Das goldene Handwerk – geht den Bach runter

Handwerk Das positive Image von Handwerksprodukten und -dienstleistungen steht im krassen Gegensatz zur Situation des Handwerks als Berufszweig.

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Wir alle lieben Produkte, die durch die Hände Arbeit ausgewiesener Fachleute entstehen. Sei es der aus Holz eigens angefertigte Küchentisch, das in mühevoller traditioneller Handarbeit verzierte Keramikgeschirr oder das professionell eingerichtete neue Badezimmer. Handwerk steht für Tradition, Qualität und Fortschritt und ist nicht zu ersetzen durch industrielle Massenfertigung oder günstigere Alternativen aus dem Internet. Das Brötchen aus dem Discounter schmeckt niemals so frisch wie aus Bäckershand, den neuen Tisch von Ikea haben auch schon zwei Bekannte in ihrem Wohnzimmer stehen und die billige Toilettenschüssel aus dem Online-Shop muss erstmal selbstständig eingebaut werden. Schon gar nicht möchte man bei einer überraschend anstehenden Rohrreinigung selbst Hand anlegen. Das Handwerk ist elementarer Bestandteil unseres Alltags, unserer Kultur und nicht wegzudenken. Und doch ziehen am Himmel dunkelgraue Wolken auf und nicht wenige orakeln vom Untergang des deutschen Handwerks.

Wenn das Handwerk stirbt, gehen wir alle mit

Die Vorteile des Fachmannes oder der Fachfrau sind vielen Menschen bewusst und sie sind auch gerne bereit, für Leistung, Qualität und Zuverlässigkeit etwas mehr zu bezahlen. Paradoxerweise steht das positive Image von Handwerksprodukten und -dienstleistungen im krassen Gegensatz zur Situation des Handwerks als Berufszweig. Kaum jemand interessiert sich noch für klassische Handwerksberufe. Die Betriebe suchen händeringend nach Lehrlingen. Der vielzitierte Fachkräfte- und Handwerkermangel ist auf allen Ebenen zu spüren und wird augenscheinlich in den nächsten Jahren zum Supergau führen. Wenn kaum jemand mehr unsere Autos reparieren kann, niemand weiß, wie man Häuser baut und keiner in der Lage ist, unsere Kanalisationen auszubessern, wird uns das Problem irgendwann buchstäblich bis zum Hals stehen.

Als Verbraucher und Kunde sucht man jetzt schon oft vergebens nach dem richtigen Fachmann. Wer heutzutage so mutig ist, ein Eigenheim zu errichten, braucht starke Nerven und ein gut gefülltes Portemonnaie, um auf die Ausfälle und Wartezeiten reagieren zu können, die aufgrund nicht verfügbarer Handwerker anfallen. Maler- und Installationsarbeiten, aber auch Back- und Fleischwaren, Elektrogeräte und Möbel, Produkte des täglichen Bedarfs – all das verliert deutlich an Qualität, wenn es nicht mehr aus Meisterhand stammt. Die Nachfrage ist also da. Warum aber möchte niemand mehr in Handwerksberufen arbeiten? Nun, die Gründe sind natürlich wie immer vielschichtig, aber vor allem hat das Handwerk ein Imageproblem, und es ist in vielen Bereichen nach wie vor zu schlecht bezahlt!

Handwerk oder Studium?

Deutschlands Ruf als Exportweltmeister und das Prädikat „Made in Germany“ beruhen nicht zuletzt auf den Fähigkeiten des deutschen Handwerks- und Ingenieurwesens. Seit der frühen Neuzeit genoss das Handwerk in Deutschland einen hervorragenden Ruf. Wer was konnte, hatte nicht nur sein Auskommen, sondern durfte sich auch der Anerkennung anderer sicher sein. Der Meisterbrief als Zeugnis für Qualität und Wissen bedeutete finanzielle Sicherheit und gesellschaftliches Ansehen. Das ist längst nicht mehr so. Dem Handwerk haftet vielmehr das Image des Gestrigen, des Schmutzigen und des Stupiden an. In Zeiten der Digitalisierung, hipper Start-up-Jobs und den Möglichkeiten, allein durch das Posten auf Instagram Geld zu verdienen, wollen sich einfach die meisten Jugendlichen nicht mehr die Hände dreckig machen.

