Was Terroristen erreichen wollen.

Terrorhysterie Und wie wir zum totalen Erfolg eines Terroranschlages beitragen und uns dabei von weitaus größeren Gefahren ablenken lassen.

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Terroranschläge lösen bei uns Angst und Entsetzen aus. Eine instinktive Angstreaktion kann überlebenswichtig sein, wenn sie vor akuten, realen Gefahren warnt. Entscheidend ist aber, wie wir mit diesen spontanen und unvermeidlichen Gefühlen umgehen, die durch Berichte von Attentaten ausgelöst werden. Denn mit unserem Verhalten entscheiden wir darüber, ob Terroristen ihren Anschlag als Erfolg verbuchen können und so zu weiteren Attentaten ermuntert werden.

Terroristen wollen nämlich nicht nur Angst und Schrecken verbreiten, sondern vor allem möglichst große Aufmerksamkeit erregen. Je mehr Raum also die Beschäftigung mit dem Terror in unseren Gesellschaften einnimmt - vor allem in Politik und Medien -, desto mehr werden letztlich die Absichten der Attentäter unterstützt. Zweitrangig ist dabei, ob es sich um Solidaritätsbekundungen mit den Opfern, Demonstrationen für westliche Werte oder Sicherheitsdebatten handelt, ob die Berichterstattung differenziert oder populistisch erscheint. Die Erfolge der Public Relation des Schreckens messen sich nämlich allein an der medialen Resonanz. Denn erst sie ermöglicht den erfolgreichen Abschluss des Terroranschlags.

Wenn sich Politik und Medien nicht auf diese Weise zu Erfüllungsgehilfinnen des Terrors hergäben, verpufften die Attentate in der Wahrnehmung der Täter wirkungslos. Auch wenn dies für uns ein unerträglicher Zynismus ist, sterben bei den Anschlägen doch Menschen: Diese „Bestrafung“ oder Vernichtung „Ungläubiger“ ist für islamistische Terroristen, die ansonsten ohnehin nur diffuse destruktive Ziele verfolgen, nicht der eigentliche Zweck ihrer Aktionen. Sondern sie sind nur ein Mittel ihrer menschenverachtenden Propaganda. Ohne unser aller Mithilfe in Gesellschaft und Medien wäre sie zum Scheitern verurteilt.

Auch nach dem Anschlag von Berlin wiederholten sich die bekannten konditionierten Reaktionsmuster mit fast schon naturgesetzlicher Zuverlässigkeit. Das macht den Erfolg von Anschlägen in der Sicht von Terroristen zu einer todsicheren Angelegenheit. Können sie sich doch auf unser aller Mithilfe verlassen: durch die tagelange – als Werbezeit unbezahlbare – Berichterstattung, die ihren zumeist dürftigen Informationsgehalt auch durch ständige Wiederholungen nicht kompensieren kann. Das allgegenwärtige gedankenlose Trommelfeuer der Terrorberichterstattung nimmt fast schon totalitäre Ausmaße an.

Für die Terroristen stellt es sich als überwältigender Propagandaerfolg dar, der in mehrfacher Hinsicht verheerend ist:

Wenn sich die Anschläge offensichtlich zu lohnen scheinen, steigt nämlich die Wahrscheinlichkeit neuer Attentate. Geradezu grotesk ist, wie wir dabei die Terroristen zu einem dämonischen Popanz aufbauen, der nichts mit ihrer tatsächlichen Gefahr zu tun hat. Im Übrigen beklagen wir oft die Täterperspektive und die Vernachlässigung der Opfer bei Berichten über Gewaltverbrechen. Die Terrorberichterstattung geht weit darüber hinaus. Überhöht sie doch die Täter geradezu ins Mythische:

