Sozialstaatsstreich an der Seine

„Ordonnance de Travail“ Bei dem Angriff auf die französischen Arbeitnehmerrechte geht es nicht nur um die Reduzierung der Arbeitslosigkeit, sondern um den "Sieg der Alten Welt..."

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Macrons Regierungschef Edouard Philippe hat nun endlich den Sack aufgemacht und am letzten Tag vor der Rentrée Details der neuerlichen Änderung des französischen Arbeitsrechts gucken lassen, das sozialpolitische Hauptstück des Jupiter-Präsidenten Emmanuel Macron. Sie sollen per Ordre de Mufti ohne Parlamentsdebatte dank eines Ermächtigungsgesetzes noch in diesem Monat dekretiert werden.

Was blüht nun den Franzosen mit der neuen Loi Travail? Vor allem eine Marginalisierung der Gewerkschaften. 95% der französischen Angestellten arbeiten in Miniunternehmen unter 50 Mitarbeitern. Künftig sollen dort die Gewerkschaften beim Sozialdialog vor die Tür gesetzt werden. Der Patron einer Klitsche mit weniger als 20 Leuten kann über strittige Fragen wie Arbeitszeiten, Zuschläge, Löhne und Gehälter, Arbeitsbedingungen usw. künftig mit sich selbst verhandeln, denn als Partner genügt ein einziger Belegschaftsvertreter, den er in eigener Machtvollkommenheit selbst benennen kann, ohne das Personal geschweige denn die Gewerkschaften fragen zu müssen. Der Sozialdialog wird zum Monolog. Erst in Unternehmen ab 50 Angestellten haben die Gewerkschaften ein Mitspracherecht. Dort sind allerdings lediglich 5 % aller Angestellten des Landes beschäftigt. Wie in Großbritannien unter Margaret Thatcher sollen nun also auch in Frankreich den Gewerkschaften endgültig der Garaus gemacht werden, obwohl sie dort ohnehin wegen ihrer politischen Zersplitterung eine viel geringere Schlagkraft haben als etwa in Deutschland. Partikulare Betriebsvereinbarungen sollen gegenüber Flächen- und Branchenvereinbarungen weiter gestärkt werden, gleichsam ein einheitliches Arbeitsgesetz durch viele betriebliche ersetzt werden. Ferner werden künftig die Abfindungen bei Entlassungen auch dann gedeckelt, wenn jemand willkürlich gefeuert wurde. Bei betriebsbedingten Kündigungen in multinationalen Unternehmen reicht als Ausrede künftig die Behauptung, die französischen Filiale ginge am Stock, auch wenn es dem ausländischen Mutterkonzern prächtig geht.

Und das alles soll nun auf wundersame Weise eine Trendwende der hohen Arbeitslosigkeit bewirken. Das Nachrichtenmagazin „Marianne“ (1.9.2017) hält das Argument, die Patrons müßten leichter entlassen dürfen um leichter einstellen zu können, dann auch für reichlich abgedroschen. Das wäre dasselbe, Badeunfällen zur Ausbildung von Rettungsschwimmern, Bränden zum Training der Feuerwehrleute, Verkehrsunfällen für Fahrschüler zum realitätsnahen Lernen usw. nachzuhelfen, oder ... Kriege zu führen, um den Frieden zu erlangen.

Mit den angekündigten Eingriffen gehen die Elitisten an der Seine einen weiteren Schritt auf dem Wege zu dem lang ersehnten Ziel, den bislang immer noch relativ gut geschützten französischen Arbeitskräftemarkt in einen Hire-and-Fire-Tummelplatz der Unternehmerwillkür zu verwandeln. Daß damit Arbeitsplätze geschaffen werden, wird genau so ein frommer Wunsch bleiben wie bei allen bisherigen Versuchen. Unter der Präsidentschaft Hollandes (und seines Wirtschaftsministers Macron) wurden dem Patronat und Aktionariat 40 Mrd. € in Gestalt von Steuergeschenken (CICI-Programm) in den Rachen geworfen in der Erwartung, die Unternehmer mögen doch, bitte, bitte, mit diesem Geld massenhaft neue Leute einstellen. Die haben der Regierung was gehustet und getreu der alten Rentier-Mentalität der Wirtschaftseliten an der Seine das Geld erwartungsgemäß lieber in das globale Finanzkasino injiziert.

