Revolution, Reform und Rechthaberei

Eine Polemik Das ultimative Marxisten-Bashing

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Angeregt durch die erweiterte, kontroverse Diskussion meines Beitrags „Die Linken sind auch Rassisten“, möchte ich nun mit diesem Beitrag das linke Dauerthema zwischen Marxisten und Reformern aus der Sicht eigener Erfahrungen aufgreifen und anhand meiner Kritik an der Spezies dogmatischer Marxisten zur Diskussion stellen. Selbstverständlich gibt es im weiten Rund der Freitag-Blogger garantiert weit berufenere homines politici als mich, dem Themenkreis "Reform vs Revolution" die erforderliche Breite, das nötige Wissen und die adäquate Tiefe entgegenzubringen, den er verdiente. Ich aber möchte hier nur, wie schon geschrieben, schlicht meine persönliche Sicht auf die Dinge schildern – und Dampf ablassen! Deshalb ist natürlich schon jetzt die lange Liste der Dinge, die ich undeutlich, missverständlich oder grob verkürzend darstelle längst geschrieben. Aber so ist das nunmal.

Der Hauptdissens im linken Diskurs dreht sich traditionell im Wesentlichen um die Frage, ob es überhaupt Sinn habe, mehr noch, ob es gar legitim sei, das kapitalistische System ohne die unbedingte Fokussierung auf das Endziel der revolutionären Systemüberwindung und die damit verbundene Verwirklichung einer von der Ausbeutung von Mensch und Natur freien Gesellschaft zu reformieren (manche sagen ja auch, obschon etwas ungenau: „Dritter Weg“). In der Beantwortung dieser Grundfrage stehen, besser standen sich in diesem Land einst vor allem die Sozialdemokratie und der Sozialismus/Kommunismus gegenüber. (Auf die Geschichte der Sozialdemokratie in Deutschland – Stichwort auch: DDR – sollte sich eine Ausländerin nicht nur aus Platzgründen aber besser nicht einlassen.) Nun, da sich – zumindest - die parlamentarische Sozialdemokratie in diesem Lande selbst längst ausradiert hat, ist es faktisch schon seit einiger Zeit die Partei „Die Linke“, die in ihren „Flügeln“ den genannten Dissens zwischen diesen Positionen widerspiegelt. Mit „Flügeln“ ist als Beispiel ein so seltsames Antagonisten-Paar wie Sahra Wagenknecht und Schwiegermuttertraum und Transatlantik-Brückler Stefan Liebich gemeint.

Konsens immerhin zwischen Reformern und Revolutionären ist (es ist sicher klar, wen und was ich unter diese Begriffe subsumiere), dass eine die Banken, die Konzerne, den Reichstag, Kanzleramt und Schloss Bellevue stürmende Revolution nicht zwingend unmittelbar bevorsteht. Jedenfalls nicht mit diesem Volk, noch dazu im neoliberalen Vollrausch dämmernd. Daraus ergibt sich der erweiterte logische Konsens, dass - in einer gern so gesehenen vorrevolutionären Epoche – kein anderer Weg bleibt als der Versuch, die linken außerparlamentarischen fortschrittlichen, demokratischen Kräfte und Institutionen, allen voran natürlich die sich wie die SPD selbstvernichtenden Gewerkschaften (obwohl: Je sui Weselsky) mit allen verfügbaren Mitteln zu stärken. Das ist einem sich selbst als unverbiegbar und standfest erlebenden Kommunisten aus der früheren DDR genauso klar wie unserem Babyface Stefan Liebich. Der – oft erbitterte – Diskurs reduziert sich im „Diesseits“ des Kapitalismus also trotz eines solchen absolut vernünftigen Grundkonsens' oft nur auf das entsprechende „wording“ innerhalb der jeweiligen Konditionierungen und Fokussierungen beider Lager. Beide haben sich gegenseitig traditionell und geradezu automatisiert im schwerwiegenden Verdacht des politischen Hochverrats. Die Reformer unterstellen den Revolutionären, das Endziel des angestrebten revolutionären Prozesses mit ihren Maximalforderungen als für das „gemeine“ Volk abschreckende Monstranz vor sich herzutragen, dadurch den engen Weg möglicher Reformen schon allein psychologisch zu unterminieren und vor allem eine linke parlamentarische Mehrheit unmöglich zu machen. Die Revolutionäre indes beschuldigen die Reformer, aus Unkenntnis und der mit dieser verbundenen völligen Fehleinschätzung der inneren Dynamik kapitalistischer Gesellschaften, Stichwort „Historischer Materialismus“, wirklich zielführende Reformen zu verhindern, das bewusste, also vorsätzliche Kurieren von Symptomen zu betreiben und damit den Eliten und dem Bürgertum zu dienen. So kommt es dann freilich auch, dass nicht nur der „Realo-Flügel“ der Partei „Die Linke“ als solcher, sondern selbst Sahra Wagenknecht oder Oskar Lafontaine für so manchen Revolutionär als zwielichtige Genossen rezipiert werden.

