Viruszombie, Biomacht und COVID-19 Pandemie

Essay Zombies spiegeln unsere Angst vor einer viralen Bedrohung wieder. Diese Angst ist nun Wirklichkeit geworden und zeigt erschreckende Parallelen zu diesem Horrorgenre auf.

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Viruszombie, Biomacht und COVID-19 Pandemie

Foto: Philip Fong/Getty Images

Melodramatische Szenen, alltägliche Streitereien und vergossene Tränen, wenn die Kameras schwenken - so sieht das Leben der Bewohner im Trashcontainer einer fiktiven Reality-Show der britischen Mini-Horror-Serie Dead Set (2008) aus. Doch kurze Zeit später infiziert ein Virus die gesamte Bevölkerung in rasende, kannibalistische Zombies. Und während draußen die Hölle auf Erden ausbricht, ist drinnen im Wohncontainer vom drohenden Weltenende nichts zu spüren, bis auch die Bewohner merken, dass die Kameras nicht mehr schwenken und die Regieanweisungen ausbleiben.

Als im Februar 2020 14 Teilnehmer der aktuellen Big-Brother-Staffel in ihren Wohncontainer ziehen, ist aus diesem einst so unrealistischen Horror-Szenario tatsächlich Wirklichkeit geworden - ohne die beißenden Untoten natürlich. Innerhalb von nur wenigen Wochen hat eine globale Virus-Pandemie die Welt in einem Ausnahmezustand versetzt: Millionen Infizierte, tausende Tote, Ausgangssperren, einbrechende Börsenkurse und verwaiste Innenstädte. Doch während das Corona-Virus die Menschen so unvermittelt aus ihrem Alltag gerissen hat, lebten die Big-Brother-Teilnehmer, abgeschirmt von der Außenwelt, noch einige Wochen in einer Zeit vor der Pandemie - in einer Art nostalgischer Zeitkapsel - live vor einem Millionenpublikum.

Der Viruszombie als Projektionsfläche für unsere Angst vor Krankheit und Ansteckung

Zombies, diese verwesten Untoten mit blasser Haut, zerlumpter Kleidung und starrem Blick, weder tot noch lebendig, gehören seit Jahren zu den populärsten Monsterfiguren weltweit. Doch sie sind nicht nur Teil westlicher Alltags- und Unterhaltungskultur, sondern stehen zugleich als Allegorien für die Krisensymptome unserer Zeit: Sei es als Metapher für Kapitalismuskritik oder als Symbol für die Angst vor einem unkontrollierten biotechnischen Fortschritt, Seuchen und menschlicher Hybris. Dies ist wenig verwunderlich, wenn man bedenkt, dass in Zeiten von SARS, Ebola, AIDS, Zika-Virus und Vogel- und Schweinegrippe Viren in unserer Gesellschaft und Kultur omnipräsent sind.

Daher ist das Seuchenthema in Zombiefilmen und -serien seit Beginn des 21. Jahrhunderts besonders populär. Wie kaum ein anderes Medium dramatisiert das Viruszombiekino mit seinen oft drastischen Seuchen- und Bekämpfungsszenarien den Umgang mit infizierten Körpern, wie der Kulturwissenschaftler Peter Schuck in seiner Dissertation Viele untote Körper (2018) hervorhebt: Jemand wird gebissen, infiziert sich, zombifiziert und infiziert durch seinen Biss jemand Anderen in atemberaubender Geschwindigkeit über Städte und Grenzen hinweg und durchseucht letztendlich die ganze Welt. Dabei fasziniert den Zuschauer nicht allein der Reiz des Horrors und des Gemetzels, der Viruszombie dient vor allem als eigene/gesellschaftliche Projektionsfläche für aktuelle Ängste vor Krankheiten und Ansteckung. Der Viruszombie ist nicht nur ein Infizierter, sondern agiert wie das Virus selbst, als cineastisches Abbild unserer Angst, als "sichtbarer Überträger des Viralen", wie Rolf F. Nohr in seinem Essay Virale Zombifizierung (2011) konstatiert.

