Missverständnis

Kommentar Verstecken im Holocaust-Mahnmal

Ein Denkmal, so nannte es der inzwischen beinahe demissionierte Kanzler, zu dem man "gerne" geht. Das hat er - wie so vieles - angeblich anders, im Sinne von "ohne Scheu", gemeint. Aber die Leute strömen zu den grauen Stelen in der Mitte Berlins, die an den Holocaust erinnern sollen, und fühlen sich, in seltener Übereinstimmung mit Schröder, tatsächlich wohl.

Die Mischung aus Spielplatz, Irrgarten und Gedenkort gefällt und bietet sich als Ausflugsziel, Kunst-Attraktion und interessanter Raum an. Am allerwenigsten zum Gedenken. Ein KZ-Überlebender hatte gewarnt: Bloß nicht in Gruppen hingehen. Aber genau das passiert: Reisebusse halten, Jugendliche kommen mit ihren Klassen. Es begann am ersten Tag: Halbwüchsige hüpften von Stele zu Stele, ein Fünkchen schlechten Gewissens saß ihnen noch im Nacken. Inzwischen hüpfen Kinder an der Hand ihrer Eltern. "Siehst du, du schaffst es", sagt der Vater stolz. Das Kind macht nur nach, was andere vormachten, der Dreck von den Schuhen Größerer lag längst auf der Stele. "Paul, wo bist du?" ruft eine Mutter und rennt die Achse entlang. Paul gibt keinen Laut. Schülergruppen spielen Verstecken. "Hinter mir und vor mir verboten ...".

In der ersten Woche nach der Eröffnung ist es kühl. Die dunkle Steine fangen die raren Sonnenstrahlen, "besser als ein Ofen". Fotoapparate klicken. Hin und wieder kommt einer der zwei (sichtbaren) Ordnungskräfte und mahnt. Das Gelände ist groß. Nur ein paar Meter vor ihm springt ein Mädchen unter lautem Gekreische in die Arme des Freundes. Vielleicht ist das Denkmal ja ein großes Missverständnis. Das Ungeheure der faschistischen Verbrechen als Beklemmung zwischen auf und abschwellenden, bis zu vier Meter hohen Stelen nachempfindbar machen zu wollen, setzt Alleinsein voraus. Steine, die kalt bleiben, ohne Emotion und ohne das Leid des Ausgeliefertseins, verwirren. Es braucht, um zu wirken, nicht nur das Wissen darüber, was geschah, sondern wie es geschah, von wem es warum befohlen wurde, und wer es geduldet hat. Wie viel weiß man in einem Land, dessen Medien zum 60. Jahrestag auch dieser Verbrechen vornehmlich das eigene Leid spiegelten? Es gibt ohnehin kein Kunstwerk, das auf alle Betrachter in gleicher Weise wirkt. Emotionen sind abhängig von Erfahrung, Assoziation, Verantwortungsgefühl. Und sie basieren auf einem gut verarbeiteten Geschichtswissen. Das Mahnmal für die Opfer des Holocaust kann die Nachfahren des Tätervolks in seinen Bann ziehen, auch wenn das spielend erfahren wird, sie auf eine eigene Art gefangen nehmen. Im besten Falle bis in die darunter liegende Informationsschau saugen, in der das Lachen nach wenigen Metern erstirbt. Eines aber spart es aus: Täter und Verantwortliche. Damit vor allem beschneidet es sich in seiner Wirkung. Das weit über die Zeit der Verbrechen hinaus nötige Gefühl für Mitverantwortung bleibt ohne starken Impuls.


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