Hängepartie in Genf

Weltklimakonferenz Woher soll der Aufbruch zum Handeln kommen? Aus der Mitte unserer Gesellschaft? Aus der Wirtschaft? Aus der Politik? Es gibt Grund zum Pessimismus
Ausgabe 45/2015
Hängepartie in Genf

Bild: Archiv/der Freitag

Auf der Weltklimakonferenz erfreute sich die Sprache des Sports größter Beliebtheit. Bei Pier Vellinga vom niederländischen Umweltministerium etwa war die Rede vom „Treibhaus-Marathon“, der jetzt vor der Staatengemeinschaft liege. Dabei gehe es zunächst einmal um die Festlegung eines gemeinsamen Ziels, dem das gesamte Feld zuzustreben hätte. Wenn Einigkeit über das Ziel bestehe. könne man sich Gedanken über die Route machen und Meilensteine einrammen, um nicht vom Wege abzukommen. Vellingas vortreffliche Metapher hat nur einen Haken: Der Startschuss will nicht recht fallen. Eine beträchtliche Zahl von schwergewichtigen Teilnehmern nämlich lungert lustlos am Startpunkt herum und bezweifelt die Sinnhaftigkeit des Loslaufens.

Die Bereitschaft, sich auf die Festlegung von verbindlichen Reduktionszielen für klimaschädigende Spurengase einzulassen, ist in der Staatengemeinschaft höchst unterschiedlich ausgeprägt. Auf den Fluren des internationalen Kongresszentrums von Genf war auch für diesen Sachverhalt schnell eine sportliche Sprachreglung gefunden, wobei hier allerdings das Wörterbuch des Mannschaftssports bemüht wurde. Die Rede war von drei Divisionen, in denen Teams höchst unterschiedlicher Motivation kickten. Die erste Division umfasst die Staaten, in denen eine erklärte Bereitschaft zur Reduzierung von Kohlendioxid „H(CO^2) besteht. Hier spielen die Bundesrepublik, Dänemark, Österreich, Australien, Neuseeland und die Niederlande. Mit Ausnahme der Niederländer, die eine Reduzierung ihrer CO2-Emissionen um lediglich fünf Prozent bis zum Jahr 2000 anstreben, haben sich alle Mitglieder dieser Gruppe eine mindestens zwanzigprozentige Reduzierung ihrer entsprechenden Emissionen bis 2000 zum Ziel gesetzt. (BRD: 25 Prozent bis 2005). Die zweite Division umfasst die Staaten bzw. Staatengemeinschaften, die sich auf eine Stabilisierung ihrer Kohlendioxidemissionen festgelegt haben. Hierzu zählen zum Beispiel Kanada, die Schweiz, Schweden, Norwegen und - eine Überraschung, die wenige Tage vor der Genfer Konferenz bekannt wurde - auch Japan. Im Jahr 2000 sollen die Emissionen dieser Länder nicht höher sein als 1990. Zu dieser Gruppe zählen im Prinzip auch die EG und die EFTA insgesamt. Die rote Laterne der zweiten Division hält das Vereinigte Königreich, das sich eine Stabilisierung seines Co2-Ausstoßes erst für das Jahr 2005 vorgenommen hat.

In der dritten Division finden sich die Staaten, die bisher durch Inaktivität auffallen. Zu dieser Gruppe gehören die westlichen Industriestaaten USA und Türkei sowie die Staaten des zerfallenden RGW, insbesondere die Sowjetunion. Während für die Abstinenz der Osteuropäer vor allem ihre ökonomische Misere verantwortlich sein dürfte, ist der Stillstand in den USA im wesentlichen Resultat einer halsstarrigen Administration, Präsident Bush und sein Berater Sununu haben erst jüngst wieder unmissverständlich klargestellt, dass der „american way of life“ auf keinen Fall zur Disposition stehe, also auch nicht, wenn es um Maßnahmen zum Klimaschutz gehe. Ob den Herren entgangen ist, dass dieser Lebensstil dem Klima nicht bekommt?

Für den Leiter der Genfer US-Delegation, John Knauss, war die Kritik an den Vereinigten Staaten ohnehin unbegründet. Kein Land gebe so viel Geld für die Klimaforschung aus wie das seinige. Im übrigen sei erst unlängst der „Clean Air Act“ verschärft worden, was auch entlastend auf die Atmosphäre wirke. Die Antwort auf die Frage, warum die Amerikaner denn keine Selbstverpflichtung eingehen, wenn alles zum besten bestellt sei, blieb Knauss allerdings schuldig.

