Die Banalität des Morbiden

Bonjour tristesse Harald Hauswald gilt als Enfant terrible der dokumentarischen Fotografie in der DDR. Eine Berliner Galerie zeigt sein Werk nun in einer Jubiläumsausstellung

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Er richtete sein Kameraobjektiv eher auf die Schmuddelecken der DDR, dokumentierte die Zeichen von Zerfall, des Abseitigen und des Bröckelnden in der spätsozialistischen deutschen Republik: Ärmlich gekleidete Menschen mit zumeist finster-skeptischem und stumpfem Blick voller Hoffnungslosigkeit und Resignation, müde und mißmutig. Punks mit genretypisch greller Haartracht und Outfit. Eine Gruppe versprengter Fahnenträger nach einer der Ritualdemonstrationen, verzweifelt gegen den Sturm ankämpfend. Den Trabbi, gleichsam der Volkswagen des Ostens, der sich nur mit Hilfe der ganzen Familie durch Anschieben in Bewegung setzen läßt usw...

Harald Hauswald war zu DDR-Zeiten so etwas wie ein Enfant terrible der dokumentarischen Fotografie. Seine mittlerweile legendären unprätentiösen Schwarz-Weiß-Fotos hielten die Schattenseiten des Alltags abseits der Protokoll-Strecken, Vorzeige-Areale und von inszenierter Fröhlichkeit fest. Als Telegramm-Bote, neben Friedhofsgärtner einer der typischen Aussteiger-Jobs in der DDR, geriet der in Radebeul bei Dresden geborene gelernte Fotograf in seiner späteren Wahlheimat Ost-Berlin in so manche Ecken und Hinterhäuser, v. a. in Prenzlauer Berg, abseits der Schokoladenseiten der DDR. Sein Interesse galt dem scheinbar Nebensächlichen, zumeist Verborgenen oder Versteckten. Er spürte den ganz individuellen Aspirationen, Verweigerungen oder zur Schau gestellten Macken von Nonkonformisten und Exzentrikern aller Couleur nach. Er tat dies bei aller „sanften Kühle und Reserviertheit“ (Peter Wawerzinek) gleichwohl mit unverkennbarer solidarischer Empathie. Er schuf damit gleichsam ein „picturales Wording“ ganz eigener Art, das wohl sehr treffend das Lebensgefühl vieler Menschen in der ins Abendlicht getauchten DDR widerspiegelt.

Aus westseitiger Perspektive waren dies in der Tat Zeugnisse aus dem „Fernen Osten“, so der Titel eines seiner ersten (nur im Westen erschienen) Bildbände. Diese Fotodokumente fanden dortzulande um so größere Wertschätzung, als sie die gewachsenen Vorstellungen und Klischees vom Leben ostseits der Mauer zu bestätigen schienen, wie etwa die Warteschlange vor dem Fleischer in der Oderberger Straße im Berliner Prenzlauer Berg, die vor sich hin bröckelnde Altbauruine vor trister Plattenbaufassade, die schwer gebeugte Greisin auf frühindustriellem Kopfsteinpflaster mit eingelassener Straßenbahnschiene usw. Besonders witzig die sarkastischen Seitenhiebe in den Fotos mit Politlosungen als grotesk kontrastierende Kulissen wie „Es lebe der Marxismus-Leninismus“ über protzigen Volvo-Limousinen, wie sie in den 80er Jahren von Politbüro-Mitgliedern benutzt wurden, oder „Frieden ist nicht Sein - sondern Tun“ über einer langen Bank, voll besetzt mit gelangweilt dreinschauenden und wie in Second-Hand-Kleidung gehüllte alten Leuten, worauf auch immer wartend. Über allem liegt ein Schleier mißmutiger Apathie und lähmender Morbidität.

