Kein Wort über Europa

Juppé und Fillon im Duell In dem gestrigen TV-Match zwischen den beiden Erstplatzierten der französischen Vorwahlen war von Außenpolitik nur am Rande, von Europa überhaupt nicht die Rede.

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Die „Primaires“, die Vorwahlen zur Kür des Präsidentschaftskandidaten der französischen Rechten, von Rudolf Walther hier treffend als „apartes, spätrömisch-archaisch anmutendes und korruptionsanfälliges Verfahren“ charakterisiert, hat den sicher wohl kalkulierten Kollateraleffekt, mit einer medial durchgestylten gigantischen Show-Inszenierung schon jetzt die Hegemonie im Aufmerksamkeitshaushalt der Franzosen zu Lasten der übrigen politischen Lager errungen zu haben. Das gestrige Fernsehduell zwischen François Fillon und Alain Juppé, den beiden Erstplatzierten der Vorrunde, war mit acht Millionen Zuschauern deren bisheriger Höhepunkt und wird seitdem auf allen Kanälen in nicht enden wollenden Debattenrunden rauf und runter dekliniert.

Man könnte meinen, ein solcher Vorgang in Deutschlands politisch wie wirtschaftlich wichtigstem Nachbarland würde hierzulande mit Argusaugen verfolgt. Um so bemerkenswerter sind die spärlichen ersten Reaktionen der hiesigen Official-Mind-Medien auf das Duell. In einer Mischung aus herablassender Nichtbeachtung und akzenteverzerrender Protokollierung wird die gebremste Wertschätzung deutlich gemacht, die man in der hiesigen Politischen Klasse allen symbolischen Beteuerungen zum Trotz dem „Kranken Mann“ Europas jenseits des Rheins entgegenbringt. FAZ, „Berliner Zeitung“, „Tagesspiegel“ und taz hielten das Ereignis zunächst nicht einmal für erwähnenswert. „Frankfurter Rundschau“, „Die Welt“, ZON und SPON begnügten sich mit ganz weit unten platziertem recyceltem Agenturmaterial.

Dabei fällt auf, was hierzuland die größte Aufmerksamkeit erregt. Es sind weniger die Hauptsorgen der Franzosen, etwa Wege aus der sozial-ökonomischen Dauerkrise zu finden, Antworten zu geben auf die großen Herausforderungen der digitalen Revolution der Arbeitswelt oder sich der Phantom-Debatte um die „Nationale Identität“ zu stellen, die seinerzeit Sarkozy anstieß, um im Wählerreservoir des Front National zu wildern. Nein, die Deutschen kennen in allen politischen Debatten wohl nur die eine Gretchen-Frage: „Wie hälst Du‘s mit Putin?“ „Beziehungen zu Russland polarisieren“ titelt ZON. Juppé sei „empört über Fillons Kuschelkurs mit Putin“, glaubt „Die Welt“ verstanden zu haben, der aus diesem Grunde seinem Widersacher „nur mit deutlichem Widerwillen“ die Hand gereicht habe. In der „Frankfurter Rundschau“ wird Fillon gar das Pfui-Etikett „Putin-Versteher“ angeheftet, hierzulande gleichbedeutend mit der medialen Exkommunizierung aus dem Olymp der Mitspracheberechtigten. Genüßlich wird gleich an prominenter Stelle Juppés Statement zitiert, "Das ist das erste Mal, dass der russische Staatschef seinen Kandidaten ... in einer französischen politischen Wahl aussucht." Fillon gelte als „russlandfreundlich“ und trete im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) für eine Koalition mit Moskau ein. Quel horreur! Ganz oben auf Fillons Kerbholz eingeritzt ist seine in „Le Monde“ erhobene Forderung, die EU-Sanktionen gegen Rußland endlich aufzuheben. Fillon pflege „beste Beziehungen zum russischen Präsidenten“ usw.

