fühlen sie sich wohl. Geistige Anregungen gibt es zwar nicht. Aber auch keine Behinderungen. Und als das musikalische Talent des Jungen entdeckt wird, wird es gefördert. Helens Malerei scheint den Beteiligten weniger ausbaufähig. Sie entwickelt sich eher im Verborgenen. Blaue, grüne, rote Gesichter immer im Kontext mit einem Tier, das wird vom braven Zeichenlehrer und der gutwilligen, unbedarften Lucille nicht verstanden. Trotzdem hatte Helen es schließlich geschafft, fällt mit einer ersten eigenen Ausstellung auf, erfährt lobende Bestätigung.

Die märchenhafte Konstellation: arme Waise mit unauffälliger künstlerischer Begabung setzt sich gegen viele Widerstände durch, selbst dann, wenn nur sie selbst daran glaubt, wird durch die alptraumhaften Bedingungen auf dem Anwesen des Sammlers gekontert. Helen gerät in eine prachtvolle Villa, Pool, eigens eingerichtetes Atelier, auffällig große Bibliothek, Bedienung durch einen Butler und mehrere Zimmermädchen. Die Wohnräume für sie sind allerdings erbärmlich karg. Was ihr zunächst unmotiviert erscheint, ist Teil einer Strategie. Das prachtvolle Ambiente im Haupthaus entpuppt sich als verbotenes Terrain, nicht nutzbares Mausoleum. Kälte beherrscht nicht nur die Räume, sondern auch jede Beziehung, auch die zwischen Personal und Malerin. Jeder Kontakt wird unterbunden. Ausgenommen der zwischen Modell und Malerin, der aber eher einseitig ist und sich in gelegentlichen, eher peinlichen Gefühlsausbrüchen des Portraitierten erschöpft.

Jenny erzählt in der Rückblende. Geschichten aus Helens Kindheit liefern eine zweifellos notwendige soziale Grundierung, die Einschübe unterbrechen aber den Erzählfluss. Das hat den Nachteil, dass der Leser die Einschnürung der Hauptperson, das Beengende, Bedrückende, die angedeutete Zerstörung der Persönlichkeit, die mit diesem Auftrag beabsichtigt ist, nicht ausreichend nachvollzieht. Durch diesen Aufbau wird der Leser immer wieder in die ärmliche Geborgenheit der Kinder entlassen, - arm, aber freundlich. Die aussichtslose Situation - reich, aber willensloses Werkzeug - wird nie zu einer Alternative. Auch nicht durch die wunderbar ausgemalten und sehr schön beschriebenen Traumsentenzen, die auf animalische Grundmuster jedes Menschen weisen.

Die 1974 in Basel geborene Autorin, hoch gelobt nach dem ersten Roman Das Blütenstaubzimmer, hält zwar den roten Faden der Erzählung fest in der Hand, es gibt kaum Abschweifungen, kann aber den Leser nicht fest genug an ihre Sicht auf die Figuren binden. Die suggerierten Grenzen sind jederzeit zu sprengen, die "riesige Walze", die auf Helen zukommt und "über sie hinweg rollt" erlebt der Leser nicht gleichermaßen bedrückend. In diesem Roman, in dem sich so vieles als Fiktion entpuppt, sind auch die Zwänge fiktiv - nur das Geld, das als Verlockung im Hintergrund winkt, diszipliniert. Und das ist auch nachvollziehbar real. Geld ist der Hebel, mit dem die Zwänge dieser Welt überhaupt funktionieren. Aber auch das ist im Buch nicht zwanghaft genug.

Zoe Jenny Das Portrait. Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2007, 204 S., 19,90 EUR

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