"Wer mich als Prätorianer-Führer hat, der hat schon fast gewonnen." So redet er, der Ulrich Maurer. Die Prätorianer, im alten Rom die Elitegarde zum Schutz des römischen Kaisers, beherrschten politisch immer wieder den Lauf der Dinge, indem sie als Kaisermacher ebenso wie als Kaisermeuchler agierten. Das Zitat Maurers ist schon fünf Jahre alt, aber dafür zeitlos schön. Ein in seinem autosuggestiven Gehalt typischer Maurer-Satz, der zu diesem zerfurchten Gesicht passt, dessen Morphologie von vielen politischen Kämpfen kündet, vor allem jedoch von den Niederlagen der vergangenen Jahre.
Caesar durfte er damals, im Vorfeld der baden-württembergischen Landtagswahl 2001, schon nicht mehr sein: Der SPD-Vorsitz im Südwesten war ihm entrissen worden, die Spitzenkandidatur blieb ihm versagt, der Fraktionsvorsitz im Landtag wackelte bereits. Trotz der Enttäuschungen pflegt er sorgsam die Attitüde des Großmeisters des politischen Schachbretts. Ulrich Maurer (56) kleidet seine düsteren Zeitdiagnosen gern in historische Vergleiche. Dem gelernten Juristen bietet der Untergang des Römischen Reiches einen weiten Referenzraum für trübe Betrachtungen über den Zerfall moderner Demokratien, den Verlust der gesellschaftlichen Bindekräfte, die Maßlosigkeit der Reichen und die Deklassierung der Unterschichten.
Bei der Landtagswahl 2001 legte die SPD in Baden-Württemberg deutlich zu, auch wenn sie immer noch weit entfernt ist von der Macht in der Stuttgarter Villa Reitzenstein, dem Sitz des Ministerpräsidenten. Als Prätorianer, der die Schalthebel der Macht bedient, wirkte Ulrich Maurer dabei insofern mit, als er sich nach Preisgabe aller eigenen Ambitionen für die junge SPD-Landesvorsitzende Ute Vogt als Spitzenkandidatin stark gemacht hatte. Sein Verhältnis zu Vogt beschrieb er später einmal als das des Malers zu seinem Bild: Maurer der Schöpfer, Vogt das Geschöpf.
Doch da schwang schon Enttäuschung mit über das am Ende missratene Werk. Denn die als frisch und unverbraucht geltende Vogt holte zwar bei der Landtagswahl für die SPD ein Plus von acht Prozent, dies aber frei aller Programmatik und jeglicher intellektueller Brillanz. Was wiederum Kanzler Gerhard Schröder gefiel, der die Rechtsanwältin erst der Führungsreserve der Partei zuordnete, dann zur Staatssekretärin im Bundesinnenministerium beförderte und schließlich zur stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden promovierte.
Ute Vogt löste sich von ihrem Vorbild Maurer und lief mit wehenden Fahnen zum Kanzler über. Bitter für Maurer, denn mit Gerhard Schröder war er schon in gemeinsamen Juso-Tagen aneinander geraten. 1993, als die SPD-Mitglieder über einen neuen Parteivorsitzenden befragt wurden, arbeitete Maurer an einem Abwehrbündnis gegen Schröder. Neuer SPD-Chef wurde Rudolf Scharping. Wenn Maurer heute den Stab über die Politik des Kanzlers bricht, hat dies auch biographische Gründe.
Nun heuert Maurer erneut als Prätorianer-Führer an. Diesmal allerdings aus sozialdemokratischer Sicht im Dienste illegitimer Mannen, als Statthalter von Oskar Lafontaine und Gregor Gysi in Süddeutschland. Ende Juni gab er nach 35 Jahren sein SPD-Parteibuch ab, um kurz darauf zur Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) überzutreten. In einem fulminanten Abschiedsbrief an den baden-württembergischen SPD-Vorstand geißelte er den "Deformationsprozess" der SPD, als dessen "Ausdruck und Motor" er Gerhard Schröder namhaft machte: "Die vollständige Unterwerfung der Partei unter den als Putsch von oben inszenierten letzten Willen des Autokraten und seines Parteivorsitzenden ist ein in der Geschichte der SPD beispielloser Vorgang." Den Parteimitgliedern bleibe nur die Wahl zwischen "Unterwerfung und Trennung".
