Stolpes Leuchttürme

Ost-Rezepte Die SPD greift auf, woran schon die Union scheiterte

Eigentlich hängt Schröders Regierungsmannschaft so schräg in den Seilen wie betrunkene Seeleute bei schwerem Sturm. Geübt im Schiefgang torkeln sie an der Reeling entlang, aber zunehmend weniger Menschen glauben, dass diese Schräglage auf dem Dampfer "Soziale Gerechtigkeit" einem guten Zweck dienen könnte. Was immer die Genossen als Erklärung für die Kappung sozialstaatlicher Regelungen anführen, es hebt ihr Ansehen nicht. Ihr selbst diagnostiziertes Vermittlungsproblem bleibt so groß wie es war, das Ansehen der Sozialdemokraten sinkt, die Vermutung geht um, sie bahnten für die gegenwärtige Opposition einen Weg, den die allein nie hätte gehen können.

Dass die fünf Linken in der Bundestagsfraktion sich als Kraft zur Lösung der Probleme des Sozialstaats profilieren könnten und in der Lage wären, eine halbwegs gerechte Verteilung der Lasten durchzusetzen, übersteigt inzwischen die Vorstellungskraft selbst der gutmütigsten und treuesten SPD-Wähler. Wenn es so weiter geht, wird sich die Partei demnächst an der 20-Prozent-Marke wiederfinden, in Tuchfühlung mit den Grünen. Die monatlichen Politbarometer vermelden den Absturz als Dauerzustand.

Um ihn aufzuhalten, müsste die Regierungsmannschaft schon Flügel haben, mit deren Hilfe sie im Eiltempo eine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt erreichen. Stattdessen klebt ihren Mitgliedern seit geraumer Zeit der Misserfolg an den Füßen. Nehmen wir Manfred Stolpe. Nach diversen Fehlentscheidungen als Brandenburger Landesfürst (s. Cargo-Lifter, Landesentwicklungsgesellschaft, Lausitzring, Frankfurter Chip-Fabrik), die seinem Nachfolger Platzeck so schwer am Hals hängen, dass er nur mühsam den Blick geradeaus richten kann, und nach dem Desaster mit Toll Collect ist er endlich auf die Idee mit den "Leuchttürmen im Osten" verfallen. Schwer zu besteigen, wird er sich gedacht haben, und schwer zu beurteilen, wie weit sie strahlen. Der Nachteil ist: Auch die Leuchttürme wurden längst bestiegen. Vom "Kanzler der Einheit" zum Beispiel, nachdem die "blühenden Landschaften" partout nicht aufblühen wollten. Auch diverse Ostbeauftragte der SPD oder Wolfgang Thierse bedienten sich bereits der Leuchtturmphilosophie.

Freilich, das Gebiet östlich der Elbe ließ sich einfach nicht ausleuchten. Das weiß der ehemalige Ministerpräsident ja auch, aber vielleicht, so die Überlegung, attestiert ihm das wohlwollende Volk wenigstens guten Willen. Denn mehr scheint niemand mobilisieren zu wollen. Es gibt kein Konzept der SPD, es gibt keine Kraft, die den Osten mit seinen spezifischen Problemen bundespolitisch wahrnimmt, seit die PDS auf zwei benachteiligte Einzelkämpferinnen im Bundestag schrumpfte. Es gibt keine Gelder, die zusätzlich investiert werden könnten. Jeder, der auf die Initialzündung wartet, wartet vergeblich.

Der naive Glaube, man könne bei Wahlen mit einem Votum gegen die SPD sozialen Kahlschlag stoppen, dürfte nach den Vorlage von CDU/CSU zum "Umbau des Arbeitsmarktes" in sich zusammen fallen. Man kann getrost davon ausgehen, dass die Rudimente des Sozialen, die noch blieben, sollten diese Vorstellungen Regierungspolitik werden, kaum mehr als das nackte Überleben ermöglichen.

Hätte die Wählerschaft in Deutschland nicht inzwischen jede Illusion über die Beeinflussbarkeit von Politik verloren, die Zahlen für die SPD müssten sich nach den von der Union vorgelegten Plänen wenigstens langfristig erholen. Allerdings: Im allgemeinen Bewusstsein findet sich der Sozialstaat längst als Anachronismus stigmatisiert - die immer gleichen, scheinbar überparteilichen Unkenrufe sogenannter Wirtschaftsweiser sorgen dafür, dass selbst das Kahlschlagprogramm der Union - durch die Christliche Arbeitnehmerschaft (CDA) als nicht zumutbar eingestuft - für die Unternehmerverbände zu halbherzig und inkonsequent ist, um einen "Ausweg" aus der Krise zu weisen.


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