Gebt mir ein G-E-Z-I

Dokumentation In „Istanbul United“ supporten verfeindete Fußballfans politischen Protest
Ausgabe 38/2014
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Bild: Presse

Filmemachern ist nicht jede Werbung recht. Aber es lässt sich nicht bestreiten, dass die Staatsanwaltschaft Istanbul zehn Tage vor dem deutschen Kinostart von Istanbul United Aufmerksamkeit auf diese Dokumentation lenkte. Die Behörde hat 35 führende Mitglieder der Ultragruppierung Çarşı angeklagt, die den Fußballklub Beşiktaş unterstützen – wegen Beteiligung an den Ende Mai 2013 auf dem Taksim-Platz ausgebrochenen Protesten gegen den damaligen Regierungschef und heutigen Staatspräsidenten Recep Erdoğan. Die Staatsanwälte fordern hohe Haftstrafen, drei Fans droht lebenslänglich. Ihnen wird ein Umsturzversuch vorgeworfen.

Die Regisseure Farid Eslam und Oliver Waldhauer beleuchten in Istanbul United die Rolle, die die Fans von Beşiktaş und den anderen großen Stadtklubs Fenerbahçe und Galatasaray während der Demonstrationen spielten. Unter dem Label, das jetzt Titel des Films ist, marschierten Fans, die einander sonst in Hass verbunden sind, plötzlich Schulter an Schulter.

„Als ich 14 war, konnte ich mir vorstellen, einen Galatasaray-Fan zu töten“, sagt ein Fenerbahçe-Fan. Das ist einer der Schlüsselsätze im ersten Teil des Films, der verdeutlichen soll, wie ungewöhnlich es war, dass sich die rivalisierenden Anhänger zu einem lockeren Bündnis formierten. Der zweite Teil zeigt die Vereinten in Aktion. Die im Nahkampf mit der Polizei erprobten Fans trugen einiges bei zur Wirksamkeit des Massenprotests, der zunächst der Be-bauung des Gezi-Parks gegolten hatte. „Schießt doch auf uns mit eurem Tränengas“: Was die Fans sonst am Spieltag der Polizei entgegensangen, richtete sich nun gegen Erdoğan.

Der Film Istanbul United lebt von groben, teilweise unübersichtlichen Straßenkampfbildern. Man ist solche Aufnahmen aus dem Netz gewohnt, aber ihre Ballung (vor Schmerz schreiende Demonstranten, ein Wasserwerfer-Angriff der Polizei auf ein Krankenhaus) erscheint für eine Kinoproduktion ungewöhnlich. Darüber hinaus dürfen sich die Macher etwas einbilden auf die Bilder, die sie inmitten der Kurven gedreht haben: Normalerweise gestatten Ultras professionellen Kameraleuten keinen Zugang zu ihren kleinen Reichen.

Wenn Fußball im Film eine Rolle spielt, setzen Regisseure in der Regel als dramaturgischen Höhepunkt ans Ende ein wichtiges, emotional aufwühlendes Spiel, das gut ausgeht für den oder die Protagonisten. Ein klassisches Finale gibt es hier nicht, stattdessen vermittelt der Film eine gedämpfte Aufbruchstimmung: Kann es gelingen, den „Spirit“ der Protestphase in die Klubs zu tragen? Zwar drang der Schlachtruf „Taksim ist überall/Überall ist Widerstand“ in die Kurven der Stadien vor – auch bis zu Fenerbahçe, wo Erdoğan Mitglied ist. Aber Fans rufen viel, wenn das Spiel lang ist. In Zeiten, als Wut über den Schiedsrichter in dem Lied „Oh, hängt sie auf, die schwarze Sau!“ Ausdruck fand, dürften unter den Sängern nur wenige Anhänger der Lynchjustiz gewesen sein.

Istanbul United hat nicht den Anspruch, Außenstehenden etwas zu erklären, sondern ist ein roher Film für Nischenpublika: für Demo-Routiniers. Oder für Menschen, die einen Bezug haben zu extremem Fußballsupport. Auch Fans, die mit Erdoğans AKP sympathisieren und sich erzürnen wollen, wird Istanbul United anziehen. Die Pro-AKP-Trolle sind auf der Facebook-Seite zum Film bereits sehr aktiv.

Die Haltung der Macher hat wohl dazu beigetragen, dass kein Fernsehsender als Ko-Finanzier eingestiegen ist. Die Art, wie die Regisseure ihre Haltung im Presseheft inszenieren, wirkt aber etwas kindisch: „Aufstände warten nicht auf Förderentscheidungen und Redaktionssitzungen.“ An der einen oder anderen Stelle hätte dem Film eine klassisch journalistische Perspektive ganz gutgetan.

Istanbul United Faris Eslam, Oliver Waldhauer Tschechien/Schweiz/D/Türkei 2014, 87 Min.

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