Alles Populismus - oder was?

Rhetorische Allzweckwaffe „Populismus“ - ein Wechselrahmen politischer Beliebigkeit, eine Streubombe der herrschenden Meinung zur Abwehr jeglicher Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen

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„Personalisierung, Verfälschung, Eliten- und Intellektuellenhass“, Hass auf „die Banker“ statt profunde Kapitalismuskritik, „Politikerfeindschaft“ statt „nüchterne Kritik am bürgerlichen Staat“ usw., „Lügenpresse“-Geschreie statt „Kritik am Privatbesitz an Massenmedien“, „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ statt sachlicher „Kritik an Strukturen und Systemen“ - mit dieser Aufzählung (die sicher keinen Anspruch auf Vollzähligkeit erhebt) beschreibt Franz Hausmann in einem Freitag-Blog („Überlasst das den Rechten“ v. 21.12.2015 ) treffend die pseudopolitischen Gestikulationen, die mit Popanzattacken von den wahren Problemkernen eher ablenken und damit die Verhältnisse nolens volens eher stabilisieren statt sie zum Tanzen zu bringen. Seiner Warnung, eine politische Linke, die rechte Denkmuster bediene, mache sich überflüssig, ist nur zuzustimmen.

Seine Gewißheit, „warum es einen linken Populismus nicht geben“ könne, wirft allerdings die Frage auf, wie tauglich die allgegenwärtigen Diskursfigur „Populismus“ in diesem Zusammenhang überhaupt ist. Das dürfte mehr noch für hie und da gegebene Empfehlungen an die Linke gelten, diesen von der herrschende Meinung polemisch aufgeladenen Begriff kurzerhand selbstbewußt ins Positive zu wenden. Damit kann sie nur in eine Diskursfalle tappen. Besser wäre es wohl, diesen rhetorischen Spieß einfach umzudrehen und gegen seine Urheber selbst zu richten.

In der politischen Debatte wird „Populismus“ gern wie eine Streubombe zur Abwehr jeglicher Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen von den Kritisierten als rhetorische Konterwaffe in Anschlag gebracht. Dabei herrscht bei den diversen Definitionsversuchen und Verwendungen dieses Begriffes, den es in dieser pejorativen Aufladung erst seit den 60er Jahren gibt, ein heilloses semantisches Durcheinander. Sie reichen von „einem spezifischen Politikstil“, „einer Form der politischen Rhetorik“, einer „Strategie zum Machterwerb“, bis zu nichts weniger als einer eigenständigen „Ideologie“, aber ohne „bestimmtes, eigenes Wertesystem“ und „ideologischen Kern“ (sic!). „Populismus“ könne mit allen möglichen „politischen Richtungen und Zielsetzungen einhergehen“ (Karin Priester). Kurz - „Populismus“ ist demnach alles und - nichts, ein Passepartout-Begriff, eine rhetorische Allzweckwaffe für alle Fälle, ein Wechselrahmen politischer Beliebigkeit. „Populismus“ sei kein Substanz- sondern ein Relationsbegriff, so das höchstrichterliche Verdikt der Bundeszentrale für politische Bildung, damit einräumend, daß „Populismus“ ein Begriff ohne Substanz ist.

Es gibt wohl kein politisches Phänomen in der Geschichte, auf welches das eine oder andere aufgelistete „Populismus“-Merkmal nicht anwendbar wäre. So etwa der „Anti-Elitarismus“, denn was waren alle Revolutionen und Aufstände der Weltgeschichte anderes als von „Anti-Elitarismus“ getrieben, also gegen die jeweiligen Herrscher-Eliten gerichtet, seien sie nun göttlicher oder sonstiger Provenienz? Nach Cas Mudde steht gar jegliche „Ideologie“, die in der Gesellschaft eine Klassenteilung anprangert und die Respektierung der „volonté générale“ einfordert, an diesem Schindanger des politisch Aussätzigen. Jacques Rousseau und Karl Marx - nichts als „Populisten“? Besonders pikant das Schandmal des „Anti-Intellektualismus‘“: Ludwig Erhard mit seinem Pinscher-Vorwurf an die Adresse unliebsamer kritischer Schriftsteller in der Notstandsdebatte der 60er Jahre - ein Populist? Wenn „Moralisierung, Polarisierung und Personalisierung der Politik“ Ausdruck von „Populismus“ sind (wiederum laut BzpB), dann ist die gesamte gegenwärtige Rußlandpolitik des Westens nichts anderes als Populismus reinsten Wassers.

Wo ist denn nun, bitte schön, der „Populismus“ überall zu lokalisieren. Kai-Olaf Lang ist da nicht kleinlich. So identifiziert er z. B. in den sog. post-kommunistischen Ländern „Nationalpopulisten, Linkspopulisten, Agrarpopulisten; Populisten der Mitte, Nationalliberale und Nationalkonservative, Sozialpopulisten sowie Law-and-Order-Populisten“, also das gesamte politische Spektrum. Andere wiederum sehen gar noch einen „neoliberalen Populismus“ und einem „Sozialpopulismus“ am Werke, der sich mit dem „demokratischen Sozialismus“ als „Wirtsideologie“ verbinde (dabei offen lassend, wer von beiden der Parasit ist!). Die SPD mit ihrem jahrzehntelangen Grundwerteprogramm des „Demokratischen Sozialismus‘“ (nicht zu reden von der SPD-Programmatik vor Bad Godesberg) - nichts als eine „populistische“ Partei?

Nach all diesen Ortszuweisungen der unterschiedlichen „Populismen“ auf der politischen Klaviatur fragt man sich dann allerdings, welche Tasten denn dann noch übrig blieben, die davor gefeit wären, ihnen das Populismus-Etikett aufzukleben? Nimmt man alle Definitionen zusammen, dann schrumpft diese Parzelle wie das Chagrinleder bei Balzac.

Der neue Berliner Think-Thank „Das Progressive Zentrum“ veranstaltete neulich eine Debatte über Populismus in Deutschland und Großbritannien. Auf die Frage eines Zuhörers, auf welche Begriffsdefinition man sich denn nun, bitte schön, bei der ganzen Debatte beziehe, lautete die lapidare Antwort, über den Begriffsinhalt herrsche in den Politischen Wissenschaften „Common sense“. Zu den Merkmalen des Populismus führt der einschlägige Wikipedia-Artikel nun pikanterweise wiederum auch die „Berufung auf den „gesunden Menschenverstand“ (common sense)“ an. Daraus ergibt sich nur ein logischer Schluß: Das permanente Rundum-Schwingen der rhetorischen Populismus-Keule ist nichts anderes als - Populismus.



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