"Die Anstalt" und KenFM "Positionen 4"

Eine Polemik. Natürlich. Haltungen rund und eckig um das Flüchtlingsthema

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Ich habe vor Kurzem in dem Artikel Die Linken sind auch Rassisten versucht, innerhalb des Stilmittels der Polemik das Spannungsfeld zwischen (bei allem Streit doch traditionellen) linken Positionen und den Positionen einer kritischen, im Wachsen begriffenen Netz-Gegenöffentlichkeit zu beleuchten, die auf der Grundebene zunächst die Überzeugung eint, ideologisch durchnässte Gesellschafts- und Menschenbilder wie die bisher klassischen Wertesysteme von Rechts und Links abzulehnen. In der weiteren Zeichnung des Bildes dieser Gegenöffentlichkeit schrieb ich: „Es ist dies ein naturbedingt widersprüchliches Lager, das sich aber vor allem in der Bewertung des us-amerikanischen NATO-Imperialismus, der positiven Rezeption russischer Außenpolitik und in der Analyse der von den USA und in seinen jeweiligen Vasallenstaaten gesteuerten Medien weitgehend einig ist. Weiterhin gemein ist ihm, den massiven, nach wie vor ungeregelten Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland einseitig zu katastrophisieren und darüber das dramatische ausländerfeindliche Potential in diesem Land durch ein völlig unverantwortliches, seltsames Verständnis gegenüber Pegida und Co. zu bagatellisieren und damit geradezu zu legitimieren.“

Im Konkreten sind hier (in der Hierarchie der sog. „Klick-Zahlen“) „KenFM“ und die „Propagandaschau“ zu nennen. Vor allem bei Ken Jebsens zu Recht in den letzten Jahren rasant gewachsenem, crowdfinanzierten „Netz-Medienkonzern“ ist allerdings jede Pauschalisierung zu vermeiden. Jebsen machte und macht eine insgesamt hervorragende, wichtige Arbeit, die nicht nur aus linker Sicht aber in einigen Aspekten zu kritisieren ist. Die Propagandaschau als Einmannbetrieb unter dem Blog-Betreiber Dok(umentator) hat sich im vergangenen Jahr hingegen mehr oder weniger in der rechtspopulistischen Ecke positioniert. Das macht dieser freilich nicht auf die plumpe Art: krass triefenden Rechtspopulismus wird man aus der Feder dieses Rattenklärers nicht zu lesen bekommen, dafür sorgt dann der kommentierende Anteil des Stammtisch-Pöbels. Nein, der Blogger Dokumentator ist ein klassischer Brandstifter, der genau um die Wirkung seiner Analysen und vor allem um die gefährlich begrenzte intellektuelle Kapazität der Mehrheit seiner Anhänger weiß. Aber er ist auch ein Linken-Verführer – natürlich. Die klaren, weit weg von jeder political correctness auf den Punkt gebrachten geopolitischen Analysen und Rezeptionen der Propagandaschau sind für jeden nach auch mal derberen Worten dürstenden Linken ein köstlicher Labsal - und so kann es natürlich kommen, dass selbst Wortakrobaten wie Bräutigam und Klinkhammer in einer ihrer – immer sehr guten - ARD-Programmbeschwerden den Dokumentator schon mal als geradezu genialischen Vor-Schreiber der Weltenläufte zitieren. Das ist eigentlich auch in Ordnung. Nur hinterlässt es ein großes „Aber…“. Konfession: Ich war ein großer Fan der Propagandaschau; seit der zu Hauf bewiesenen Unfähigkeit oder auch dem Unwillen des Bloggers, dem Rechtsruck in Deutschland eine angemessene Position in Ursache und Bedrohungspotenzial zuzuweisen, hat sich das natürlich geändert.

Dass sich Max Uthoff, Claus von Wagner und deren Gäste gestern in der „Anstalt“ eindeutig und aufs Schönste differenziert undifferenziert zu einem ansteckenden, wunderbar wohltuenden unterkomplexen Humanismus und zu einer eindeutigen Position gegen jeglichen Rechtspopulismus bekannten, halte ich für die wichtigste Themenentscheidung dieses Formats in dem noch jungen, aber an offenem Rassismus schon reichen Jahr, egal was thematisch auch noch kommen mag. Oder anders: Ein wirklich köstlicher Schlag in die Fresse aller selbsternannter, in ihrer eigenen narzisstischen Tiefebene kreisenden Abstraktions-Adler mit ihrem Kelly-Greenhill-Migrationswaffen-Geschwafel, ihren kruden Vorträgen über das Frauenbild in der islamischen Gesellschaft und ihrer die Magennerven reizenden Attitüde einer neuen Elite von politischen Ideologien befreiten Teppichknüpfer-Ideologen.

