"Die Linken sind auch Rassisten"

Eine Polemik Wie im Internet ein altes Schauer-Märchen als echt neu auftaucht

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"Man könnte wiehern und gleichzeitig weinen"
"Man könnte wiehern und gleichzeitig weinen"

Bild: Johannes Simon/Getty Images

Innerhalb der aufgeklärten, sich zu Teilen dezidiert links verstehenden Gegenöffentlichkeit im Internet mit ihren Portalen und Blogs, setzt sich in einem nicht irrelevanten Teil spätestens seit den Silvester-Ereignissen in Köln eine Sichtweise durch, die Anlass zur Sorge geben sollte: Das Linken-Bashing neuer Qualität. Die alte, stets treu und zuverlässig eingehaltene Tradition, dass sich Linke am liebsten gegenseitig madig machen und in die Fresse hauen, hat Gott sei Dank wieder eine neue Runde eingeläutet. Es wäre ja auch langweilig geworden.

Neu dabei ist eine sich so noch nicht gezeigt habende Links-Rechts(außen)-Koalition mit allen ihren Variablen. Es ist dies ein naturbedingt widersprüchliches Lager, das sich aber vor allem in der Bewertung des us-amerikanischen NATO-Imperialismus, der positiven Rezeption russischer Außenpolitik und in der Analyse der von den USA und in seinen jeweiligen Vasallenstaaten gesteuerten Medien weitgehend einig ist. Weiterhin gemein ist ihm, den massiven, nach wie vor ungeregelten Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland einseitig zu katastrophisieren und darüber das dramatische ausländerfeindliche Potential in diesem Land durch ein völlig unverantwortliches, seltsames Verständnis gegenüber Pegida und Co. zu bagatellisieren und damit geradezu zu legitimieren.

Diese „Fraktion“ arbeitet sich u.a. an einer von ihr so erkannten „Rot-grünen-Community“ ab, einer Art linksgrünen Gutmenschentums, dem ein „Links-Rassismus“ unterstellt wird, „…der bis heute als Überreaktion auf die NS-Geschichte zu werten ist…“ (Ken Jebsen), und ein anderes Blog, die Propagandaschau, weiß, dass „…der naive „linke“ Rassismus die Augen selbst dann [verschließt], wenn die anti-sozialsten Subjekte unter den Migranten sich schwerster Straftaten schuldig machen. In beiden Fällen ist eine oftmals ideologisch motivierte, mangelnde Bereitschaft zur Differenzierung die Ursache.“ Frauen, die es wagen, anlässlich der Kölner Ereignisse auf die allenthalben in Deutschland grassierende sexuelle Gewalt gegen Frauen zu verweisen, die es ablehnen, sexuelle Gewalt zu ethnisieren, gar zu islamisieren und die plötzlich überall aus den Gullis heraufsteigenden Frauenrechtler hinterfragen, werden lächerlich gemacht.

Frauen, die es – zugegeben nicht ganz unproblematisch - wagen, auf das „Oktoberfest“ als ein Synonym für ihre Argumentationslinie hinzuweisen, gehören dann in die Freakshow des lustigen Naivseins eines „…mit dem rot-grünen Spektrum eng verbandelten Gender-Feminismus“. (Sebastian Müller/Le Bohémien). Der Herausgeber dieses im eigenen Selbstverständnis intellektuellen, linken Edel-Blogs macht dann in seinem Feminismus-Bashing sogar den berüchtigten Islamophobiker Hamed Abdel-Samad mit der Verlinkung zu einem Artikel des Genannten ausgerechnet im „Cicero“ zum Zeugen seiner chauvinistischen Anklage. Richtig, Abdel-Samad, das war der Beifahrer in Henryk M. Broders einst unsäglicher TV-Deutschland-Safari.

Es wird suggeriert, dass es tatsächlich eine mehr als relevante Zahl linker Naivlinge mit pathologisch übersensibel eingestelltem Rechts-Trigger in diesem Land gäbe, die ideologisch ferngesteuert dafür plädierten, jedem Nicht-Deutschen eine strafrechtliche Sonderbehandlung angedeihen zu lassen, mehr noch, zu leugnen, dass es überhaupt Straftäter mit „Migrationshintergrund“ geben könne oder gar meinten, Nicht-Deutsche seien per se die besseren Menschen. Wer kennt bloß solche Linke? Ich nicht.

