Und heute gehört uns Europa...

Russischer Alp Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ist ein alter Hut. Ein erster Versuch scheiterte 1954 an den französischen Kommunisten und Gaullisten

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Mit dem Pesco-Abkommen von Brüssel ist Berlin einen großen Schritt dem ersehnten Ziel nähergerückt, endlich den Finger an den atomaren Abzug zu bekommen, denn es ist nur eine entscheidende Vorstufe für die nicht erst seit Trump, sondern schon seit fast 70 Jahren geplante „Europäische Armee“. Der erste Versuch unter dem Label „Europäische Verteidigungsgemeinschaft“ (EVG) war 1954 nur am parlamentarischen Widerstand der französischen Kommunisten und Gaullisten gescheitert. Wie die Kommunisten stimmten nach dem vierjährigen Gezerre auch die Gaullisten geschlossen gegen das Projekt, die Sozialisten, Radikalsozialisten und die übrigen Parlamentsgruppen wie Mitterands Union der Résistance-Sozialisten und sogar die zentristischen Christ-Demokraten des MRP waren in der Frage gespalten. Mitterand selbst enthielt sich der Stimme. Einer der Hauptgründe für die französische Renitenz war das neu erwachte Mißtrauen gegen eine wieder erstehende deutsche Militärmacht, und sei es unter dem Vorwand einer kommunistischen Gefahr. In einer gaullistischen Zeitschrift hieß es dazu: „Das wichtigste ist es, daß sich Frankreich nicht überstürzt unter das deutsche und amerikanische Joch begibt, nur weil man in Bonn und Washington Bolschewisten verspeisen will.“ („Rassemblement“, 22. April 1954)

Deutschland als ökonomische und inzwischen auch politische Supermacht würde die Führung des heutigen Neuaufgusses beanspruchen und damit auch über die Verwendung der französischen Force de frappe als Instrument, den immer lauter geltend gemachten Anspruch einer „globalen Gestaltungsmacht“ durchzusetzen. Zu den drängendsten Gefahren für Europa zählt der ehemalige Bundeswehr-Generalinspekteur K. Naumann das „Bevölkerungswachstum in Afrika und in der arabischen Welt" und die daraus entstehenden Risiken und Konflikte durch steigenden Migrationsdruck. Eine Lösung sieht er nach eigenem Bekunden nur darin, mit „militärischen Mitteln" und wirtschaftlicher Einflussnahme einen „Transformationsprozess im Nahen Osten abzusichern", an dessen Ende eine "völlig veränderte politische Landkarte" stehen müsse. Um in diesem Sinne weiterzukommen, sei es dringend geboten, "gegebenenfalls auch präventiv zu handeln", erklärt der Militär auf der Tagung "Strategie neu denken" der European Military Press Association (EMPA) kürzlich in Wien.

Aber wie 1954 ist auch heute die russische Gefahr aus dem Osten der wichtigste propagandistische Vorwand für die beschleunigte Weiterentwicklung des Westeuropäischen Bündnissystems in eine militärische Supermacht unter deutschem Kommando, die eigentliche Raison d‘être der Lissabon-EU. In Ermangelung von Bolschewisten, die es zu verspeisen gilt, muß man heute mit dem Gemeinen Russen vorliebnehmen. Aber auch da verfügt die Tradition der Kriegspropaganda über reiche Angebote. Die heutige okzidentale Rußland-Politik erinnert fatal an diejenige der europäischen Mittelmächte vor 100 Jahren, deren Credo dem damaligen Staatssekretär im Berliner Auswärtigen Amt von Jagow zufolge lautete: „Das Riesenreich Rußland mit seinem ungezählten Menschenmaterial, seinen Möglichkeiten zu wirtschaftlicher Erstarkung, seiner expansiven Tendenz lastet wie ein Alp auf dem westlichen Europa. Trotz des Firnisses westlicher Zivilisation, den ihm Peter der Große und die folgende deutsche Dynastie gegeben hat, trennt es eine im Grunde byzantinisch-orientalische Kultur von der lateinischen des Abendlandes, und das russische Volk steht als slawisch-mongolische Rasse den germanisch-romanischen Völkern fremd gegenüber.“ Als „wünschenswertes Kriegsziel“ müsse „die Zurückdrängung des russischen Alps nach Osten“ angesehen werden. Zu dessen Durchsetzungsmitteln zählte die „Randstaatenpolitik“ mit der Insurgierung der Fremdvölker des Zarenreiches. (Quelle: Archiv des Auswärtigen Amtes, Deutschland, Bd. 1, Aufzeichnungen Jagows, 2. 9. 1915, zitiert nach: Fritz Fischer, Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18. Düsseldorf, 1961, S. 170)

Ein Land wie Deutschland scheint ohne eine veritable Erbfeindschaft nicht lange auskommen zu können: „Wir wollen und dürfen nicht ohne Feind sein, ohne starken, uns zur Wehrhaftigkeit zwingenden Gegner. In solche Gefahr wollen wir niemals mehr kommen... Rußland soll uns bedrohen, soll unser Feind sein - das wird uns zum Glücke ausschlagen... Allein die Wehrhaftigkeit, der Zwang zu ihr, gewährleistet die Gesundheit unseres Volkes.“ (aus: "Kriegszieldenkschrift des Vorsitzenden des Alldeutschen Verbandes, Heinrich Claß", September 1914)

1914 läßt grüßen.

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