Die Unheimlichkeit der viralen Bedrohung im Zombiefilm stößt nicht von außen auf uns zu, sondern geht vom Nachbarn, Kollegen oder eines Familienmitglieds aus und droht die Gemeinschaft zu zersetzen. Der Viruszombie durchbricht die Normalität unseres Alltags und unsere Art des Lebens derart, dass die gesellschaftliche Grundordnung in ihren Grundfesten erschüttert und der Beginn einer neuen Weltordnung verkündet wird. Ob der Viruszombie zurückgedrängt wird, hängt letztlich von seiner Widerstandsfähigkeit und der Solidarität innerhalb der Gemeinschaft ab. Viruszombiefilme und -serien sollten demnach auch als Gedankenexperimente gelesen werden, die aufzeigen, wie sich der Mensch, aber auch der Staat und seine Institutionen, im Angesicht einer viralen Katastrophe verhalten würden.

Wenn aus Fiktion plötzlich Realität wird

Als im Dezember 2019 in der chinesischen Stadt Wuhan das Corona-Virus ausbricht und sich mit rasender Geschwindigkeit über den Globus verbreitet hat, ist eine der größten Ängste der Gegenwart tatsächlich Wirklichkeit geworden. Der im Viruszombiekino dargestellte fiktionale Weltzustand hat sich durch die Covid-19-Pandemie in einen realen Weltzustand verwandelt - ohne die beißenden Zombies natürlich. Die Verbreitung des neuartigen Corona-Virus hat auch die reale Welt in ihren Grundfesten erschüttert und unseren Lebensalltag stark verändert. Daher sind Assoziationen des aktuellen Zeitgeschehens mit denen der fiktiven Zombie-Apokalypse nicht völlig aus der Luft gegriffen, zeigen diese doch Motive und Verhaltensweisen von Menschen auf, die auch in unserer jetzigen Situation anzutreffen sind. So weist die Philosophin Andrea Klonschiski in ihrem Essay Seuchen, Ängste und die Ordnung der Gesellschaft (2020) darauf hin, dass Zombiefilme "die aktuelle Situation und unsere damit verbundenen Ängste reflektieren und damit die Bedrohlichkeit der Corona-Pandemie für uns als Individuen, aber auch als Gesellschaft besser einordnen können."

Im Essay möchte ich nun die Parallelen einiger Motive und menschlicher Verhaltensweisen herausarbeiten, die zwischen einem fiktiven Zombie-Ausbruch und der aktuellen Covid-19-Pandemie existieren. Dabei konzentriere ich mich auf wiederkehrende Elemente des Zombiefilms, die auch in der Anfangs- und Hochphase der gegenwärtigen Situation sehr wirklichkeitsnah erscheinen: Das Virus als menschengemachtes Problem, das Auseinanderbrechen der Normalität und unsere Beziehung zu Anderen, die uns als potentielle Überträger des Virus in Gefahr bringen können sowie die Abwehrreaktion des Staatsapparates, der die Freiheit jedes Einzelnen berührt.

Das Virus als menschengemachtes Problem

Die Angst vor der eigenen Auslöschung begleitet die Menschheit seit ihrem Dasein. Doch waren es früher Naturgewalten oder der Zorn Gottes vor dem wir uns fürchteten, so ist es heute der Mensch selbst, der eine Zukunft schafft, die er nicht mehr aufzuhalten vermag und das Schicksal der eigenen Art bedroht. Es sind die Gefahren der neuen Technologien des 21. Jahrhunderts - Robotik, Gentechnik und Nanotechnologie - die den Menschen zu einer weiteren gefährdeten Art auf diesen Planeten machen kann, wie der Physiker Bill Joy in seinem vielbeachteten Essay Warum uns die Zukunft nicht braucht? (2000) formuliert. Joy kritisiert vor allem die gesellschaftliche Kurzsichtigkeit, den ökonomischen Druck und die Hybris einiger Wissenschaftler und Firmen, die das hohe Risiko ihrer Arbeit bedenkenlos in Kauf nehmen, ohne an die Folgen zu denken. Wir wissen nicht, an welchen Pflanzen, Tieren oder Viren gentechnische Experimente durchgeführt werden, und noch weniger kennen wir die ungeahnten Wechselwirkungen und Rückkopplungseffekte, die ein solcher Eingriff in den Schöpfungsprozess der Natur auslösen kann.