Diese Bild gewordene Endzeitstimmung war es dann wohl auch, die das kulturpolitische Establishment der DDR dazu bewog, Harald Hauswalds Fotokunst das künstlerische Stadtrecht zu verwehren und ihn so an den gesellschaftlichen Rand und Quasi-Untergrund abzudrängen. (Die Weihe einer Mitgliedschaft in dem staatskonformen „Verband Bildender Künstler der DDR“ wurde ihm erst zuteil, als der gerade im Begriff war, die konformistische Nabelschnur zu durchschneiden und sich wie die anderen Künstlerverbände an die Spitze der Wendebewegung zu stellen, also kurz vor Zwölf.) An der Motivwahl allein kann es nicht gelegen haben: Auch DDR-Fotokünstler wie Sibylle Bergemann, Christina Glanz, Arno Fischer, Roger Melis, Helga Paris, Jörg Knöfel oder Christian Brachwitz wagten mit ihren Arbeiten ganz ähnlich unheroische und z. T. nicht weniger ironisch-hintergründige Blicke auf einen glanzarmen DDR-Alltag (z. B. in dem Fotolesebuch des Aufbau-Verlages „Schau ins Land“ von 1989). Von ihnen unterscheidet sich Harald Hauswald allerdings durch einen alles überwölbenden Grauschleier der Tristesse ohne versteckte Zipfel von Optimismus oder Spuren von Zuversicht.

Nicht jeder, der damals in der DDR gelebt hat, wird sich nach einem ganz persönlichen Erinnerungsabgleich in den ikonographischen Botschaften und fotografischen Protokollen von Harald Hauswald einschränkungslos wiedererkennen wollen. Gleichwohl verdient die darin eingefangene Endzeitstimmung archiviert und im visuellen Gedächtnis aufbewahrt zu werden, wie sie in den letzten DDR-Jahren bei vielen Menschen zunehmend anschwoll, ob bewußt oder unbewußt, ob angst- oder hoffnungsvoll.

Die legendäre Fotogalerie Friedrichshain am Helsingforser Platz war die erste und einzige Galerie dieser Art in der DDR. 15 Jahre lang wurden hier Fotografen aus dem In- und Ausland vorgestellt, unter ihnen international so bekannte wie Sebastiao Salgado, Tina Modotti und Imogen Cunnigham. Vor 12 Jahren nun ging die einstige städtische Galerie dann in die Trägerschaft des „Kulturring in Berlin e.V.“ über und hat sich seither mit großem Erfolg bemüht, mit ihrem Ausstellungsprogramm dem prestigeträchtigen Erbe gerecht zu werden. In diesem Geist widmet die Galerie nun unter dem Titel „Querbeet“ eine Jubiläumsausstellung zum 60. Geburtstag von Harald Hauswald, den man gut und gern in der großen Traditionslinie der europäischen realistischen Fotokunst eines August Sander, Henri Cartier-Bresson, Robert Doisneau oder Willy Ronis sehen darf. Dem Jubilar Harald Hauswald herzlichen Glückwunsch. Möge ihm sein fotografischer Scharfblick noch sehr lange erhalten bleiben - und dabei die Schmuddelecken von heute nicht aussparen...

9. Mai bis 20. Juni, Fotogalerie Friedrichshain, Helsingforser Platz 1, 10243 Berlin, T. 030 / 296 16 84, (fotogalerie@kulturring.org), Vernissage am 8. Mai ab 19 Uhr.

Di, Mi, Fr, Sa 14 - 18 Uhr, Do 10 - 18 Uhr

Vor Zeiten. Alltag im Osten: Fotografien 1976-1990 von Mathias Bertram und Harald Hauswald;

Ferner Osten: Die letzten Jahre der DDR. Fotografien 1986-1990;

Ost-Berlin: Leben vor dem Mauerfall / Life before the Wall fell von Harald Hauswald, Lutz Rathenow und Ilko-Sascha Kowalczuk;

Die DDR wird 50. Texte und Fotografien. Von Volker Handloik und Harald Hauswald Berlin, Aufbau-Verlag (1998)

Günther Drommer (Hrg): Schau ins Land. Ein Foto-Lese-Buch. Auswahl der Fotos Roger Melis. Berlin und Weimar. Aufbau-Verlag. 1989 / Frankfurt./M., Luchterhand


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