Was ist los im Lande Tells?

Schweiz Durch diese hohle Einkaufsgasse werden wir gehen: über die Aufwertung des Schweizer Frankens
Ausgabe 04/2015

Wäre die folgende Geschichte ein Roman, er müsste Die Aufwertung heißen, ihr „Held“ wäre der Chef der schweizerischen Nationalbank. Thomas Jordan heißt der Mann, dessen Name Währungsprogramm ist. Einmal über den Jordan geschickt und hoppla: Man steckt im Wüstenland. Dies musste in diesen Tagen auch der Euro erfahren. Er sackte auf ein Verhältnis von 1: 1 mit dem Schweizer Franken – zu seinen besten Zeiten war der Euro noch 1,60 wert. Doch die helvetischen Dagobert Ducks (Harvard-Studium) wissen, was Sache sein soll: starkes Geld statt viele Arbeitsplätze. Am 15. Januar hob Thomas Jordan in einem spektakulär inszenierten monetaristischen Amoklauf die seit 6. September 2011 gültige Euro-Kopplung des Schweizer Frankens auf. Hops gingen sofort einige Spekulationsfonds, deren Verschwinden nicht weiter lamentiert werden soll, doch ebenso schnell wie der Franken in die Höhe, raste der Euro in den Keller.

Da wird es selbst einer bergerprobten Eidgenossin, die im Euroraum lebt, schwindlig, profitiert sie doch von einem Spekulationsgeschäft, das definitiv nicht das ihre ist. Seit dem schwarzen Donnerstag ist aber nix mehr normal. Die Schweizer stehen an Geldautomaten und auf den Straßen nach Konstanz, hinter der Grenze zu Deutschland, Schlange.

Im anderen Roman der Stunde, in Michel Houellebecqs Unterwerfung gibt es den schillernden Rediger, der im Islam seine alte Liebe zu Nietzsche wiederentdeckt. In Die Aufwertung findet Jordan, der jahrelang sein wahres Ich hinter der Fassade eines umsichtigen Währungschefs tarnen musste, zu seinen Wurzeln als Inflationsparanoiker zurück. Schon 1999 war die Eurobindung dem nur an „Geld ohne Geist“ orientierten Chef der schweizerischen Nationalbank ein Dorn im Auge. Im monetaristischen Weltbild existieren nur schwarz und gold. Schwarz sind Investitionen in die Realwirtschaft, goldig dagegen die harten Währungen, die allein durch ihren Börsenglanz Milliarden einbringen. Dank Jordan sind die Schweizer nun endgültig im Begriff, „lebendige Münzen“ (Pierre Kosslowski) zu werden. Die für ihre Weichheit auch nicht gerade berühmte IWF-Chefin Christine Lagarde meinte erschüttert: „Jordan hat mich davor nicht kontaktiert. Ich finde das ein wenig verwunderlich.“ Wer Jordans Biografie kennt, wundert sich freilich nicht. Als „graue Maus“ (Christoph Blocher) fand er den Euro von jeher ein „Fehlkonstrukt.“ Logisch, dass der Nationalbankchef, wenige Stunden nachdem er ein weltweites Währungserdbeben ausgelöst hatte, als Maskottchen für den Wahlkampf der rechtsbürgerlichen Parteien SVP und FDP erschien.

„Tsunami für die Schweizer Volkswirtschaft“

Der „Job-Killer“ der Nation (Blick) weiß als oberster Bankenchef, wem er verpflichtet ist. Nick Hayek, einer der wenigen verbliebenen Schweizer Unternehmer, sprach vom „Tsunami für die Schweizer Volkswirtschaft“, während die NZZ lobend die Champagnerkorken knallen ließ. Possierlich an der Geschichte auch das Frohlocken der diversen Normalheidis und Stammtisch-Wilhelm Tells, die den hohen Franken nur aus der Perspektive „Durch diese hohle Einkaufsgasse werden wir gehen“ sehen.

Houellebecq wählte den Titel seines Romans auch nach der Geschichte der O, deren sadomasochistische Erotik-Unterwerfung immerhin noch der französischen Résistance entwachsen ist. Die Aufwertung ist dagegen nur noch eine obszöne Wirtschaftskolportage.

Regula Stämpfli ist Politologin und Buchautorin („Die Vermessung der Frau“) aus Bern. Sie lebt mit ihrer Familie in München

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