Wer die „Anstalt“ kennt, weiß natürlich, dass Uthoff und von Wagner, falls notwendig, tiefgründigere, komplexe Analysen nicht scheuen und im Falle Griechenland, Syrien, NSU-Terror/Verfassungsschutz usw. usf. trotz der begrenzten Sendezeit gern auch ins Eingemachte gehen. Aber in diesem Fall verweigerten sie sich geradezu provozierend leidenschaftlich und trotzig jeglichen angeblich komplexeren Analysen zugunsten der klaren, unverfälschten, nicht ablenkenden und daher stark verdichteten Sicht auf die Opfer - und auf die Täter von der rassistischen Fraktion. Gut so! Absolut sehenswert!

Szenenwechsel. Die inzwischen vierte Gesprächsrunde „Positionen“ von KenFM, (KenFM Positionen 4) veröffentlicht am 21.02.16, brüllt indes geradezu danach, in ihren dort gezeigten Haltungen zu einem kleinen, selbstverständlich stark selektierten und damit selbstverständlich auch irgendwie ungerechten Vergleich zu der transportierten Haltung der „Anstalt“ (Die Anstalt) hergenommen zu werden. Natürlich sind auch hier die Flüchtlingsproblematik und Köln ein Thema. Allerdings wird aus einer Haltung heraus argumentiert, die derart weit weg von den Realitäten dieser Menschen siedelt, die wirklich Staunen macht. Natürlich ist so eine Runde kein Kabarett und (leider) auch kein linkes Gutmenschentreffen, aber so einen klitzekleinen Hauch der Empahie (obwohl dieser Begriff ständig den Raum durchgeisterte) wär' irgendwie schon schön gewesen. Vor allem der Geohumanist Rainer Rothfuß (in anderer Form auch der Journalist Gerhard Wisnewski) zeigten in tief beeindruckender Weise, inwieweit die zu Recht allseits gefürchtete Bedeutungs-Trunkenheit mit sich selbst am Steuer fähig ist, jegliche Empathie soweit in eine sich selbst feiernde Abstraktion zu klopfen, bis sie wie eine Jagdtrophäe ausgestopft an die Studiowand genagelt hängt. Zu Gast war übrigens auch Evelyn Hecht-Galinski. Den Lebensschwerpunkt, das Lebensthema dieser mutigen Kämpferin kennen wir. Und ihn kennt Jebsens Runde. Rothfuß indes wurde dennoch von dem unbedingten aufklärerischen Drang ergriffen, angesichts des Themas „Feindbilder“ ausgerechnet Hecht-Galinski gegenüber darauf hinweisen zu müssen, dass auch die Palästinenser Israel zum Feindbild haben. Pause. Ja, richtig gelesen: Dr. Rainer Rothfuß belehrt eine Evelyn Hecht-Galinski darüber, dass auch die rassistisch Verfolgten, die Jahrzehnte lang Besetzten, die im Laufe der Generationen millionenfach Gedemütigten und abertausendfach Massakrierten den Zionismus zum Feindbild haben. Wie komplett in der akademischen Abstraktion ersoffen muss man sein, um solch einen peinlichen, grotesken und unglaublichen Quatsch noch dazu dieser Frau gegenüber abzusondern? Der Rest der Runde, inbegriffen auch Ken Jebsen, schwieg indes und ließ die perplexe Hecht-Galinski völlig allein. Rothfuß wäre aber nicht der Rothfuß dieser Runde, wenn er nicht vorher noch stolz als Nachtrag zu Köln über das voraufklärte islamische Frauenbild am Beispiel Pakistans in eigenen Studien vor Ort referiert hätte und mit der verblüffenden Erkenntnis endete, dass der gemeine männliche Moslem westlich freizügig gekleidete Frauen per se als Nutte wahrnehmen würde. Mein Gott, mein Teufel, wer auch immer: Wer oder was bitte füllt einen solchen Argumentationsmüll in den über den Augen liegenden akademischen Hohlraum eines solchen sich selbst als wissenschaftlichen Aufklärer wahrnehmenden Redeapparat? Nicht uninteressant hierbei: In den inzwischen weit über einhundert Kommentaren der Zuschauer zu dieser Talkrunde ergießt sich derweil natürlich ein entrüsteter Shitstorm über – richtig, über Evelyn Hecht-Galinski! Diese hätte mit ihren ständigen Unterbrechungen genervt… Sorry, ich muss gerad’ mal aufs Klo.