Ken Jebsen kennt sie aber und weiß nach numerisch aufwändigen Doppelblindstudien die Fachwelt aufzuschrecken: "Anders als der rechte Rassist unterstellt der linke Rassist dem Ausländer nicht ab Werk, ein Schurke zu sein, er leugnet bei ihm die Fähigkeit dazu. Aus Angst vor der Realität, die in den eigenen Kreisen kaum laut auszusprechen ist ohne extrem schief angeschaut zu werden“, notiert er in sein öffentliches Tagebuch. Man fasst es kaum, Jebsen muss offenbar den Begriff Doppelblindstudien wörtlich verstanden haben. Aber keine Sorge, der Wahrnehmungscrash ist noch steigerbar: "Wer in Deutschland offen über die existierende Kriminalität bei Nicht-Deutschen spricht, bekommt schnell von den deutschen Leitmedien einen Maulkorb verpasst.“

Bitte, nicht böse sein, wenn jetzt die Tränen aus dem lachenden und dem weinenden Auge gleichzeitig kullern: Das muss man sich wirklich langsam auf der Zunge zergehen lassen nach gefühlten viertausendsiebenhundertundzwei Talkshows zum Thema Zuwanderung/Multikulti/Integration/Islamismus, in denen eine immergleiche, geradezu an systemische Familienaufstellungen erinnernde Regie im Verbund mit der passenden Gästeliste dafür sorgte und sorgt, den Nicht-Deutschen in der Regel zum determinierten Symptomträger zu pathologisieren. Auch die weiteren vierhundertzwölf Quatschbuden mit und ohne Thilo Sarrazin über dessen das Land spaltende phobische Thesen können Ken Jebsen nicht von seiner verqueren Perzeption erlösen.

Sebastian Müller ergänzt jedenfalls kongenial in seinem Blog „Le Bohémien“: “Mit den Stigmatisierungen und dem in “die rechte Ecke stellen”, trägt der linksgrüne Generalkonsens maßgeblich zum Erfolg des Rechtspopulismus bei. Denn wer in “die rechte Ecke gestellt” wird, kann mitunter auch von rechts abgeholt werden.“ Was für eine grandiose Ausblendung der Realitäten! Er blubbert weiter: „Dass man sich zwar die Bekämpfung von Faschismus und Patriarchalismus auf die Fahnen schreibt, diesen aber nicht im Islamismus zu erkennen imstande oder willens ist, zeugt im Übrigen von einem blinden Fleck im linken Denken.“ Mit der Frage nach dem „blinden Fleck“ wäre ich an der Stelle von Sebastian Müller angesichts solcher Gesichte ganz zurückhaltend. Wie kann man als doch halbwegs kluger politischer Beobachter zu solch einer völlig verzerrten Wahrnehmung kommen? Unglaublich.

Es sind dies dieselben Deeskalierungs-Basher, die dann (wie oben schon angesprochen), vor allem ist hier die Propagandaschau an führender Stelle tätig, dem deutschen Rechtspopulismus (u.a. eben Pegida u. Co.) mit einem eigenartig-warmen Verständnis gegenüberstehen. Xenophob begründete Übergriffe auf Flüchtlinge werden in dieser einseitig konditionierten Wahrnehmungswelt zwar nicht gebilligt, aber doch mit einem gefährlichen, nachfühlenden Verständnis begleitet.

