Schluss mit „Ja, aber“

Vertreibung Die Stiftung Vertreibung hat ihre Arbeit aufgenommen, doch vieles ist ungeklärt: Vor allem muss die deutsche Verantwortung für Flucht und Vertreibung klar benannt werden

Manchmal kommt man auf leisen Sohlen leichter ans Ziel. Verglichen mit den heftigen Debatten um die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ in den vergangenen Monaten hat der Stiftungsrat seine Arbeit in der letzten Woche fast geräuschlos aufgenommen. Man tut so, als wären die Probleme inzwischen geklärt, als hätten die benachbarten Völker, vor allem die Polen, ihre Einwände zurückgenommen. Tatsächlich sind im Verlauf der Debatte einige der wesentlichen Punkte geklärt worden: Das Vorhaben wurde dem Deutschen Historischen Museum unterstellt und damit der unmittelbare Einfluss der Vertriebenenverbände relativiert, ein wissenschaftlicher Beraterkreis übernimmt die fachliche Begleitung der geplanten Dokumentationen, das Verhältnis zu Polen bleibt allerdings erheblich belastet, trotz des Rückzugs von Erika Steinbach. Dass die Vertriebenenverbände aber ihren Platz im Stiftungsrat freihalten wollen, erinnert zu sehr an die Haltung „die Wunde offen halten“, als dass man sie einfach als verbale Retourkutsche abtun könnte.

Nach wie vor ist vieles ungeklärt: Vor allem der inhaltliche Ausgangspunkt. „Flucht und Vertreibung“ meint ja nicht Vertreibungen in der Geschichte überhaupt, es geht um die erste Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Und der Hinweis darauf, dass der Ausgangspunkt von den Deutschen selbst, mit der Wahl Hitlers zum Reichskanzler, geschaffen wurde, fehlt noch immer. Die Vertreibung begann 1933, die Flucht der Deutschen am Ende des Krieges war die Folge einer von den meisten bewunderten Politik verbrannter Erde und barbarischer Ausrottung so genannter minderwertiger Rassen, die dem „Volk ohne Raum“ Platz machen sollten. Die Deutschen wussten nur allzu genau, dass sie nicht ungesühnt bleiben konnte. Flucht und Vertreibung deutscher Bevölkerung aus den östlichen Gebieten ging die Vertreibung der Kritiker im Lande selbst, des deutschen Geistes vor allem aber die Ausrottung der jüdischen Bevölkerung voraus.

Diese historische Tatsache muss am Beginn jeder Diskussion über dieses heikle Thema stehen. Die Verantwortlichkeit für die furchtbare Ernte des vergangenen Jahrhunderts muss klar benannt werden. Dass Vertreter der Bundesregierung aus wahltaktischen Überlegungen die klare Bewertung von Ursache und Wirkung immer wieder in einem Wortschwall von „Ja, aber“ verwässern, wird nicht nur von Polen als Affront aufgefasst.

Die Else-Lasker-Schüler-Stiftung hat deshalb zusammen mit dem Deutschen Journalistenverband eine Petition an den Bundestag formuliert, in der eine historisch und politisch korrekte Arbeit des Zentrums gefordert wird, und sammelt auf der Website vertreibung-petition.de Unterschriften dafür. Erstunterzeichner wie Norbert Blüm, Rudolf Dressler, Bischöfin Maria Jepsen und Freitag-Mitherausgeber Friedrich Schorlemmer weisen darauf hin, dass die Vertreibungen zwischen 1933 und 1939 aus Deutschland die Basis für all das schufen, was in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Kriegsende folgte. Wenn ein Zentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung wirklich Sinn machen soll, dann nur, wenn davon ein warnendes Signal ausgeht.

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