Durch den Sandstrand gehen Fußstapfen, die von Morgenläufern stammen. Große Mülltonnen stehen als Fußballtore herum und warten darauf, dass jemand mit ihnen spielt. In den blauen Plastiksäcken, die in den Tonnen stecken, raschelt Wind. Ennui sei fürchterlich, habe ich mir einmal sagen lassen, hier wirkt alles wie auf blühenden Drogen, auch die Strandkörbe fehlen nicht. Das Meer schaukelt gleichmütig vor sich hin. Das rothaarige Mädchen erzählt von der Schule, von ihren Eltern, von dem Kaffeehaus, das eigentlich eine Pension ist. Von ihrem Typen redet sie nicht. Nie komme sie aus dem Ort hinaus, beklagt sie sich mit gekräuselten Mundwinkeln, besonders in den Sommerferien schaffe sie es nicht, dann werde sie am meisten gebraucht. Immer muss sie Betten machen oder Staub wischen. Das Frühstück servieren. Wenigstens seien die meisten Gäste freundlich, und oft gebe es auch ein ordentliches Trinkgeld. Anmachen finden selten statt. Ihre Eltern geben acht. Das sei auch besser so, ist sie selbst überzeugt, auf verrunzelte Herrschaften aus dem Ausland habe sie nämlich keine Lust. Wir bleiben neben einem Verhau mit Umkleidekabinen stehen. In der Ferne zieht ein Segelboot über den Horizont hinweg. Das Mädchen hat Sommersprossen um die Nase, sie sagt, dass es am anderen Ende des Orts eine heruntergekommene Tanzwirtschaft gebe, ansonsten sei nicht viel los. Sie langweile sich sehr.
Es hüpft auf einem Bein über einen Baumstumpf. Überhaupt scheint es sehr sprunghaft. "Es gibt einen schnellen und einfachen Weg", meint es jetzt, es möchte schwimmen gehen. Stülpt die Lippen nach vorne und hält sich die Nase zu. Ihre Unterwäsche trägt Blümchenmuster. Mit Schwung läuft sie ins Wasser, dann taucht sie unter und verschwindet. Prustend taucht sie wieder auf. Nachher wird sie frieren, weiß ich, und ich werde sie trocken rubbeln.
Ich schaue mich um. Eine Möwe landet auf einem Pflock und plustert sich. Ich gehe in die Hocke, schaufele Sand zu einer Burg auf, werfe ein herumliegendes Stöckchen weg. Kein Hund rennt ihm nach. Jemand läuft mit einem Transistorradio vorbei, lauter, dann wieder leiser werdendes Trommeln. Das Mädchen krault zwischen zwei Wellen hindurch. Die erste Welle hebt sie sanft an und lässt sie wieder herunter. Die zweite entlädt sich in sicherer Entfernung. Am Rande des Sichtfelds lugt ein Kreuz aus dem Wasser, hochkant und starr, es ist nicht das Periskop eines U-Boots, es ist nicht eine herumschwimmende Requisite. Es ist eisern.
Das Mädchen ist zurück ans Ufer gekrault, steht plötzlich auf, herausragende Figur, schüttelt das Wasser ab. Ihre Lippen sind blau, an ihre Fersen heftet sich Sand, den sie verzweifelt abzustreifen versucht. Ihr Name hatte einen schönen Klang, leider habe ich ihn vergessen. Sie lächelt, als ob sie meine Gedanken erraten hätte, sie sieht glücklich aus, eine Art Nachfreude über das Bad, oder eine Reaktion auf die Schauder von Kälte und Schock, die ihr über die Haut laufen. Sie beugt sich über die Kleider. Dann schaut sie mich bittend an.
René Hamann wurde 1971 in Solingen geboren. Er lebt und arbeitet in Berlin. Zu seinen Veröffentlichungen zählen zwei Gedichtbände und ein Band mit Kurzgeschichten.
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