Schuld

Linksbündig Auch Erwin Strittmatter war in der SS

Sie lässt sich weder abwaschen, noch sonstwie tilgen, sie kann nur im Einverständnis mit den Betroffenen und ihren Nachfahren gebüßt werden. Und manchmal setzt dieser Prozess Jahrzehnte später ein. Die italienische Justiz hat gerade entschieden, dass Kapitalverbrechen von Deutschen im Zweiten Weltkrieg bis heute Ansprüche rechtfertigen. Griechische Dörfer ringen seit Jahrzehnten um die Anerkennung ihrer Opfer. Bislang häufig genug vergeblich. Und wir, die Nachkommen jener Generation faschistischer "Krieger", waren froh, dass nicht noch mehr ans Tageslicht kam. Es war schwer genug, nicht vor Scham in den Boden zu versinken, den Kopf gerade zu halten und den Blick auf eine friedliche Zukunft zu richten. Aber Schuld klebt, sie lässt sich nicht abwaschen. Sie holt uns ein.

Der Berliner Kritiker und Schriftsteller Werner Liersch hat bei Erwin Strittmatter nachgegraben und entdeckt, dass er zwar - wie in seinen Schriften zu lesen - niemals die Waffe (außer bei der Ausbildung) in die Hand nahm, aber von den Verbrechen seiner Einheit gewusst haben muss. Nachzulesen war schon bisher, dass er mit einer Reiterkompanie in Karelien stationiert war, die später nach Griechenland verlegt wurde. Aus dieser Polizeieinheit wurde im Februar 1943 das "SS-Polizei-Gebirgsjäger-Regiment 18", das am Partisanenkrieg teilnahm. Und im Partisanenkrieg machte man keine Gefangenen. Strittmatter muss, so Liersch, davon gewusst haben, denn er war Bataillonsschreiber, Kriegstagebuchführer und Mitarbeiter der Film- und Bildstelle der Ordnungspolizei, die mit Sicherheit ihre Verbrechen dokumentierte. In seiner Literatur geht Strittmatter zwar auf Verbrechen des Krieges ein, stellt aber keinen Zusammenhang zwischen den Verbrechen und seiner eigenen Biografie her. "Die autobiografische Erzählung von 1985 ›Grüner Juni‹ erinnert allein, was konfliktfrei war", so Liersch. Und auch im Wundertäter von 1957 ist dergleichen nicht nachzulesen.

Dass Strittmatters gesamtes Werk antifaschistisch ist, bezweifelt Liersch nicht. Aber er fragt, warum ist von diesen Verstrickungen in keinen anderen Veröffentlichungen zu lesen? Eine Frage, die an viele Angehörige dieser Generation zu richten wäre, eine Frage, die die 68er stellten, ohne Antwort zu bekommen. Kaum einer hat sich im Nachhinein dazu bekannt, an Massenerschießungen beteiligt gewesen zu sein, Verbrechen angeordnet oder von ihnen gewusst zu haben. Wahrscheinlich nicht nur aus Angst vor Verfolgung, auch nicht aus Scham, sondern als eine Art Selbstschutz. Öffentlichkeit als Therapie ist neu. Betroffene wie Strittmatter haben eventuelles Wissen verschluckt und sich eine Brücke gebaut, indem sie die vorderen Bereiche ihres Bewusstseins mit dem Wissen bombardierten, am tödlichen Schuss nicht beteiligt gewesen zu sein, solange, bis der Hinterkopf nicht mehr hämmerte. Am Ende lief bei ihnen derselbe Prozess ab, der auch dann abläuft, wenn die Schuld von SA und SS betont, der Wehrmacht aber eine weiße Weste (jedenfalls in der Regel) bescheinigt wird. Krieg aber ist ein Ganzheitsprojekt. SS ohne Wehrmacht ist undenkbar. Schuld klebt an allen, die den Krieg befahlen, mitmachten oder guthießen.

Es bleibt die Frage, warum Strittmatter sein Wissen (er kann nicht mehr befragt werden) auch später nicht nutzte, um Befehlshaber zu verfolgen, Erinnerungen zu protokollieren. Schließlich enthüllte Albert Norden für die DDR in den fünfziger und sechziger Jahren beinahe jede Woche irgendeinen Naziverbrecher auf einer seiner Pressekonferenzen im Nationalrat der Nationalen Front und wäre über mehr Beweismaterial sicher nicht traurig gewesen. Es bleibt die Frage danach, ob bei der Art, wie die SED ihre Aufnahmekandidaten durchleuchtete, nicht doch jemandem etwas zu Ohren gekommen sein muss. Schuld klebt. Auch an denen, die heute nicht nachfragen, wenn andere Kriege geführt werden.

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