Mitgemacht

Kommunikationswissenschaft in Greifswald Mit Adorno ins künftige Medienleben

Adorno, beendet die Studentin ihr Referat, plädiere für ein Gremium von Experten, welches verhindern sollte, dass das Fernseh-Volk fortgesetzt verdummt und ideologisch vernebelt werde. Sie schaut ihre Kommilitonen fest an und sagt: "So, nun könnt ihr fragen." Zwanzig Hände pochen auf die Tische. Wann wurde das Papier verfasst? fragt ein junger Mann. Ein wenig ratlos wendet sich die Referentin dem Seminarleiter zu. Klaus Beck, etwas abseits auf hartem Gestühl, beugt sich leicht vor. 1954 hat der Philosoph den Text veröffentlicht, geschrieben vermutlich 1953.

Theodor Adorno, dies zur Erläuterung, hatte das Fernsehen während seines Exils in den USA kennen gelernt und im Pseudorealismus, den das neue Medium munter in die guten Stuben zu transportieren begann, sofort eine Gefahr für die Zuschauer entdeckt. Kaum flimmerten die ersten Bilder über deutsche Mattscheiben, forderte der zurückgekehrte Philosoph eine Art Qualitätskontrolle. Adorno glaubte, dass mit entsprechender Aufklärung das deutsche Publikum sich gegen die "vom Fernsehen verbreitete Ideologie" gewissermaßen "impfen" ließe.

Klaus Beck leitet seit dem Sommersemester am Institut für Deutsche Philologie der Universität Greifswald ersten Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft. Die heutige Veranstaltung gehört zu seinem Proseminar "Medienethische Qualitätskriterien", das auf ein Projekt für die Sächsische Landesmedienanstalt zurückgeht. Beck studierte Theater- und Publizistikwissenschaft, wie es damals noch hieß. Ein Fach mit hohem Ansehen und einigermaßen Aussicht auf Broterwerb. Damals strebten viele Absolventen in den investigativen Journalismus.

Unter Becks Studenten gibt es heute kaum jemanden, der Journalistin oder Journalist werden will. Dabei wählt ein Großteil der Studienanfänger das Fach Kommunikationswissenschaft. Es sind meist junge Frauen, die das Studium mit dem heute üblichen Bachelor-Abschluss beenden. Dann sollten sie fit sein in Kommunikation: von der Theorie, Sprache und Psychologie über die Wirtschaft und das Recht bis - natürlich - hin zu den Medien.

500 Studierende bevölkern Vorlesungen und Seminare von Professor Beck. Nicht allzu lange nach ihrem Abschluss finden sich die Absolventen der "KoWi" in der Öffentlichkeitsarbeit wieder, in der Markt- und Meinungsforschung, als Kommunikations-Trainer oder im Medienmanagement. Dort entwickeln sie - von Adornos Warnungen ungerührt -TV-Programme, Konzepte zur Zuschauer- oder Leserbindung, alternative Finanzierungsmöglichkeiten.

Das deutsche Privat-TV, wie das US-amerikanische auf Einschaltquoten orientiert, punktet mit Talks und Soaps und teilt seinem Millionenpublikum täglich Privates, Intimes, und meist sehr Banales mit. Den Journalisten, stellt Becks Seminar fest, träfe keine Schuld, er könne nur mitmachen oder sich verweigern. Auch Presserat und Landesmedienanstalten vermögen letztlich nicht zu verhindern, was Adorno "Verdummung, psychologische Verkrüppelung und ideologische Umnebelung" nannte und was nicht etwa "Sache des bösen Willens" sei, sondern "vom objektiven Ungeist erzwungen wird": den Bedingungen des Marktes. Die Dschungelshow ist eine Überlebens-Strategie für den Sender.

Die Kommerzialisierung, wird Beck später in seinem Büro sagen, ist kein freiwilliger Prozess. Er hat längst auch den Printbereich erreicht, wo der Markt sich zu spalten beginnt. Zum einen in die "Qualitätsmedien", meist bundesweit verbreitete Tageszeitungen. Wobei fraglich ist, ob sie alle überleben werden. Und zum anderen in die stark kommerzialisierten, eher regional verbreiteten Medien, die mehr und mehr Rücksicht auf lokale Gegebenheiten nehmen und offensiv ihr eigenes Marketing betreiben

Was ist zu tun? Man könne doch, sagt eine junge Frau, im Publikum das Bewusstsein dafür schaffen, was gut oder schlecht sei, oder? Ja, vielleicht beim Arte-Publikum, entgegnet ein Kommilitone. Und wer so was gucke, wisse ohnehin Bescheid. Aber wer sagt denn, wirft der nächste ein, dass die Leute diese Sachen nicht doch mit dem notwendigen Abstand betrachten? Wenn der Einzelne keine Verantwortung trägt, sagt Klaus Beck im Seminar seinem konzentriert lauschenden Publikum, muss man sich das System vornehmen. Um diese Frage geht es letztlich: Welche Bedingungen sind zu schaffen, damit die einzelne Journalistin, der einzelne Journalist sich fair verhalten können? Klaus Beck sieht sich da durchaus auch als "Reflexionsinstanz", die politikberatend wirken kann.


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