So richtig begriffen haben wir Europäer es immer noch nicht. Nun wird Italien seit fast vier Jahren von dem Medienunternehmer Silvio Berlusconi regiert. Und bis vor kurzem war ausgerechnet seine rechtsgerichtete Regierungskoalition aus Forza Italia den Neofaschisten und der populistischen Lega Nord so stabil wie keine andere seit der Gründung der Republik Italien 1948. Warum lässt sich das italienische Volk diesen populistischen, hemdsärmligen Entertainer bieten? Warum gibt es keine Linke, die seine Regierung ersetzen könnte? Ist die Konzentration von medialer und politischer Macht eine Vorform, gar die zu erwartende Spielart eines neuen, autoritären Kapitalismus? Und droht dieses Modell in Europa Schule zu machen?
Der englische Historiker Paul Ginsborg, der an
er Paul Ginsborg, der an der Universität Florenz europäische Geschichte lehrt, versucht Antworten. Im Vorwort seines Buches zitiert er dazu den Schriftsteller Primo Levi, der 1974 davor warnte, dass Faschismus nicht nur über Terror und polizeiliche Einschüchterung erreicht werden muss, sondern auch durch Zurückhalten und Manipulation von Informationen, durch Beschädigung der Justiz und Lähmung des Schulwesens. Blickt man auf Levis Heimatland Italien, kommt einem diese 30 Jahre alte Warnung plötzlich beklemmend aktuell vor.Medienmogule haben sich mit dem Siegeszug des kommerziellen Fernsehens überall in der Welt entwickelt. Aber nur in Bella Italia hat ein Medienunternehmer das Monopol über das Fernsehen und dazu noch die politische Macht in seinen Händen. Damit ist einer Manipulation, die Demokratie unterläuft, Tür und Tor geöffnet. Ginsborg nimmt das in Grauzonen der Legalität entstandene Medienimperium Berlusconis und die Prozesse wegen Mafia-Verbindungen, Unterschlagung, Bestechung und Steuerhinterziehung gegen seine engsten Mitarbeiter und ihn selbst unter die Lupe. Das bringt manch interessante Information und einen guten Überblick über das, was man in den vergangenen Jahren an verstreuten Informationen immer wieder in der Zeitung lesen konnte.Besonderes Augenmerk richtet er aber auf die Mitte-Links-Regierung, die unter Regierungschef Massimo d´Alema die Jahre vor Berlusconi an der Regierung war. Sie hätte für Ginsborg die Machtkonzentration durchaus verhindern können. Doch nicht ein Gesetz für eine Reform des Medienwesens, so klagt der Geschichtsprofessor, wurde verabschiedet. Als Berlusconi Oppositionsführer war, hätte man auch Maßnahmen ergreifen können, die einen Politiker, gegen den in Gerichtsprozessen schwere Anklagen erhoben werden, zwingen, sein Amt niederzulegen.Ginsborgs Hauptkritikpunkt ist die Feigheit der Linken. An der Regierung fürchtete sie die Mitte des Wählerspektrums zu vergraulen. D´Alemas Koalition setzte auf die Strategie, "die politischen Spannungen herunterzuschrauben, Kompromisse zu suchen und die Dinge laufen zu lassen." Im Wahljahr 2001 verwiesen die Parteien von Mitte-Links auf ihre gute Regierungsarbeit. Trotzdem wuste niemand in Italien wirklich, was die Regierung geleistet hatte. Selbst als Berlusconi begann, die Staatsanwälte anzugreifen, die mutig auch Politiker und Wirtschaftsbosse anklagten, lavierte die Mitte-Links-Regierung und nahm keine eindeutige Position ein. Man fürchtet, wegen eigener "Leichen im Keller" aus der Zeit vor 1989 selbst in den Griff der Justiz zu geraten.Zu kurz kommt in Ginsborgs Erklärungen für den unaufhaltsamen Aufstieg eines Silvio Berlusconi der spezifisch historische Kontext Italiens. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts brach das 40 Jahre währende christdemokratische Machtsystem, das gegen die starke kommunistische Partei von den Amerikanern gestützt wurde, zusammen. In der ersten Hälfte der neunziger Jahre wurde der kriminelle Unterbau der Politik aus der Zeit des Kalten Krieges aufgedeckt. Berlusconi nutzte das ideologische und machtpolitische Vakuum, um Personenkult, Klientelismus und Demagogie zu neuen Eckpfeilern seiner Politik zu machen.Wirkliche Erfolge hat Berlusconi als Regierungschef kaum vorzuweisen. Die Erbschaftssteuer hat er abgeschafft. Und er hat es geschafft, dass alle Anklagen gegen ihn, meist wegen Verjährung, fallen gelassen werden mussten. Doch seine Wähler bleiben ihm weitgehend treu. Ein Politiker, der strahlende Leichtigkeit demonstriert und es mit den Gesetzen nicht allzu genau nimmt, ist einer von ihnen.Berlusconis Entschluss- und Widerstandskraft - so Ginsborg - dürfe nicht unterschätzt werden. Wesenszüge der italienischen Demokratie sind dabei, verändert zu werden. Die Unabhängigkeit der Staatsanwälte soll abgeschafft werden. Die Zusammensetzung des Verfassungsgerichts ist geändert worden. Und die Kompetenzen des Regierungschefs sollen erheblich erweitert, die Interventionsmöglichkeiten des Staatspräsidenten beschnitten werden. Nächstes Jahr sind Wahlen. Gewinnt er wieder, so warnt der Autor abschließend, wird Berlusconi ohne jeden Zweifel im Herzen Europas ein voll entwickeltes, durch Medien gesteuertes, autokratisches Regime errichten. Ein Modell, das Schule machen könnte. Man wundert sich, dass das so wenig Verantwortliche in Europa wirklich zu tangieren scheint.Paul Ginsborg: Berlusconi. Politisches Modell der Zukunft oder italienischer Sonderweg? Wagenbach, Berlin 2005, 191 S., 11,90 EUR