BLADE NIGHT

BERLINER ABENDE Auf dem Mittelstreifen der Straße des 17. Juni fädelt sich ein Auto an das andere. Aus den Fahrer- und Beifahrertüren krabbeln junge, jüngste und ...

Auf dem Mittelstreifen der Straße des 17. Juni fädelt sich ein Auto an das andere. Aus den Fahrer- und Beifahrertüren krabbeln junge, jüngste und ältere Zweibeiner und verschwinden sofort kopfüber im Gepäckraum ihres Gefährts. Wenn sie wieder auftauchen, halten sie futuristisch anmutende Füßlinge in den Händen. Manche machen es sich auf der Kofferklappe bequem, um die neuen Fortbewegungsinstrumente anzulegen, andere schaffen den fliegenden Wechsel von festen Sohlen auf zweimal vier Rollen im Stehen. Dann verschwinden die Oberkörper erneut unter der Heckklappe, und blanke schwarze Plastikteile werden zu Tage gefördert, zwei für die Knie, zwei für die Ellenbogen und zwei für die Handgelenke. Gelegentlich fällt auch für den Kopf noch ein schnittiger Helm ab. Es ist Mittwoch abend, der erste im August. Die Skater-Gemeinde uniformiert und formiert sich.

Einige reisen auch mit der Bahn an. Für sie steht am S-Bahnhof Tiergarten ein geräumiger BVG-Bus bereit, eine ambulante und kostenlose Gepäckannahme. Freundliche Geste oder Widerspruch in sich? Immerhin ist seit dem 1. August allen Protesten zum Trotz eine Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln wieder teurer und ein bisschen mehr Luxus geworden. Umweltfreundliche Alternativen sind gefragt.

Auch das ist ein Grund, warum ich an diesem Abend zur Blade Night Berlin mitten im Zentrum der Hauptstadt auf zunächst wackligen Beinen stehe. Eine Demo nach meinem Geschmack, na ja fast. Zuviel Grün mit Blaulicht, aber das ist wohl Vorschrift bei angemeldeten Versammlungen, und solange die Gesetzeshüter den rollenden Demonstrationszug vor dem ps-starken Straßenverkehr schützen, erfüllen sie auch einen guten Zweck. Bei der ersten Blade Night im Juni 1998 soll sogar ein Polizist auf Skatern gesichtet worden sein, ein allerdings bis heute einmaliger Vorgang. Egal, die grünen Wagen rollen vorneweg, gefolgt von den Blade Night Ordnern in leuchtend gelben Westen. Die bunte Masse, es wurden schon 50.000 gezählt, gleitet hinterher. So wurde es mir im Vorfeld berichtet.

Punkt 21 Uhr. Kurze Ansprache des Oberordners: Begrüßung, gute Wünsche und Ermahnungen, dann wird rückwärts gezählt: sechs, fünf, ...drei, ...,eins und los. Die erste Reihe löst das scheinbar massehaltende rot-weiße Band, der Zug setzt sich in Bewegung. Mein Begleiter stellt mir (zum wievielten Mal?) die Frage, ob ich als Kind Schlittschuh gelaufen sei, um mir nach meiner eben so häufigen Bejahung zu berichten, welche Spätwirkungen seine Kindheit ohne ordentliche Schlittschuhe haben würde, was wohl heißen soll, dass er des Skatens (sich) nicht sicher sei. Dennoch, (typisch männlich?) will er nicht am Ende der entfesselten Rollbewegung starten. Wir mogeln uns also unter die Quereinsteiger und wenig später sind wir Teil der abgasfreien, weitgehend lautlosen, doch ohne Knautschzone ausgestatteten Verkehrsteilnehmer. Die Fahrt geht vorbei an der Siegessäule, mitten durchs Brandenburger Tor, Unter den Linden entlang, und schließlich noch ein Stück über den Alexanderplatz hinaus. Hier wird gewartet, bis alle Rollenden angekommen sind, um dann über die Gegenfahrbahn die Strecke retour zu erobern. Meinem Begleiter perlt das Wasser von der Stirn, hin und wieder höre ich ihn aufjuchzen, wenn ein gewagtes Überholmanöver gerade noch mal gut gegangen ist. Mitten im Gedränge versuchen Einzelkämpfer auf Rollen ihre Werbeartikel an den potentiellen Konsumenten zu bringen. Klatsch, ein neon-gelbes Band trifft auf mein Handgelenk und umschließt es sofort, ein freiwilliges Muss für alle Teilnehmer. Die papiernen Werbezettel versuche ich zu ignorieren, ich will ja nicht wie ein Postbote am Ziel ankommen, außerdem brauche ich meine Arme zum Balancehalten und Schwungholen. Mein Begleiter erobert derweil, selbst auf die Gefahr hin, mich in dem Gewühl zu verlieren, eine blinkende Blade Night Plakette. War da bei Männern mal was mit Jägern und Sammlern?

Ganz selten habe ich an diesem Abend jemanden zu Boden gehen sehen, und auch das löste zum Glück nie eine Kettenreaktion aus. Dennoch bin ich erschrocken, als ich am vergangenen Wochenende von der Forderung des verkehrspolitischen Sprechers der CDU lese, einen möglichst langen Straßenzug versuchsweise für Inline-Skater freizugeben. Da gehe ich einmal demonstrieren, und zwei Tage später werden meine Forderungen (noch dazu von der CDU!) womöglich realisiert! Jetzt bekomme ich kalte Füße, bin ich vielleicht doch eher ein Fun-Sportler und habe es genossen, bei künstlich lahmgelegtem Autoverkehr die Piste entlang zu sausen? Es klingt innovativ, Skates als neues Individualverkehrsmittel in Städten zu etablieren, doch müssen wir Skater wirklich Fahrzeuge im Sinne der StVO werden? Ich denke, die BVG sollte ihre Preise wieder herunterschrauben, anstatt Gepäckstücke ihrer vermeintlichen Konkurrenz zu bewachen.

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