Der Viruszombie ist zum Symbol dieser Furcht vor einer menschengemachten Apokalypse geworden. Auch wenn ein Zombie-Ausbruch sehr unwahrscheinlich ist, auszuschließen ist er nicht. Und wer von uns hat sich nicht schon einmal ertappt beim Gedanken, was zu tun sei, wenn das Ende durch Zombies droht. Die Zombie-Apokalypse hat sich vom Nischendasein einiger Weltuntergangsphantasten verabschiedet und sich fest in unsere Alltagskultur etabliert. So lässt sich der steigende Absatz von - wenn auch nicht immer ernstgemeinten - Zombie Survival Ratgebern erklären, aber auch, dass die US-Seuchenschutzbehörde CDC und das US-amerikanische Militär vor einigen Jahren die Folgen einer Zombie-Apokalypse simuliert haben, einschließlich wertvoller Überlebenstipps.

Der Ursprung und die Suche nach einem Schuldigen für den Zombie-Ausbruch spielt in vielen Filmen und Serien dieses Horrorgenres eine zentrale Rolle. Im ersten Teil der Filmreihe Resident Evil (seit 2002), welches auf dem gleichnamigen Computerspiel basiert, wird in geheimen unterirdischen Biolabors der allmächtigen Umbrella-Corporation an verschiedenen Viren für biologische Kampfstoffe geforscht, unter anderem soll ein Virus tote Zellen wieder zum Leben erwecken. Trotz umfangreicher Sicherheitsvorkehrungen kann nicht verhindert werden, dass das T-Virus entweicht. Einmal durch einen Biss mit dem Virus infiziert, verwandelt sich dieser schnell in einem Zombie. Auch im Kinofilm 28 Days Later (2002) entweicht, diesmal bei einem Befreiungsversuch von Labortieren durch Tierschutzaktivisten, das sogenannte Rage-Virus aus einer britischen Forschungseinrichtung. Einmal infiziert, verwandelt es den Menschen in eine rasende Bestie und innerhalb von 28 Tagen bleibt auf der britischen Insel eine von Zombies bevölkerte und von Menschen entvölkerte Landschaft zurück. Auch wenn in vielen Filmen und Serien der Ursprung der Zombies rätselhaft bleibt, spekulieren die Überlebenden meist über die Herkunft des Zombie-Virus und machen letztlich ein gescheitertes Viren-Experiment des Militärs oder eines Biotech-Konzerns für die Katastrophe verantwortlich.

Schaut man auf die gegenwärtige Covid-19-Pandemie, so ist die Frage nach der Herkunft des neuartigen Corona-Virus und wer die Verantwortung für dessen Ausbruch trägt, immer wieder Gegenstand medialer Diskussionen und Verschwörungstheorien. Besonders populär sind die Gerüchte um Bill und Melinda Gates, die das Corona-Virus erschaffen haben sollen, da ihre Stiftung bereits im Oktober 2019 ein solches Pandemie-Szenario simuliert haben. Großes Interesse regte anfangs auch der Verdacht, dass das Corona-Virus menschengemacht und aus einem Biowaffenlabor in der Millionenstadt Wuhan entwichen sei. Vor allem der amerikanische Präsident Donald Trump verbreitete über seinen Twitter-Kanal und den Medien diese Botschaft, dabei ließ er offen, ob es sich um einen Unfall handelte oder das Virus absichtlich freigesetzt wurde. Selbst die US-amerikanischen Geheimdienste befassten sich mit der Frage über die Herkunft des Virus, kamen aber zum Ergebnis, dass es natürlichen Ursprung ist, auch wenn sie den Verdacht nicht ausschließen wollten, dass es einen Unfall im besagten Forschungslabor in Wuhan gab. Die Diskussion um die Herkunft des Virus in Medien und sozialen Netzwerken zeigt - ähnlich wie in Zombiefilmen -, dass sich viele von uns vorstellen können, dass das Virus, sei es aus Hybris oder Selbstüberschätzung, von Menschen entwickelt wurde und dann nicht mehr zu kontrollieren war.