Die Propagandaschau schreibt deshalb im vergangenen Oktober einfühlsam: „Politische Gewalt resultiert immer aus Ohnmacht des Individuums oder einer Gruppe, eigene für besonders bedeutsam erachtete Ziele mit gesellschaftlich konformen Mitteln durchzusetzen. Wenn die Bürger in Kommunen – aus welchen Gründen auch immer – mehrheitlich nicht wollen, dass dort Flüchtlinge untergebracht werden und wenn ihnen keine legitimen Mittel zur Verfügung stehen, ihren Willen durchzusetzen, dann ist der Schritt zur Gewalt nicht weit.“

Im November meldet sie zur medialen Rezeption des bekannt gewordenen „Galgen“ innerhalb einer Pegida-Demonstration: „Es geht in Dresden darum, friedlichen Protest zu skandalisieren und ihm Gewalt anzudichten, um weitere Bürger davon abzuhalten, gegen die eigene Regierung auf die Straße zu gehen.“ Propagandistisch wird der Versuch unternommen, den inzwischen überall anzutreffenden „Ich bin kein Rassist, aber…“-Bürger“ vom Vorwurf einer ausländerfeindlicher Schlagseite zu befreien und die allgemeine Rechtskonditionierung in Deutschland auf eine klar zuzuordnende und überschaubare Rassisten- und/oder Nazi-Nische zu reduzieren – es sei denn, der ohnmächtige Bürger fühlt sich zur Gewalt getrieben. Die bei Pegida und ähnlichen Bewegungen zum Vorschein kommende latente Xenophobie und Islamophobie wird entweder bestritten oder zur berechtigten Gegenwehr einer gegen das Wohl der Bürger durchgesetzten Flüchtlingspolitik erhoben; die latente, also von nachvollziehbaren Kausalitäten befreite Xenophobie auf diese Weise gefährlich kaschiert und damit ignoriert. Die überproportionale Xenophobie in den östlichen Bundesländern bei gerade einem Bruchteil des Ausländeranteils im Vergleich zu den Westländern zeigt deutlich, dass die hier ausgegebenen und mit mitunter auch rührender Empathie aufgeladenen Kausalketten völlig einseitiger und damit propagandistischer Natur sind.

Der Hintergrund all dieser Ausblendungen ist der übel gärende Nährboden, aus dem das gegenwärtige Flüchtlingsdrama als „Migrationswaffe“ herausrülpst, womöglich gesteuert von der globalen Finanzelite und inszeniert als Merkels „Refugees Welcome“, um schließlich das Land zu überfremden, zu islamisieren und damit seinen inneren Frieden nachhaltig zu zerstören. An dieser Stelle wird unfreiwillig Horst Seehofer geradezu zum Retter des Abendlandes und selbst Bestsellerautor Thilo S. konnte nicht ahnen, dass seine kruden Szenarien schon bald von ihre Hüte mit Alupapier umwickelnden Hutträgern, also noch weit bescheuerteren Theorienverschwörer derart getoppt werden würden. Wunderbar, ausgerechnet die Finanzmafia zielt auf das Chaos im neoliberalsten Land Europas!

Das alle einende Band, das diese Protagonisten miteinander verknüpft, mit oder ohne Aluhüte, mehr oder weniger rechts-bagatellisierend, verwirrter oder weniger verwirrt, ist das lächerliche Selbstbild eines geradezu totalen Durchblickens, des Eindrucks, Teil einer Elite von intellektuellen Überfliegern zu sein oder eines erlauchten Kreises von Meta-Ebenen-Kraxlern. Man könnte wiehern und gleichzeitig weinen.

Natürlich gibt es sie, die Scheuklappen tragenden Links-Romantiker - und seltsame Feministinnen gibt es auch. Und natürlich gibt es die, die in Köln eine „Inszenierung“ erkennen wollen, die sich als hauptamtliche Faschisten- bzw. Rechts-Jäger mit Mengenrabatt wähnen und die, die die Herausforderung dieser massiven Flüchtlingswelle nicht sehen wollen oder können. Natürlich ist die verzögerte Bericht- oder besser Nicht-Berichterstattung der so genannten „Qualitätsmedien“ zu den Kölner Ereignissen in den ersten Tagen schlicht und einfach propagandistisch zu nennen. Und natürlich ist es mehr als problematisch, die gegenwärtige Politik gegen große Teile der Bevölkerung durchzusetzen. Andererseits: Ginge es nach dem Volk, hätten wir morgen die Todesstrafe und übermorgen keinen einzigen Ausländer mehr im Land – außer Franco, den Pizzabäcker und Ali von der Dönerbude gegenüber natürlich. Diese Debatten um die Aushöhlung der Demokratie ausgerechnet in der Flüchtlingsfrage triefen nur so von doppelten Standards und Verbiegungen.