Wieder zurück. Der personifizierte Verschwörungspraktiker und Journalist Gerhard Wisnewski ist ein kluger Mann. Leider ist er etwas libertär, wie er mal dem sympathischen, libertären Patrioten Oliver Janich gegenüber abnickte. Nun gut, sei’s drum. An Wisnewskis Klugheit und vor allem an seinen investigativen Fähigkeiten gibt es nichts zu rütteln. Ob 9/11, ob Barschel, ob Herrhausen, ob die RAF oder ob Flüchtlinge – Wisnewski kennt die verborgenen Verursacher, Täter und natürlich die Wahrheit. Ob er im Einzelfall oder Zweifelfall Recht hat oder nicht, sei an dieser Stelle - dahingestellt. Dass auch er, wie Jebsen, Pohlmann und viele andere von den Systemmedien ausgesperrt wurde, dass Rothfuß wie auch Ganser usw. im universitären Betrieb an enge Grenzen der Forschungsfreiheit stießen, das soll nicht unterschlagen werden. Es ist daher freilich zu begrüßen, wenn eine Gegenöffentlichkeit diesen Köpfen ein Forum für ihre Arbeit bietet. Aber darum geht es hier nicht. Es geht um Haltungen. Denn auch bei Wisnewski bleibt die Suche nach einer wie auch immer intonierten Haltung der Nähe zu den Flüchtenden erfolglos und geht ins Leere. Allen und allem überwiegend gemein ist in diesem Teil der Gegenöffentlichkeit jedenfalls, dass eine glaubhafte Distanzierung vom vor allem bürgerlichen Rechtspopulismus, also der so genannten Mitte völlig fehlt und damit Phänomene wie Pegida singulär zur Folge einer in ihren Augen falschen Politik reduziert werden. Kratzt dann jemand an dieser wabbeligen Haltung wie in diesem Beispiel Evelyn Hecht-Galinski, wird plötzlich eine quasi holistisch-humanistische Ebene eröffnet, innerhalb derer man sich doch gegenseitig artig zuhören und verstehen müsse. Das ist bestimmt ganz doll lieb gemeint, und ja, das rührt natürlich auch mein hartes Herz, schluchz. Bloß, was ist mit den Flüchtlingen? Ach so, das sind ja die „Weapons of Mass Migration“. Das reicht. Das Geschwür des Rassismus wird einfach nicht erkannt - und sich selbst und seine Mitstreiter dröhnt man mit großartigen, in der Pose geradezu Zeit und Raum überwindenden Thesen zu. (Aber nochmals: Diese selektiv ausgewählten Szenarien geben natürlich nicht das Gesamtgeschehen der Sendung "Positionen 4" wieder.)

Der Journalist Jürgen Roth sagte neulich anlässlich des Erscheinens seines neuen Buches „Der tiefe Staat. Die Unterwanderung der Demokratie durch Geheimdienste, politische Komplizen und den rechten Mob“ Jens Wernicke von den NachDenkSeiten dies: „Es gibt einen politischen Fingerabdruck aus dieser Zeit [Nazi-Zeit], der sich nahtlos von den durch die CIA geförderten Nazi-Netzwerken im Sicherheitsapparat Ende der vierziger Jahre bis heute nachweisen lässt. Dass dieser politische Fingerabdruck des Autoritarismus, des Elitismus, völkischen Nationalismus und Rassismus bis heute vorhanden ist, wird in der derzeitigen politischen Diskussion jedoch ausgeblendet, obwohl es gerade jetzt, im Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage, so wichtig ist, diesen Fingerabdruck in Erinnerung zu rufen. Ohne ihn ist die derzeitige Situation nicht zu verstehen.“ Diesen Worten von Roth ist nichts hinzuzufügen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Reyes Carrillo

Argentinische Kinder- und Jugendpsychologin. Lebt in zweiter Inkarnation in Deutschland. Selbsttherapie: Polemiken verfassen

Reyes Carrillo

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