So klagt Maurer den Kanzler an, die SPD von ihrer Wählerschaft zu entfremden. Das habe zwei Konsequenzen: die soziale Marginalisierung der kleinen Leute und die politische Marginalisierung der Sozialdemokratie. Vor zwei Jahren erinnerte er in einem Interview an das Wort Johannes Raus von der SPD als "Schutzmacht der kleinen Leute". Maurer warnte: "Die SPD hat nicht die geringste Chance, irgendwo eine Wahl zu gewinnen, wenn die Vorstellung besteht, dass wir unsere klassische Rolle als Verteidiger von Arbeitnehmerrechten und als Partei der sozialen Gerechtigkeit in Zweifel ziehen."
Dass Maurers Entfremdung von der Schröderschen SPD-Politik auch mit dem Verlust eigener Karrierechancen zu tun hat, würde er selbstverständlich verneinen. Aber seine inhaltliche Position war in der Vergangenheit nicht so selbstlos, wie er es heute wahrhaben will. Als starker Mann der großen Koalition, die Baden-Württemberg von 1992 bis 1996 regierte, setzte er in der SPD eine Politik der Haushaltskonsolidierung durch. Seine Linie in der Innen- und Sicherheitspolitik illustrierte Maurer, der 1994 die Rolle des Schatten-Innenministers im Wahlkampfteam des Kanzlerkandidaten Rudolf Scharping übernommen hatte, mit dem Spruch: "Einer muss ja den Noske machen." Der Sozialdemokrat Gustav Noske war 1919 verantwortlich gewesen für die blutige Niederschlagung des Spartakusaufstands sowie diverser Versuche, Räterepubliken in Deutschland zu gründen. Maurers neue Freunde bei der PDS werden an solchen rhetorischen Stilblüten wenig Gefallen finden.
Gleichwohl hat der in Stuttgart geborene Rechtsanwalt niemals vergessen, dass er aus kleinen Verhältnissen stammt. Die Macht in der baden-württembergischen SPD teilte er sich lange Jahre mit Dieter Spöri, der in der großen Koalition das Amt des Wirtschaftsministers innehatte. Die beiden kultivierten ihre Partnerschaft unter dem Motto: "Vier Fäuste für ein Halleluja". Spöri kümmerte sich schon damals um das, was unter Schröder als "Neue Mitte" firmierte, Maurer achtete auf die sozialdemokratische Linientreue. Entgegen der schlechten Gewohnheit vieler Sozialdemokraten widerstand er der Gefahr, auf die Schwarzen zu schimpfen, um dann willfährig jeden Krumen aufzuschnappen, der vom Tisch der Macht fällt.
Auch die Toskana war für ihn immer nur ein geographischer Begriff, Eleganz kennt er lediglich als intellektuelle Kategorie - andernfalls wäre er als SPD-Vormann nicht all die Zeit in einem knallroten Audi mit dem Kennzeichen S-PD sowie der Jahreszahl der jeweils nächsten Wahlniederlage durch den Südwesten gerauscht. Im Landtag jedoch knirschten die Schwarzen regelmäßig mit den Zähnen, wenn Maurer, der eindrucksvoll und wortmächtig zu reden versteht, mit der Politik der CDU/FDP-Koalition ins Gericht ging. Der "Rote Riese", wie er damals noch genannt wurde, verstand meist, die große Linie zu ziehen, während sein Oppositions-Partner Fritz Kuhn von Bündnis90/Die Grünen sich am Kleingedruckten in der Regierungspolitik abarbeitete.
Heute sitzt Ulrich Maurer in der letzten Reihe der Abgeordnetenbänke des Stuttgarter Landtags. Die SPD-Fraktion hat ihn aufgefordert, sein Mandat niederzulegen, was Maurer mit der Begründung ablehnt, nicht er habe sich geändert, sondern die SPD. Immerhin ist er jetzt der erste WASG-Parlamentarier Deutschlands. Grimmig genießt er den Hass seiner alten Fraktionskollegen und spricht immer wieder von seinem neuen Ziel: den "endgültigen Durchmarsch der neoliberalen Politik" unter schwarz-gelber Führung zu verhindern. Maurer in der Rolle des Sklavenführers Spartakus. Ob ihm dieser historische Vergleich behagt? Dazu muss er wahrscheinlich erst den Noske in sich befragen.
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