Es gibt natürlich den schönen Propagandatrick, mit geradezu auffälliger, bemerkenswerter Stringenz Ursache und Wirkung aufzuzeigen, wieder und wieder, nichts zu verschweigen, nichts zu beschönigen – um dann plötzlich, holterdiepolter, doch den Rollladen herunterzulassen und die Wirkung von der Ursache zu entkoppeln. Von der redlichen Schonungslosigkeit bleibt ja sicher was hängen… Deshalb nochmals: Dieses Land ist zu einem großen Teil dafür verantwortlich, warum diese Flüchtlinge hierher fliehen. Über die Grenzen gehen jene, deren Existenzgrundlage von den gewählten deutschen Regierungen mitverantwortlich zerstört wurde und weiterhin zerstört wird. Wer also auch nur die Lippen zu einem scheiß Halbsatz zum Thema Flüchtlinge spitzt, ohne diese Ursachenlage in sich auf Dauer-Plus geschaltet zu haben, der soll die Fresse halten! Pardòn.

Fazit: Eine Debatte über die Flüchtlingspolitik, die sich nicht gleichzeitig mit dem deutschen rechten Mob auseinandersetzt, sich aber leidenschaftlich ihrem ausgemachten, als Links-Rassisten diffamierten Gegner widmet, ist geradezu lächerlich. Der Versuch, die Flüchtlingsproblematik, also die Wirkung, allein der gegenwärtigen Regierungspolitik, ihren medial verbreiteten Sprachregelungen und einer Rotgrünen-Gutmenschen-Community anzuhängen, ist dümmlicher oder ganz bewusster Unsinn. In Deutschland gibt es deshalb zwei Brennpunkte: Die Flüchtlingskrise UND die Rechtskonditionierung der bürgerlichen Schichten. Wer diese Rechtskonditionierung nur in der Kausalität der Flüchtlingsproblematik sehen will und dieser Konditionierung sogar mit wohlwollendem Verständnis begegnet, der hat nichts begriffen und spielt jenen rechten Dumpfbacken in die Hände, die längst die Kommentarspalten vieler Blogs für sich erobert haben. Der wohlfeile Ruf, so berechtigt er auch ist, nach einer längst fälligen Neutralität im Umgang mit Nicht-Deutschen auf jeder Ebene, der Ruf nach der völligen Gleichbehandlung ist nichts weiter als ein akademischer Appell an das Phantom einer Normalität und Neutralität, die es in diesem Land nie gab, nicht gibt und auf lange Zeit nicht geben wird. Denn nichts ist normal im Zusammenleben zwischen völkischen Deutschen und „dem Ausländer“.

Die Schuld an einer nie existierenden Integrationspolitik, die diesen Namen verdient hätte, lastet auf vielen Schultern. Ausgerechnet das rotgrüne Spektrum besonders dafür verantwortlich zu machen, diskreditiert diejenigen, die so etwas behaupten, zu eitlen Plappermäulern. Solange die (fiktive) Meldung im (ebenso fiktiven) Berchtesgadener Heimatboten „Omar A., ein Flüchtling syrischer Herkunft stahl dem Koch das Ei…und Sepp F., gebürtiger Moosbacher, stahl dem Koch das andere Ei… - jetzt ist er eierlos“ nicht in völliger Normalität und mit annähernd gleich niedrigschwelliger Leseremotion aufgenommen wird, solange geht noch viel eitles, wohlfeiles und als megalomaner Meta-Durchblick verkauftes Gelaber ins Land.

Selbstverständlich ist unbedingt darauf hinzuweisen, dass die hier Genannten und auch nicht Genannten überwiegend eine sehr gute und wichtige aufklärerische Arbeit leisten, der Dank gebührt. Sakrosankt ist sie deshalb nicht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Reyes Carrillo

Argentinische Kinder- und Jugendpsychologin. Lebt in zweiter Inkarnation in Deutschland. Selbsttherapie: Polemiken verfassen

Reyes Carrillo

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