„Für deutsches Land das deutsche Schwert!“

Jubelfeiern Vor sechs Jahren hielten die Zeremonienmeister der Jubiläumsfeier zur Maueröffnung Musik aus Richard Wagners antisemitischen Kampfopern für den passenden Soundtrack

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Was für das Zweite Reich der Sedan-Tag war, ist für die Berliner Republik der 3. Oktober. Der Countdown zu den Jubelfeiern zum 25. Jahrestag der (vorerst wenigstens teilweisen) Wiedergewinnung der deutschen Ostgebiete nähert sich in anschwellendem Bocksgesang der Apotheose und weckt Erinnerungen an vergleichbare Hochämter in der Vergangenheit. Dabei verdient die protokollarische Raffinesse, von denen die Feierlichkeiten vor sechs Jahren zum 20. Jahrestag der Grenzöffnung geprägt waren, eine nähere Betrachtung.

Man erinnere sich: Highlights der damaligen Jubelfeiern waren zwei Festkonzerte, das eine am Brandenburger Tor und das andere im Berliner Dom, diesem Juwel teutonischer Architekturgeschichte wilhelminischer Provenienz. In beiden Konzerten bildete ausgerechnet das Oeuvre Richard Wagners, dieses Antisemiten vor dem Herrn („Das Judentum in der Musik“) und in Israel nach wie vor persona non grata, die „Pièces de résistance“, wie Thomas Mann gesagt hätte, also jeweils das Hauptgericht des musikalischen Menüs.

So etwa am Brandenburger Tor das Vorspiel zum Dritten Akt des „Lohengrin“, damit ausdrücklich einen Bogen von den angeblichen demokratischen Freiheitsidealen Wagners in der Revolution von 1948 zu denjenigen der Aktivisten der Herbstunruhen in der Spät-DDR 1989 spannend. Im Opern-Libretto hört sich das republikanisch-demokratische Freiheitsideal Wagners so an:

"Ob Ost, ob West, das gelte Allen gleich:
was deutsches Land heißt, stelle Kampfesscharen,
dann schmäht wohl Niemand mehr das Deutsche Reich"
(1. Aufzug, I. Szene).

Und hymnisch König Heinrich, als dessen Re-Inkarnation sich später Heinrich Himmler wähnte:

"Wie fühl' ich froh mein Herz entbrannt,
find ich in jedem deutschen Land
so kräftig reichen Heerverband!
Nun soll des Reiches Feind sich nahn,
wir wollen tapfer ihn empfahn:
aus seinem öden Ost daher
soll er sich nimmer wagen mehr!
Für deutsches Land das deutsche Schwert!.
So sei des Reiches Kraft bewährt!“
(3. Akt, 3. Szene)

Im Berliner Dom war es nicht schlechter: Unter der wohlwollenden Schirmherrschaft und damit unwidersprochenen Billigung des Bundespräsidenten setzte, obzwar eingebettet in Arnold Schoenberg und Felix Mendelssohn Bartholdy, die Darbietung des Vorspiels zum 3. Akt der "Die Meistersinger von Nürnberg", dieser „antisemitischen Kampfoper“ und diesem „musikdramatischen Zeugnisses für Wagners Vernichtungswunsch“ (H. Zelinsky), dem Ganzen Jubiläumsspektakel die Krone auf. Was hier nur Vorspiel war, gipfelt in der vollständigen Fassung des 3. Aktes bekanntlich in der Verhöhnung und Vertreibung der „undeutsch-jüdischen Musikkultur“ in der Gestalt des Beckmessers mit dem Fazit:

"Was deutsch und echt,
wüßt Keiner mehr,
lebt's nicht in deutscher Meister Ehr.
Drum sag ich Euch: ehrt Eure deutschen Meister!
Dann bannt ihr gute Geister;
und gebt ihr ihrem Wirken Gunst,
zerging in Dunst das heil'ge röm'sche Reich,
uns bliebe gleich die heil'ge deutsche Kunst!"

Auf der Bühne quittiert dann das Chor-Volk diese Huldigung auf der Nürnberger Festwiese mit Heil-Rufen auf Hans Sachs. Für Leni Riefenstahls Propaganda-Monster „Triumpf des Willens“ über den NS-Reichsparteitag 1936, natürlich in Nürnberg, war die Meistersinger-Musik gerade der passende Soundtrack, sozusagen stimmig übergehend in den vieltausendfachen Chorgesang „Deutschland, erwache!“

In diesem musikalischen Erbe eine Empfehlung für die Jubel-Konzerte zum Ende der staatlichen Aufteilung Deutschlands zu erblicken, war selbst dem Wagner-Urenkel und Musikhistoriker Dr. Gottfried Wagner zu viel, eh seit je ein scharfer Kritiker des mit viel Steuergeld betriebenen alljährlichen halbstaatlichen Wagner-Kults auf dem Grünen Hügel in Bayreuth. Seine Kritik an der geschichtsverfälschenden und legendenbasierten Instrumentalisierung, wenn man so sagen darf, der Musik seines Urgroßvaters wurde damals von den Premium-Medien teils mit Herablassung, teils mit vornehmer Nichtbeachtung quittiert, damit den Mythos vom Revolutionär und Demokraten Richard Wagner fortstrickend. Wie damals die Antisemitismus-Forscherin Annegret Ehmann in Erinnerung rief, hatte Wagner entgegen aller, kürzlich auch von Götz Aly wieder aufgewärmten Legenden keineswegs auf den Barrikaden in Dresden gekämpft, sondern sich beim ersten Pulverdampf schleunigst aus dem Staube gemacht. Als sich der Wind wieder drehte und den Revolutionären und republikanischen Demokraten wieder kalt ins Gesicht blies, drehte sich Wagner (wie andere Revolutionsveteranen auch) seinerseits wendehalsig und biederte sich später restaurativ-konservativen Mäzenen wie etwa dem Bayern-König Ludwig II. an, um sich von ihm aushalten und seinen High-Life-Style finanzieren zu lassen.