Die Behauptungen, die vergleichsweise hohen Kündigungsschutz-Standards in Frankreich seien Schuld an der hohen Arbeitslosigkeit, verdienten das Prädikat „Fake-News“ eingedenk der Tatsache, daß die ähnlich hohen Entlassungshürden hierzulande keinesfalls zu den Arbeitslosenquoten wie an der Seine geführt haben. Der „arbeitsmarktpolitische“ Effekt könnte diesmal vielen Beobachtern in Paris zufolge nicht nur wieder keine neuen Jobs kreieren, sondern sogar alte noch zerstören, denn die Verordnungen liefen letztlich auf eine weitere Absenkung der Arbeitskosten, vulgo der Lohnmasse hinaus, was die Binnennachfrage weiter dämpft. Die kleinen und mittleren Betriebe (PME), denen sie in erster Linie zugute kommen sollen, sind aber vorrangig binnenwirtschaftlich und nicht exportorientiert aufgestellt wie die CAC-40-Konzerne. Die Folge könnte demnach fatalerweise nachgerade ein umgekehrter Effekt sein, also Arbeitsplätze kosten und die Arbeitslosenzahl gar noch weiter erhöhen. Die Macron-Reformen ähneln also dem Versuch, das Feuer mit Benzin zu löschen.

Spiegelverkehrt stehen diesen neuerlichen Angriffen gegen die Masse der Leistungserbringer in den Betrieben weitere gute Gaben an die Minderheit der Leistungs(weg)träger auf der Kapitalseite gegenüber, etwa an Bernard Arnault und Liliane Bettancourt, mit 40 Mrd. € Netto-Vermögen unter den TOP-20 der Welt. Sie und ihresgleichen profitieren gleich dreifach von Macrons generösen Steuergeschenken an die Fat Cats. Durch den Wegfall der Vermögenssteuer auf Immobilienbesitz, die Steuerpauschalierung auf Kapitalerträge und eine drastische Senkung der Körperschaftssteuer entgehen dem Fiskus künftig Einahmen in Höhe von jährlich 18 Mrd. €. Davon profitieren die 3000 reichsten Haushalte Frankreichs im Durchschnitt mit jeweils mindestens 1 Mio € pro Jahr Steuerersparnis. Für die Noblesse financière ist das Macron-Regime nichts anderes als ein gigantisches Casino mit garantiertem Jackpot.

Entsprechend positiv fällt dann auch deren Reaktion aus, aber überraschend mit weniger Enthusiasmus als man eigentlich erwarten dürfte. So begrüßt zwar der Chef des Unternehmerverbandes MEDEF Pierre Gattaz das Verordnungspaket, hält es aber nur für einen „ersten Schritt“. Und sein Vize Thibault Lanxade dämpft schon mal auf "Europe 1" alle Erwartungen: „Es wird keine Einstellungswelle geben." Die können also den Hals immer noch nicht voll kriegen. Für Gattaz ist das Ganze dann wohl eher auch eine vertrauensbildende symbolisch-atmosphärische Geste gegenüber den gebeutelten Arbeitskraftnehmern, immerhin ein "changement de philosophie".