Immerhin hielt sich in inoffizielleren Gesprächen hartnäckig das Gerücht, dass die US-Administration im Februar 1991 eine Stabilisierung der amerikanischen Emissionen bis zum Jahr 2000 bekanntgeben werde. Dann nämlich beginnen in Washington die Verhandlungen über eine internationale Klimakonvention. Diese Konvention soll im Juni 1992 unterschriftsreif sein und auf der Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung in Brasilien verabschiedet werden.

Die Verhandlungen während der nächsten knapp zwei Jahre werden also wohl eher unter einem schlechten Stern stehen. Erschwerend kommt noch hinzu, dass die sowjetisch-amerikanische Tunix-Allianz mit China, Indien, Brasilien und Saudi-Arabien potente Unterstützer gefunden hat.

Während die drei erstgenannten ihre Industrialisierungspläne durch Klimaschutz gefährdet sehen, geht es den Saudis vor allem um den Absatz ihres Öls. Ein Lichtblick auf der Genfer Konferenz waren die Verlautbarungen einzelner Vertreter afrikanischer und asiatischer Entwicklungsländer. Sie betonten immer wieder die Notwendigkeit der Synchronisation von Umwelt- und Entwicklungszielen. Hierzu brauche man aber die Unterstützung der Industriestaaten, und zwar in Form von Finanz- und Technologietransfers sowie in Form einer radikal geänderten Entwicklungszusammenarbeit.

„Asymmetrische Konstruktionen“, die von den unterentwickelten Ländern mehr verlangten als von den Industriestaaten, seien ohne jede Chance. Das beliebte Klischee vom „Öko-Imperialismus“, das von den nationalen Eliten der Entwicklungsländer nur allzu gern eingesetzt wird, um die Notwendigkeit eigener Klimaschutzmaßnahmen in Abrede zu stellen, und das von manchen ahnungslosen Internationalisten hierzulande kritiklos nachgeplappert wird, tauchte in den nachdenklichen Beiträgen aus Afrika und Asien nicht auf. Statt dessen wurde der Spieß auf kluge Weise umgedreht: Man nennt die Bedingungen, die für das Einschlagen eines klimaverträglichen Entwicklungspfades im Süden wie im Norden erforderlich sind. Und dabei fällt der Blick naturgemäß zunächst auf den weder naturverträglichen noch exportfähigen industriegesellschaftlichen Lebensstil.

Gemessen an dem, was zum Schutz der Atmosphäre erforderlich wäre, müssen alle Reduktionspläne, die auf oder im Umfeld der Genfer Konferenz bekannt wurden, als halbherzig und untauglich gelten. Selbst die Teams der ersten Division, die sich gern als ökologische Musterknaben gerieren, bleiben weit hinter dem zurück, was das „Intergovernmental Panel on Climate Change“ (IPCC) als notwendig beschrieben hat. Wenn, so das unter dem Dach der Vereinten Nationen angesiedelte IPCC, der Temperaturanstieg auf ein tolerantes Maß begrenzt werden soll, dann ist eine schnellstmögliche Reduzierung der Kohlendioxid-Emissionen um mindestens 60 Prozent erforderlich. Sollte dagegen weiter verfahren werden wie bisher, ist mit einem Temperaturanstieg von mindestens 3 Grad Celsius und einem Meeresspiegelanstieg um etwa 70 cm bis zum Jahre 2100 zu rechnen. Wahrhaft trübe Aussichten!

ln die Abschlusserklärung des wissenschaftlichen Teils der Klimakonferenz haben die vielbeachteten IPCC-Ergebnisse nur beschränkt Eingang gefunden. Konkrete Vorschläge für Reduktionsziele und "Fahrpläne“ fehlen. Statt dessen wird zum wiederholten Mal die Notwendigkeit weiterer Forschung angemahnt. Wiewohl diese unzweifelhaft besteht, so läuft der fehlende Biss der Wissenschaftsgemeinde doch Gefahr, weiterem Zögern Vorschub zu leisten. Die Beharrungskräfte in Politik und Wirtschaft werden das Signal von Genf auf ihre Weise zu interpretieren wissen.

Woher also soll der Aufbruch zum Handeln kommen? Aus der Mitte unserer Gesellschaft? 200 km Stau auf der Autobahn zwischen Nürnberg und Berlin - und zwar nachts! Aus der Wirtschaft? Die deutsche Automobilindustrie steht vor einem neuen Rekordjahr! Aus der Politik? Als in der letzten Woche der Bericht der Enquete-Kommission „Klimaschutz“ im Bundestag diskutiert wurde, herrschte im Plenarsaal gähnende Leere. Grund zum Pessimismus? Jatürlich nicht!

Reinhard Loske ist Mitarbeiter am Berliner Institut für ökologische Wirtschaftsforschung und hat für das „Climixte Action Network Europe“ an der Weltklimakonferenz teilgenommen

Dieser Text erschien am 9. November 1990 in der ersten Ausgabe des Freitag

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