Medien sind Verständigungsmittel, Ideenbörsen, Teil der Unterhaltungsindustrie und insofern auch Mittel, mit denen man Menschen manipulieren oder überzeugen kann. So ziemlich jeder ist heute eine Art Medienmacher, er formuliert seine Meinung. Twittert, ist bei Facebook aktiv oder verständigt sich online, dreht Filmchen und stellt sie ins Netz. Wer Lust hat, schaut sie an, gibt Kommentare ab, protestiert oder klatscht Beifall. Lohnt es da überhaupt noch, an Medien des vergangenen Jahrhunderts zu erinnern? An den Sonntag zum Beispiel, eine der beiden Vorgängerzeitungen des Freitag?
Es war ein kleines Blättchen, das Verbreitungsgebiet eher eingeschränkt. In den besten Zeiten brachte es 40.000 Exemplare unter die Leute. Diese Zeiten waren der Anfang und d
eiten waren der Anfang und dauerten kaum zehn Jahre. Wer damals das Wort Flüchtling gebrauchte, meinte Deutsche aus Ostpreußen und Schlesien. Wer von Exil sprach, erinnerte an vom Faschismus ins Ausland getriebene Juden, Intellektuelle und Dichter, deren Werke in Deutschland geächtet waren. Wer von Lagern sprach, meinte die Todesfabriken der Nazis. Und doch ist das „Nie wieder Krieg“ der Überlebensgeneration im neuen Jahrhundert in einem Sumpf von Scharmützeln und Beteiligungen an Militäraktionen oder Waffenverkäufen versunken. Die Worte Flucht, Lager oder Exil sind im täglichen Gebrauch wie seit 70 Jahren nicht mehr. Die Menschheit hat sich eine Fülle neuer Medien erschlossen, neue Strategien, um Kriege und Massenelend zu verhindern, sind dagegen rar. Lehren der Geschichte haben ein Verfallsdatum. Je weniger davon erinnert wird, desto größer die Gefahr der Wiederholung.Als der Sonntag 1946, in den frühen Nachkriegsjahren, entstand, schien die Aufgabe klar. Die Rückkehrer aus Lagern oder Emigration sahen sich in der Pflicht, ein geistig wie materiell verwüstetes Land in die Zivilisation zurückzuführen. Misstrauisch beäugt von den für ihre Herrenmenschenfantasien teuer bezahlenden Besiegten, übernahmen sie in französischer (Alfred Döblin), amerikanischer (Stefan Heym) oder sowjetischer Uniform (Konrad Wolf) das Zepter und vergaben im Auftrag der Alliierten Lizenzen für Bücher, Zeitungen und Filme. Demokratische Kultur sollte ein Volk resozialisieren.Die Selbstverpflichtung: Wer dem Faschismus widerstanden hatte, wollte seinen Utopien nun Geltung verschaffen. Anna Seghers, Bodo Uhse, Johannes R. Becher, Erich Wendt, Friedrich Wolf, Walter Janka – sie waren im Osten Deutschlands Mentoren des Aufbau-Verlages und seiner Zeitung, dem Sonntag. Es galt, den faschistischen Ungeist aus den Köpfen zu verbannen, im Exil entstandene Werke bekannt zu machen, Eigenverantwortung zu fördern und natürlich zu informieren. Über die Nürnberger Prozesse etwa oder die Schuld der Mitläufer.Auf der InselIn den ersten Jahren prägten Debatten über Zukunftsentwürfe das Blatt. Schon in der zweiten Ausgabe tauchte jener Name auf, der wie kaum ein anderer mit der Geschichte der Zeitung verbunden war – Wolfgang Harich. Er nahm den selbst gewählten Auftrag ernst. Seine Themen: Mitschuld möglichst allseitig zu debattieren und Sprachlosigkeit zu überwinden, die Wege in die Zukunft nicht einfach aus dem Programm der KPD zu übernehmen, sondern den neuen Bedingungen anzupassen. Dass diesem Ansinnen kein Erfolg beschieden war, lässt sich aus heutiger Sicht leicht begreifen – damals war es das Ende der Utopie von einem tatsächlich neuen Weg.Harich und seine Mitstreiter entwarfen 1956 ein Programm, das auf einen Umbau der Gesellschaft in Ost und West zielte. Er beriet es ausgerechnet mit der sowjetischen Botschaft in Ostberlin und dem in der SED verhassten Ostbüro der SPD. Das führte zu vielen Jahren Gefängnis – beim Sonntag erstaunlicherweise nicht zur Schließung, sondern zu einem gestutzten Wirkungsradius. Die Auflage wurde halbiert, die politische Diskussion limitiert – selbst zur unsäglichen Formalismusdebatte von 1951 gab es nur einen einzigen Artikel. Der Rückzug auf das schöngeistige Feld der Kultur war für Jahre total.Verlag wie Zeitung pflegten ihre Schockstarre und druckten, was keinen Anstoß erregte. Dennoch blieb die Aufgabe erhalten, Intellektuellen der DDR ein Forum zu bieten. Und da niemand so genau wusste, wo gerade die Grenze des Möglichen verlief, gab es durchaus lebhafte Debatten: „Denken für die Welt von morgen“, Streitgespräche zwischen Intellektuellen der DDR und Erich Fried. Erste Beobachtungen, die auf den Raubbau in der Natur verwiesen. Kontroversen über das, was Theater leisten muss. Die Reportage eroberte einen führenden Platz. Manche der Sonntag-Texte gerieten zu kleinen sprachlichen Meisterwerken. Wer deuten wollte, fand Anspielungen zuhauf, klare Statements zu politischen Themen aber blieben ausgespart.Placeholder infobox-1Mit wachsender Unzufriedenheit von Lesern, Hörern und Zuschauern, die keine Lust auf die immer gleichen sprachlichen Versatzstücke haben, ändert sich in den 80er Jahren auch die Meinung über den Sonntag. Von einer belächelten Spielwiese wird er zur beneideten Insel einer vom Stil her alternativen Publizistik. Dabei ist die Zeitung nie Sprachrohr einer Opposition, sondern stellt die eine oder andere Person, das eine oder andere Werk vor, das gerade noch toleriert wird. Verordnete Kleinauflagen – so das parteiamtliche Kalkül –- verhindern größere Resonanz. Das aber erweist sich zunehmend als Irrtum. Kommt es zu ernsthaften Konflikten, begibt sich die Redaktion unter den Schutzschirm des herausgebenden Kulturbunds, der einiges abhält. Zur Wende 1989 trägt der Sonntag weniger bei als die fühlbare, von so vielen DDR-Bürgern wahrgenommene Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Medien. Der mit Hoffnung besetzte neue Gesellschaftsentwurf fällt einfach in diese Lücke.Placeholder authorbio-1