Die Zombie-Apokalypse als Spiegelbild unserer Gesellschaft

Zombiefilme und andere Endzeitfilme sind Spiegelbilder dessen, was geschieht, wenn das Unvorstellbare passiert und unser soziales Zusammenleben und die Zivilisation als Ganzes zusammenbricht. Wenn unser tradiertes Werte- und Normensystem infrage gestellt wird und von den Überlebenden der Katastrophe neu verhandelt werden muss. "Was uns gute Zombiefilme wirklich zeigen, ist, wie kaputt wir doch eigentlich sind. Sie bringen uns dazu, unseren Platz in der Gesellschaft zu hinterfragen, ebenso wie die Gesellschaft selbst (...) Mit The Walking Dead will ich herausfinden, wie Menschen in Extremsituationen umgehen und wie sie sich dadurch verändern", erklärt Robert Kirkman in einem Vorwort in einem seiner Comics der gleichnamigem AMC-Serie.

Das Zombiegenre ist wahrscheinlich auch deshalb so populär, weil sich erst im Kampf um die letzten Ressourcen zeigt, was Menschsein bedeutet, wie verwundbar und zerrissen wir sind, wenn es um das nackte (Über)Leben geht und wir in den Hobbesschen Naturzustand zurückfallen - einem Kampf aller gegen alle. Wenn die gesellschaftliche Ordnung zusammenbricht, zeigt sich das wahre Antlitz des Menschen, wenn dieser sich nicht mehr an Regeln und Gesetze gebunden fühlt. Der Mensch auf sich selbst zurückgeworfen und auf die Probe gestellt: rücksichtslos auf sich selbst konzentriert oder fürsorglich, sich für die Schwachen stark machend. Zombiefilme und -serien und die gegenwärtige Pandemie weisen in dieser Hinsicht immer wieder erschreckende Parallelen auf.

Im Kinofilm World War Z (2013) spielt Brad Pitt einen Familienvater und ehemaligen UN-Agenten, der unmittelbar nach einem Zombie-Ausbruch mit seiner Familie einen Supermarkt aufsucht. Anarchie, Panikkäufe und Plündereien bestimmen das Bild, der Kampf um Lebensmittel und Medikamente wird rücksichtslos geführt, notfalls auch mit Waffengewalt. Der staatliche Kontrollverlust versinnbildlicht sich, als der einzige uniformierte Polizist im Supermarkt nicht mehr willens ist, die gesetzliche Ordnung aufrecht zu erhalten, sondern selbst ums eigene Überleben kämpft. Ähnliche, aber weniger drastische Szenen erlebten wir im März 2020 auch in Deutschland und anderswo, als die staatliche Autorität einen Vertrauensverlust angesichts immer höherer Infiziertenzahlen erlitt. Trotz der Ankündigung Angela Merkels, dass die Versorgung mit Lebensmitteln in Deutschland sichergestellt sei, kam es hierzulande zu Panik- und Hamsterkäufen, die mehrere Wochen anhielten.

In der erfolgreichen Zombieserie The Walking Dead (seit 2010) trifft eine Gruppe von Überlebenden um den Polizisten Rick Grimes in einem Altersheim auf bewaffnete Fremde. Sie erfahren, dass die alten und pflegebedürftigen Hausbewohner kurz nach dem Zombie-Ausbruch vom Pflegepersonal allein gelassen und geflohen sind. Auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie passierte in der kanadischen Stadt Dorve ein ähnlicher Zwischenfall: Aus Angst sich mit dem Corona-Virus anzustecken, haben Pflegekräfte ein Altersheim fluchtartig verlassen und die ihnen anvertrauten Bewohner sich selbst überlassen. Einige Tage später waren 31 Menschen gestorben, die Überlebenden dehydriert und unterernährt.