Am einträglichsten erwies es sich für Wagner dabei, das unstillbare Bedürfnis der Deutschen nach identitätsstiftenden Narrativen zu bedienen: So wurde er dann zu einem Spiritus rector des auf Germanenkult fundierten deutsch-nationalen Chauvinismus‘ mit einer aggressiven Judäophobie als Kern, die später Wilhelm Marr semantisch etwas unscharf als „Antisemitismus“ etikettieren sollte. Hitler boten die Germanenkult-Opern Wagners mit ihren Heldenmythen sowie sein Schrifttum nach eigenem Bekunden das alles auslösende Erweckungserlebnis für seine historische Mission. „Hitler sah in Richard Wagner "die größte Prophetengestalt, die das deutsche Volk besessen" habe. Nur ihn erkannte er als seinen Vorläufer an. Wagner war sein einziges Idol. Aus seinen Schriften zog er seine ideologischen Affekte. In seinen Bühnenwerken fand er sein Weltbild. An seiner Musik berauschte er sich.“ (Bernhard Woerdehoff) Joachim Köhler geht in seinem Buch "Wagners Hitler" noch weiter und sieht in Hitler niemand Geringeren als den „Wiedergänger Richard Wagners“, letzteren als den Schreibtischtäter, ersteren nur als den Vollstrecker dessen historischen Librettos für die Inszenierung deutscher Geschichte als Skript zur Vernichtung und Selbstvernichtung mit der "Götterdämmerung" 1945 als Finale.

Zur Peripetie dieser nationalen deutschen Tragödie gehörte auch der Nibelungen-Mythos. „Die deutschen Romantiker wie Wagner lasen aus dem Epos nur schmeichelhafte germanische Tugenden. Siegfried, der Held, einigt die Deutschen gegen den falschen, "wälschen" Kaiser (Napoleon). Wagner brachte diesen Stoff in seinem "Ring des Nibelungen" auf die Bühne und förderte damit über die Ästhetik der Musik die Nationalisierung der Massen. Im deutschen Reich... zierten Nibelungenfresken Rathäuser und Schulen. Nibelungentreue gegenüber der Obrigkeit wurde zur Staatsdoktrin.“ (Annegret Ehmann) Nicht im Ideal von Freiheit und Gleichheit also, sondern im Mythos von der ethnischen Homogenität der heldenhaften „Deutschen“ liege die Differentia specifica der deutschen national-staatlichen Entwicklung, so Ehmann.

Seine „neue Religion“ eines rein deutschen, nichtjüdischen Christentums („Parzival“) gedachte Wagner mit der kaum hundert Jahre später unter den Auspizien des Hakenkreuzes dann infernalische Wirklichkeit werdenden Rigorosität durchzusetzen: „Ich bringe ja keine Versöhnung .. , sondern den unbarmherzigsten Krieg... Hier ist nichts zu überzeugen und zu gewinnen, sondern nur auszurotten.“ ("Das Kunstwerk der Zukunft"). Die Shoah antizipierend, gab er den Juden zu bedenken, „daß nur Eines eure Erlösung von dem auf euch lastenden Fluche sein kann: die Erlösung Ahasvers – der Untergang!“ Für den Berliner Tiefenpsychologen Josef Rattner waren Wagners zu einer „Ideologie des Hasses“ gesteigerte judäophoben Ressentiments auch ein Ventil für dessen Minderwertigkeitskomplex und zugleich die erhoffte Eintrittskarte in die höhere gesellschaftliche Sphäre der arisch-deutschen Aristokratie. So viel zum Demokraten und Revolutionäre Richard Wagner.

Man fragte sich vor sechs Jahren natürlich hier und da, was, zur Hölle, die Zeremonien-Designer der Bundesregierung bewogen hatte, der Welt ausgerechnet Richard Wagners Ton-Oeuvre als Begleitmusik zu den Jubelfeiern zum 9. November (1989) in die Ohren zu drücken. War diese Wagner-Huldigung nur eine geschichtsvergessene Schludrigkeit oder vielmehr eine Freud‘sche Fehlleistung, Ausdruck einer bis zur Kenntlichkeit entstellten, im Unterbewußten wabernden Vorstellung von einer an „des Reiches Kraft“ orientierten wiedererstehenden politischen Machtstellung des größer gewordenen Deutschland von heute?

Man darf gespannt sein, welche musikalische „Pièces de résistance“ uns diesmal, zwei Bundespräsidenten später, aus der bundesdeutschen Protokoll-Küche für das Konzertmenu zur bevorstehenden Sedan-Feier von heute serviert werden. Wohl bekomm‘s!

Annegret Ehmann, Wagner- Musik in Festkonzertprogrammen zum 9. November 2009. In: Politisches Lernen 3-4/10; Hrsg. Dt. Vereinigung für Politische Bildung;
Joachim Köhler: Wagners Hitler. Der Prophet und sein Vollstrecker. (München 1997)

Bernhard Woerdehoff, Joachim Köhlers provozierende Studie "Der Prophet und sein Vollstrecker" (DIE ZEIT, 16/1997)

Josef Rattner: Richard Wagner im Lichte der Tiefenpsychologie. (Berlin 1984)

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