An der Handwerksmisere sind Politik und Gesellschaft mit schuldig. Jahrzehntlang wurden das Abitur und ein anschließendes Studium als Nonplusultra für die Karriereleiter propagiert. Das Handwerk hingegen sei nicht zukunftsfähig, hieß es. Die einfachen und schmutzigen Tätigkeiten würden schon bald irgendwelche Roboter erledigen und die Jugendlichen sollten doch lieber die Jobs der Zukunft anstreben. Die lagen damals laut sogenannter Fachleute vor allem in der Dienstleistungsbranche. Zusätzlich wurden viele Ausbildungsberufe einfach eliminiert beziehungsweise in Studienberufe umgewandelt. Das Studium galt als Garant für ein sicheres Einkommen und den beruflichen Aufstieg. Gesagt, getan! Heutzutage machen über die Hälfte aller Schüler Abitur, von denen dann um die 60 Prozent auch studieren, wobei 25% davon das Ganze dann nicht zu Ende bringen.

Leistung muss sich wieder lohnen

Auf der anderen Seite bedeutet das, dass nur knapp 13 Prozent aller Erwerbstätigen in Handwerksberufen arbeiten. Rund 30 Prozent der Auszubildenden entscheiden sich noch für einen Handwerksberuf. Tendenz sinkend! Um diesem Trend entgegenzuwirken, haben Politik und Handwerksverbände entsprechende Maßnahmen beschlossen. Das einst goldene Handwerk muss wieder an Glanz gewinnen für junge Leute. Die demographische Entwicklung, die Digitalisierung und die Schaffung komplett neuer Branchen können auch Chancen bedeuten. Innovation, Technisierung und Internationalisierung sind hier die Stichwörter. Ein spannendes, modernes und vor allem finanziell attraktives Berufsfeld würde auch wieder Berufsanfänger anlocken.

Als Rohrreiniger weiß ich, dass sich Handwerk lohnt, aber es muss sich noch mehr lohnen! Es kann doch nicht sein, dass ein Industriearbeiter teilweise das Doppelte verdient. Insbesondere die Ausbildungsvergütungen müssen angehoben werden. Für 700 Euro im Monat lässt sich niemand gerne ausbeuten. Das Leben wird immer teurer; angefangen bei den Mieten. Das ist definitiv Aufgabe der Politik, die Voraussetzungen zu verändern. Daneben ist es aber auch eine Frage der Denkweise respektive der Wertschätzung innerhalb der Gesellschaft und von Arbeitgeberseite. Der Spruch „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ stammt aus dem letzten Jahrhundert. Mindestens! Lehrlinge und Gesellen müssen das Gefühl vermittelt bekommen, wertvoll zu sein und gebraucht zu werden. Und das nicht nur zum Ausfegen der Werkstatt!

Der Patient atmet noch!

Begrüßenswert sind Initiativen seitens der Politik und der Handwerksverbände, mit deren Hilfe Handwerksberufe auf die Herausforderungen der Zukunft umgestellt werden. Und es wird auch dringend nötige Aufklärung betrieben wird! Viele Jugendliche wissen gar nicht, was sie in den einschlägigen Berufen wirklich erwartet. Die Klischees des rußbeschmierten Schornsteinfegers, des in Maschinenöl getauchten Kfz-Mechanikers und des mit undefinierbarem Unrat bedeckten Klempners gehören der Vergangenheit an. Der Handwerker von heute und vor allem von morgen nutzt längst Laptop und modernste Mess- und Arbeitsmethoden. Und wird in aller Regel auch nicht mehr ganz so schmutzig wie früher, was natürlich für die Branche der Rohrreinigung, in der ich selbst tätig bin, so nicht gilt.

Wenn sich jetzt Politik, Gewerkschaften und Verbände noch darauf einigen könnten, die Ausbildungsvergütungen und Gehälter deutlich anzuheben, besteht tatsächlich die Chance, dass das Handwerk aus seinem komatösen Zustand noch einmal erwacht und sich erholt. Handwerksberufe sind äußerst interessant und abwechslungsreich. Wer gerne mit seinen Händen arbeitet und am Ende des Tages ein Resultat sehen möchte, ist beim Handwerk genau richtig. Wenn der finanzielle Rahmen stimmt, die gesellschaftliche Anerkennung stimmt und das Arbeitsfeld modern gestaltet ist, kann selbst ein auf den ersten Blick eher unliebsamer Bereich wie der der Rohrreinigung zur interessanten Herausforderung werden. So oder so: wer sein Handwerk versteht und sich voll reinhängt, hat nicht nur einen soliden Business Case, sondern auch bald ein festen Kundenstamm und kann sich bald seine Kunden aussuchen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Rene Walter

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