Diese Anti-Fillon-Suada ist gleich in mehrfacher Hinsicht bizarr. Eigentlich hätte Fillon mit seinem ultra-liberalen MEDEF-hörigen Sozialprogramm und seiner Absicht, die gesetzliche Arbeitszeit wieder heraufzusetzen, die Unternehmenssteuern abermals drastisch zu senken, die Vermögenssteuern abzuschaffen, die a-soziale Mehrwertsteuer anzuheben, durch Erhöhung des Renteneintrittsalters das Rentenniveau abzusenken, den Öffentlichen Dienst durch drastische Stellenkürzungen weiter einzudampfen, die Arbeitnehmerrechte auf dem Arbeitskräfte“markt“ im Sinne einer „Hire & Fire“-Praxis zu beschneiden usw. zum Darling des hiesigen Patronats und aller Agenda-2010-Fans avancieren müssen. Sein Programm liest sich wie die servile Erfüllung der seit Jahren mit hartnäckiger Intransigenz erhobenen teutonischen Forderungen an die Adresse Frankreichs, endlich Schluß zu machen mit dem sozialen Lotterleben an der Seine, ganz so, als würden die im „Programme du Conseil de la Résistance“ nach der Befreiung fixierten Sozialstandards allesamt aus Schäubles Schatulle bezahlt. Nicht ein Wort des Lobes für dieses musterschülerhafte Sozialprogramm Fillons, das selbst in den Augen Juppés über das Ziel hinausschießt. (Er muß es ja wissen, schließlich hatte er sich als Premierminister unter Chirac mit seiner Rentenreform schon mal die Zähne am Widerstand der Gewerkschaften ausgebissen.)

Diese innenpolitischen Streitpunkte waren es, die im Mittelpunkt des Fernsehduells standen, und nicht die Außenpolitik, der gerade mal fünf Minuten der fast zwei Stunden gehenden Sendung gewidmet waren. Hierzulande tut man aber so, als ob die Franzosen keine anderen Sorgen hätten als Putin. Unisono für Juppé Partei ergreifend, werden überdies neben dieser Verzerrung der Proportionen in der thematischen Gewichtung die Positionen Fillons auch noch amputiert referiert. So wird ihm praktisch ein beabsichtigter „Renversement des allianances“ unterstellt, ohne seine Versicherung zu erwähnen, daß auch unter seiner Präsidentschaft Frankreich Teil des von den USA geführten Sicherheitsbündnisses bliebe, damit nicht einmal an de Gaulles seinerzeitigem Rückzug aus der Militärorganisation der NATO anknüpfend. Juppés Forderung an die Adresse Putins, er möge gefälligst das Minsker Abkommen erfüllen, hat Fillon keineswegs widersprochen, lediglich um die naheliegende Forderung ergänzt, die Regierung in Kiew sei diesbezüglich ihrerseits in der Bringepflicht und solle den abtrünnigen russophonen Ostregionen endlich die in Minsk vereinbarte Autonomie gewähren. Auch in der Krim-Frage gibt es keinen wirklichen Dissens zwischen beiden Prätendenten. Beide lehnen die „Annexion“ ab, Fillon allerdings mit dem naheliegenden Querverweis auf das Kosovo, völkerrechtlich zwischen beiden Vorgängen wohl keinen prinzipiellen Unterschied erblickend. In der Sanktionsfrage gegenüber Rußland verhält sich Fillon weniger „gesinnungsethisch“ als realpolitisch. Es sei aus Sicht französischer nationaler Interessen „absurd“, dem Präsidenten des flächengrößten und rohstoffreichsten Landes der Welt und zweitgrößten Nuklearmacht endlos die kalte Schulter zu zeigen, wie es Hollande unentwegt tut, und Rußland somit in die Arme Chinas zu treiben, ein geostrategischer Fehler. Die Hauptgefahr für Frankreichs Stellung in der Welt komme nicht aus Rußland sondern aus Asien, so Fillon. In der Syrien-Frage scheint Fillon im Deash und nicht in Assad das Hauptproblem zu sehen. Bei ernsthaften Lösungsversuchen führe folglich kein Weg an den wichtigsten Protagonisten des Konflikts Assad, Rußland und Iran vorbei, damit indirekt dem Postulats Alain Juppés widersprechend, ohne die Kapitulation Assads könne es dort keinen Frieden geben. Fillon verkniff sich den Hinweis, daß der designierte Sicherheitsberater Trumps, der frühere DIA-Chef General Flynn, dies wohl ähnlich sehe.


Am verblüffendsten aber ist, was in der ganzen Debatte mit keinem Wort erwähnt wurde: Europa und seine in Berlin gern gesehene neue Rolle als militärische Supermacht. Daß Fillon nicht unbedingt seine Hand ins Brüsseler Feuer legen würde, weiß man seit seiner Ablehnung des Vertrages von Maastrich und des (gescheiterten) Verfassungsprojektes. Das Europa-Projekt in einer solchen Debatte zwischen zwei Präsidentschaftsanwärtern der zweitstärksten Kontinentalemacht Brüssel-Europas aber mit demonstrativer Nichtachtung zu strafen, ist keine Kleinigkeit. Für die deutschen Offical-Mind-Medien aber nicht mal der Rede wert.



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