Die Kanzlerin bezeichnet in ihrer Neujahrsansprache den Terrorismus als „die schwerste Prüfung“ und Kommentatoren faseln nach dem Berliner Anschlag gar von einem neuen Kapitel deutscher Geschichte: Einem lebensuntüchtigen Kleinkriminellen wird also historische Bedeutung zugesprochen, nur weil er einen LKW stiehlt und in eine Menschenmenge steuert. Wenn der französische Präsident verkündet, Frankreich befände sich im Krieg mit den Terroristen, erklärt er einzelne Mörder, die oft gescheiterte Existenzen sind, zu Kriegsgegnern der Grande Nation. Könnte nicht diese Überhöhung zu Personen von historischem Rang potentiellen Selbstmordattentäter den entscheidenden Motivations-Kick geben, der sie ebenfalls zur Tat schreiten lässt? Beschränkte sich die Berichterstattung dagegen auf den Anteil, der dem Risiko von Terroranschlägen angemessen wäre, verfehlten Attentate ihren Zweck und machten sie so letztlich überflüssig.

Seit 9/11, also in den letzten 15 Jahren, starben in Deutschland nach Schätzungen des Max-Plank-Instituts ca. eine halbe Million Menschen an den Folgen von Feinstaub, aber nur 13 durch islamistischen Terror. Im Jahr fallen also im Durchschnitt 35000 Menschen dem Feinstaub zum Opfer, 3475 verunglückten im Übrigen 2015 im Straßenverkehr tödlich. Im Vergleich dazu tendiert die Gefahr von Terroranschlägen jährlich gegen Null.

Zum Jahresende diskutierten deutsche Politiker tagelang über den Sinn von Videoüberwachungen. Deren Erfolg ist für die Terrorbekämpfung zumindest zweifelhaft. Politiker und Medien sind also mit fragwürdigen Methoden beschäftigt, um das durchschnittlich eine Terroropfer im Jahr zu verhindern. Währenddessen sterben täglich zehn Menschen bei Verkehrsunfällen und 95 Menschen nur an den Folgen des Feinstaubs. Viele dieser Menschenleben könnten gerettet werden, wenn beispielsweise auch Dieselfahrzeuge in Innenstädten verboten oder die mafiösen Vertuschungen von Abgaswerten durch die deutsche Autoindustrie konsequent aufgeklärt und bekämpft würden. Diese und weitere noch wichtigere lebensrettenden Maßnahmen scheinen aber weder das Verkehrsministerium noch die Medien sonderlich zu beschäftigen.

Menschen fühlen sich bei Massenveranstaltungen, die sie freiwillig besuchen, sicherer, wenn ihre Taschen kontrolliert werden. Sollten aber Feinstaubemissionen nicht erst recht angemessen überprüft und in Städten bekämpft werden? Gilt es nicht vordringlich den Lebensraum, in dem wir uns aufhalten müssen, vor tödlichen Gefahren zu schützen?

Warum nehmen wir dieses Problem, dem stündlich fast vier Menschen zum Opfer fallen, in Kauf? Vielleicht deshalb, weil die Lösungen auch unsere konkreten Lebensgewohnheiten als Autofahrer und die wirtschaftlichen Interessen der deutschen Autoindustrie bedrohen?

Im Vergleich zur Abwehr tödlichen Feinstaubs, die weder Politik, Industrie noch Autofahrer angemessen in Angriff nehmen, ist die Notwendigkeit der Terrorbekämpfung kaum messbar. Natürlich hat auch sie ihre Berechtigung, sie sollte aber in Politik und Medien nur auf den angemessenen vergleichsweise winzigen Bruchteil beschränkt bleiben. Haben sich verantwortungsbewusste Politiker und Journalisten nicht stattdessen intensiv und ausführlich mit realer „Massenvernichtung“, beispielsweise durch Feinstaub, auseinanderzusetzen? Ließen sich doch so nicht nur unvergleichlich viele Menschenleben retten, sondern auch Terroranschläge aufs effektivste bekämpfen. Sie könnten nämlich ihren eigentlichen Zweck, möglichst große Aufmerksamkeit zu erregen, nicht mehr erfüllen! Wird sich aber Terror, der ins Leere läuft und sich offensichtlich erübrigt, noch lange aufrechterhalten lassen?

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Geschrieben von

Reinhard Salomon

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