Der Zombie-Ausbruch hat das Potential, jegliche Form der sozialen Gemeinschaft zu zersetzen und aufzulösen, da der Andere als permanente Bedrohung wahrgenommen wird. Zombiefilme zeigen den problematischen Umgang mit dem Anderen, ob Freund, Partner oder Kollege, denn dieser gilt als potentieller Überträger des Viralen, der einen infizieren und zombifizieren kann. Ein Biss reicht aus und man wird aus der Gemeinschaft, der man eben noch angehörte, ausgestoßen. Auch während der COVID-19-Pandemie ist der Umgang mit dem Anderen hochproblematisch: Ist man einmal infiziert, kann man auch andere infizieren, krank machen oder gar töten. Die Angst vor einer Infektion ist bei vielen Menschen allgegenwärtig und hat bereits dazu geführt, dass Infizierte oder Verdachtsfälle ausgegrenzt und stigmatisiert werden, wie es im Februar 2020 beispielsweise vielen Mitarbeitern und deren Familien der bayerischen Firma Webasto erging, als dort ein Corona-Fall öffentlich wurde. Auf dem Höhepunkt der Coronakrise in Spanien wurden in der Stadt La Linea de la Concepción Krankenwagen von einem wütenden Mob mit Steinen beworfen, als diese Covid-19-Infizierte ins heimische Krankenhaus transportieren wollten.

Die Autoimmunreaktion der Biomacht

Zombiefilme reflektieren nicht nur unsere Ängste vor einem tödlichen Virus. Sie können auch als realitätsnahe Gedankenexperimente einer Abwehr-Reaktion des Staates bei einem Viren-Ausbruch verstanden werden. Spätestens seit den Terroranschlägen von 9/11 sind globale Bedrohungs- und Krisennarrative, vorrangig durch biologische, chemische und nukleare Massenvernichtungswaffen, in Medien, Kino und politischen wie wissenschaftlichen Diskursen allgegenwärtig. Die so entstandenen Angsträume haben dazu geführt, dass Sicherheitsapparate und Überwachungssysteme ausgebaut wurden, die im Spannungsverhältnis zu liberalen Freiheitsrechten stehen. Für den Schutz des Bürgers wurden in den letzten Jahren in vielen demokratischen Staaten Tabus gebrochen, die zu grenzenloser Überwachung, militärische Einsätze im Inland und Grundrechtseinschränkungen führten und von Politikern und Bürgern bedenkenlos in Kauf genommen wurden.

In Anlehnung dieser gesellschaftlichen Entwicklung zeigen Zombiefilme Szenarien auf, wie eine staatliche "(Autoimmun)Reaktion" (Peter Schuck, 2018) angesichts eines unkontrollierten Virenausbruchs aussehen könnte, um den Staatskörper von innen und außen her zu schützen. Diese Reaktion orientiert sich meist am Modell der staatlichen Biomacht des französischen Soziologen Michel Foucault, deren Handlungsmaxime auf den Lebensschutz und die Gesundheit der Bevölkerung ausgerichtet und zum Gegenstand des politischen Handelns macht. In Zombiefilmen werden Infizierte oft räumlich und sozial isoliert und sich selbst überlassen oder die Nicht-Infizierten leben in Communitys, die einem lückenlosen System der Kontrolle unterworfen sind, in welcher alle Übergänge und Grenzen zur Community überwacht oder gesperrt sind. Oftmals werden die Nicht-Infizierten oder Infizierten in ihren Häusern oder Wohnungen gesperrt, um eine Ausbreitung des Zombie-Virus zu verhindern. Wer sich dieser staatlichen Kontrolle entziehen will, läuft Gefahr, als potentielle Bedrohung wahrgenommen zu werden und wird bestraft oder aber es erwartet ihn der Tod durch Ansteckung.

