Rhododendron

Kehrseite II Alle Bilder, die wirklich gut sind, spielen am Meer. Ich habe heute endlich die Reise gebucht, sagte ich zu Anna. Ihr Lidstrich sah verzogen aus. Wir ...

Alle Bilder, die wirklich gut sind, spielen am Meer. Ich habe heute endlich die Reise gebucht, sagte ich zu Anna. Ihr Lidstrich sah verzogen aus. Wir hörten eine Musik, die für mich mit einer bestimmten Bedeutung verbunden war: Als ich sie zum ersten Mal hörte, verliebte ich mich. Eine Wirkung, die einmalig bleiben sollte. Ich strahlte hinüber, sie verzog keine Miene.

Späte Tränen: Wie den dritten Todestag eines engen Freundes begehen. Wie viel zu spät um etwas Milch zu trauern. Schwülstige Szenen, meinte Anna, seien zur Triebabfuhr da. Im Dunkeln eines Kinosaals endlich die späten Tränen vergießen, die sich über die Tage angesammelt haben. Angeschwollene Tränensäcke. Dass es sich tatsächlich um SÄCKE handelt, bezweifelte ich. Im Kino habe ich noch nie geheult, sagte ich, und ich halte das auch nicht für männliche Verklemmtheit. Als Kind habe ich mal bei Cap Capper geheult, aber das ging vielen so. Danach nicht mehr. Bis ich kurz nach dem Tod des engen Freundes, kurz nachdem mich meine damalige Freundin für einen Deppen verlassen hat, Der Pate Teil 3 sah.

Nein, das war keine Strandszene, sagte ich. Es war nach der Oper. Al Pacino wartet, spricht Italienisch. Er hatte sich bemüht, von seinem abgründigen Dasein als Pate loszukommen, er hat vieles riskiert. Er hat sich um die Frau seines Lebens bemüht, noch einmal erfolgreich, er hat seine Tochter in eine Operngesangskarriere gesteckt, seine Tochter, die er mehr liebte als alles andere. Er hat seinen Stamm vererbt, aufgegeben, er wollte zurück in die Gesellschaft und Gutes tun.

Dann der Schlag des Schicksals. Die unbarmherzige Rache. Nach der jubelumbrausten Premiere wird geschossen: auf ihn, auf seinen Nachfolger, auf wen auch immer. Getroffen wird: seine Tochter. Sie sinkt sterbend auf den Stufen des Opernhauses dahin. Das endgültige Scheitern, aus etwas Schrecklichem etwas Gutes zu machen. Das Scheitern des Paten. Die Tragik, einem Schmerz auszuweichen, weil der andere, größere noch nicht bekannt ist. Die Tür fiel zu, die Zierpflanzen zitterten. Anna, eigentlich eine ängstliche, kontaktscheue Person, schaute mir direkt auf die Brille.

Rhododendron, sagte sie. Diese Geschichte ist mir zu traurig. Rhododendron? fragte ich. Ja, Rhododendron, sagte sie.

René Hamann wurde 1971 in Solingen geboren. Er lebt und arbeitet in Berlin.


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