Es geht also offensichtlich mehr um „Philosphie“ als um ökonomische Rationalität. So forderte bereits 2007, also noch vor der Finanzkrise, der damalige MEDEF-Vize Denis Kessler:Es handelt sich heute darum, 1945 hinter uns zu lassen und das Programm des Nationalrates des Widerstandes systematisch abzustoßen.“ („Challenges“ 4. 10. 2007) Es ist dem kürzlich verstorbenen Stéphane Hessel zu verdanken, dem Mitverfasser der am 10. Dezember 1948 im Pariser Palais Chaillot verabschiedeten „Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte“, daß auch in Deutschland ein breiter Leserkreis von diesem Programm Kenntnis bekam. In seinem inzwischen legendären Pamphlet „Empört Euch“, einem der auflagenstärksten in deutscher Sprache erschienen Sachbücher aller Zeiten, erinnert er an die Grundsätze für die Neuordnung der französischen Nachkriegsgesellschaft, die am 15. März 1944 von der großen nationalen Koalition des antideutschen Widerstandes, dem Conseil National de la Résistance, einmütig beschlossen wurde. Das CNR-Programm „beinhaltet Vorschläge tiefgreifender sozialer Erneuerung für ein befreites Frankreich, die das Fundament der neuen Demokratie unseres Landes bilden sollte.“ Darin wurde „die soziale Sicherheit im Sinne des Widerstandes begründet ... mit dem Ziel, allen Menschen das Grundbedürfnis nach materieller Sicherheit zu gewährleisten. Ganz besonders in Zeiten, in denen sie nicht oder nur unzureichend aus eigener Kraft für ihr existenzielles Überleben sorgen können. Eine Rente, die allen Arbeitnehmern einen würdevollen Lebensabend sichert.“ Es sei um nicht weniger als „die Einrichtung einer wirklichen wirtschaftlichen und sozialen Demokratie“ gegangen, „die die Abschaffung des wirtschaftlichen und finanziellen Feudalismus beinhaltet.“ Das Interesse der Allgemeinheit müsse „vorrangig vor dem Interesse des Einzelnen sein, die gerechte Aufteilung des durch die Arbeitswelt geschaffenen Reichtums vorrangig vor der Macht des Geldes.“ Die Résistance zielte auf „eine vernünftige Organisation der Wirtschaft, mit der Gewährleistung einer Unterordnung des Einzelinteresses unter das Gemeininteresse und der Befreiung aus der Diktatur, wie es in den faschistischen Ländern sichtbar war“.

Wie zu sehen, geht es mit den unentwegten Attacken gegen das französische Sozialmodell vor allem auch aus Deutschland nicht nur um notwendige Justierungen angesichts einer stagnierenden Wirtschaftsleistung, sondern um die generelle Annullierung jener essentiellen sozialen Folgen, die sich für Frankreich aus der Niederlage Deutschlands im 2. Weltkrieg ergaben und welche die von de Gaulle begründete Nachkriegsordnung prägten. Die Werte der Résistance „abzustoßen“ bedeutet, die Werte ihrer Gegner zu rehabilitieren. Die Gegner der Résistance waren Hakenkreuz-Deutschland und die Pétain-Diktatur. Die Werte der Résistance „abzustoßen“ bedeutet im Umkehrschluß die Unterminierung des „Fundaments der neuen Demokratie“ und die Wiedererrichtung „des wirtschaftlichen und finanziellen Feudalismus“ in Frankreich. Was denn sonst?

Sogar François Bayrou, Präsident der kleinen Mitte-Rechts-Partei MoDem (und späterer Koalitionspartner der Macronisten) war sich schon im September 2016 gegenüber BFM.TV über den Kandidaten Macron im klaren: „Hinter Emmanuel Macron stehen große Finanzinteressen, die unvereinbar sind mit der für diese politische Funktion erforderliche Unparteilichkeit. Wir haben es hier mit einem Versuch zu tun, wie er schon mehrfach von verschieden Finanz- und anderen Interessengruppen unternommen wurde, die sich nicht damit begnügen, im Besitz der wirtschaftliche Macht zu sein...“ („Derrière Emmanuel Macron il y a des grands intérêts financiers incompatibles avec l’impartialité exigée par la fonction politique. Il y a là une tentative qui a déjà été faite plusieurs fois par plusieurs grands intérêts financiers et autres, qui ne se contentent pas d’avoir le pouvoir économique.... „)

Noblesse oblige. Oder, wie es heute in „Marianne“ heißt: „Das neue Arbeitsgesetz ist der Sieg der Alten Welt..."

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