Im spanischen Horrorfilm REC (2007) bricht in Barcelona in einem Altstadtbau ein neuartiges Virus aus, das an Tollwut erinnert und die Infizierten in kurzer Zeit sehr aggressiv macht. Die Gesundheitsbehörde hat daraufhin die Bewohner unter Quarantäne gestellt. Sie haben keine Chance, sich dem hermetischen Einschluss zu entziehen, welche von Ärzten und Polizisten in Schutzanzügen überwacht wird. Jeder Ausbruchsversuch wird unterbunden, notfalls mit Waffengewalt. Der Horror ist nicht nur innen, sondern auch außen: Es ist die staatliche Disziplinarmacht und die einhergehende radikale Entmenschlichung des Bürgers von einem mit unveräußerlichen Freiheitsrechten ausgestatten Subjekts zu einem unterworfenen, isolierten und rechtlosen Objekt. Das Ausgeliefertsein und der Überlebenswille führen dazu, sich gegen diese Einsperrung zu wehren und führt unweigerlich zum agressiven Wider- und Aufstand gegen die Staatsgewalt. Ähnliche Szenen sah man im Juni 2020 als ein Göttinger Wohnkomplex von den Gesundheitsbehörden und der Polizei nach einem Corona-Ausbruch unter Quarantäne gestellt und abgesperrt wurde, während Ärzte in Schutzanzügen die Bewohner testeten. Auch hier kam es zu mehreren gewaltigen Auseinandersetzungen und Widerstand gegen die verhängten Zwangsmaßnahmen.

Doch was passiert, wenn es keine gesicherten Räume mehr gegen Zombies gibt? In einer globalisierten Welt mit offenen Grenzen und kurzen Entfernungen sind Zombies nicht mehr aufzuhalten oder einzudämmen. Wenn alle staatliche Abwehrmaßnahmen scheitern, bleibt als letztes Mittel nur noch die vollständige Auslöschung aller potentiellen Überträger des Virus, wie im Kinofilm 28 Weeks Later (2008) action- und bildreich in Szene gesetzt. 28 Wochen nach einem Zombie-Ausbruch in Großbritannien bricht im District One, einem vom US-Militär überwachten Stadtteils Londons, erneut der Rage-Virus aus, der die Infizierten zu rasenden Zombies mutieren lässt. Nachdem alle militärischen Abwehrmaßnahmen zur Eindämmung gescheitert sind, entscheidet sich das US-Militär zur Ulitma Ratio: CODE RED - der vollständigen Auslöschung. Da die Infizierten von denen der Nicht-Infizierten nicht mehr zu unterscheiden sind, werden auch diese zur Eliminierung freigegeben.

CODE RED wird zum Fanal eines vollständiges Kontrollverlustes, in welcher der Mensch abgewertet wird als potentieller Virus-Überträger, zum schutz- und rechtslosen Objekt, dem alle bürgerlichen Attritbute des Menschsein einer demokratischen Gesellschaft genommen wurde. Als auch während der aktuellen COVID-19-Pandemie anfangs eine globale Ausbreitung trotz umfangreicher Maßnahmen wie Quaratäne der Infizierten, der Einsperrung ganzer Regionen und Grenzschließungen nicht verhindert werden konnte, entschieden sich viele Staaten zur Ultima Ratio: dem sogenannten LOCKDOWN. Das vollständige Herunterfahren des öffentlichen Lebens und dem zeitlich befristeten Entzug demokratischer Freiheits- und Grundrechte ist in liberalen Gesellschaften ein unvorstellbarer Vorgang, weshalb der LOCKDOWN auch als Äquivalent zum CODE RED gelesen werden kann: Es gibt kaum noch Unterscheidbarkeiten zwischen Infizierten und Nicht-Infizierten, denn die Ausgangssperren und der zeitlich befristete Verlust der Freiheits- und Grundrechte betrifft nun ausnahmslos alle.

Die Popularität des Zombiegenres im Kino, Wissenschaft und Popkultur, vor allem seit Beginn des 21. Jahrhunderts, kann nicht losgelöst von gesellschaftlichen Entwicklungen betrachtet werden. Viruszombiefilme spiegeln unsere Ängste vor einer menschengemachte Viruskatastrophe, dem Zustand unserer Gesellschaft in Zeiten von Krisen und Katastrophen und die Gefahr eines außer Kontrolle geratenden Staatsapparates, der zum vermeintlichen Schutz seiner Bürger immer restriktivere Zwangs- und Kontrollmaßnahmen einführt. Die COVID-19-Pandemie hat diese Ängste nun teilweise Wirklichkeit werden lassen und Parallelen von Motiven und menschlichen Verhaltensweisen aufgezeigt, die zwischen dem fiktiven Weltzustand der Zombie-Apokalypse und unserer jetzigen Situation bestehen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

René Korth

freier Autor, der über Kultur, Gesellschaft und Politik schreibt

René Korth

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