Seitens meines Vaters wurde in mir von Kindestagen an eine tiefe Bewunderung, Hoffnung und Sehnsucht für und nach dem Kommunismus sowjetischer Prägung und selbstverständlich vor allem die Bewunderung für die kubanische Revolution eingepflanzt. An letzt genannter Bewunderung, heute aktuell natürlich auch vermischt mit zunehmender Sorge, hat sich nichts geändert: Kuba stellt für mich die bisher auf diesem Globus in höchster Form Wirklichkeit gewordene nahezu vollkommene Gesellschaft dar. Freilich, nichts ist perfekt, auch nicht Kuba, aber nicht weit weg davon. Ich hatte das Glück, zwei Jahre dort in meinem Beruf arbeiten zu dürfen. Schon allein deshalb kann ich sowieso nichts anderes als eine Freundin der Revolution zu sein. Und damit selbstverständlich auch – irgendwie – Marxistin. Mit Antonio Gramsci und der großen Rosa Luxemburg verbindet mich jedenfalls eine heftige Liebesbeziehung.

Allerdings habe ich vor allem mit europäischen, vornehmlich mit deutschen Marxismus-Auslegern, vor allem Vertretern des „wissenschaftlichen Marxismus/Sozialismus“ und der materialistischen Philosophie im Gesamten immer wieder meine Probleme. Dies begründet sich in der Regel mit einem von diesen Vertretern geradezu als „Papst-Syndrom“ zu bezeichnendes Selbstbild der Unfehlbarkeit, des Missionsauftrages und dem einer Dauererektion gleichenden ununterbrochenen (Be-)Lehrerattitüde. Der Marxismus (um es mal auf diesen Begriff zu ökonomisieren) kommt hier faktisch einer Religionsgemeinschaft oder Sekte mit all ihren typischen Merkmalen gleich: In der Uniformität in Sprache und Denkmustern, ihrem Elitebewusstsein mit der dazugehörigen Innen-/Außen-Spaltung, also der Abwertung anderer Sichtweisen - und, nicht zu unterschätzen, in ihrer geradezu totalitären Intoleranz. Der Marxismus ist für den, der sich in ihm wohlfühlt, ein nach außen hermetisch abgeschlossenes Weltbild, das natürlich weit über eine bloße politische Vision hinausragt. Dies unterscheidet ihn – noch ohne jede Bewertung – deshalb freilich nicht von jeder anderen Weltanschauung. Das ist jedoch nachvollziehbar, denn selbstverständlich lag und liegt es nahe, aus den in ihrer Dimension unglaublich breit angelegten und tiefgründigen Erkenntnissen in der Marxschen bzw. materialistischen Lehre ein Weltbild abzuleiten, das die soziologische, psychologische und kulturelle Gesamtsituation des Menschen abdeckt. Ob man sich aber mit einem derart universellen Weltbild anfreunden kann und will, ist eine andere Frage. Problematisch ist deshalb natürlich nicht das Marxsche Weltbild per se, freilich nicht, sondern die einbetonierten Missionare desselben. Denn dann stellt sich nämlich schon die bange Frage, wo denn der – natürlich formale – Unterschied zwischen dem Papst besteht, der einem Schwulen verweigert, Gottes Wort zu verkünden und dem Vollmantel-Marxisten, der jede Abweichung vom gesegneten Weg verächtlich als politische Unfähigkeit eines armen, geradezu vorpolitischen, von der großen Wahrheit noch ungeküssten Schluckers diffamiert? Wo ist da der qualitative Unterschied? Beide Ideologien verteidigen hier ihr Weltbild gegenüber dem Eindringling anhand von Dogmen. Der marxistische Materialismus beruft sich ja, vor allem natürlich auch als Abgrenzung zum Idealismus und den Religionen einer, seiner besonderen, nicht widerlegbaren „Objektivität“. Diese Behauptung ist natürlich vor allem für jeden an der Psychologie Interessierten ein ganz besonderes Schmankerl. Doch diese Betrachtungen würden an dieser Stelle jeden Rahmen sprengen. Ein anderes Mal gern.

Da fällt mir auch dies ein: Das Beispiel der Diffamierung der die eingeschlafene Friedensbewegung dankbarer Weise ersetzenden Friedensinitiativen wie die Mahnwachen, Friedenswinter usw. aus der marxistischen Ecke zeigte ja erst kürzlich deutlich, was dieser blinde Dogmatismus anrichten kann. Und er zeigte in Folge mit Rainer Rupp, dass, wie in der „jungen Welt“ geschehen, gern auch mal mit Zensur reagiert wird, wenn Meinungen jenseits der eigenen Konditionierung zur Debatte stehen.

Ich persönlich verweigere mich jedenfalls radikal jedem in sich geschlossenen Weltbild, völlig gleich welcher Genese. Ich halte es, ich bin so frei, für geradezu armselig, angesichts des grandiosen Phänomens des Lebens irgendeiner einseitigen, vom Topos her monokausalen Interpretationskette wie dem Materialismus den Vorzug zu geben und damit zu meinen, die Phänomene des Seins in Verbindung mit den soziokulturellen Erbschaften der Menschheit erklärt und in oder trotz ihrer Vielfältigkeit gebannt zu haben. Und, nicht zu vergessen: Ich respektiere natürlich auch die über fünf Milliarden Menschen auf dieser Welt, die sich einem religiösen Glauben verpflichtet fühlen oder in ihm Heimat finden. Übrigens ganz so, wie es in Kuba, natürlich auch seitens der Regierung der Brauch ist. Ach ja, Kuba: Wer weiß, ob ich in der DDR als eine durchaus auch von C. G. Jung beeinflusste Psychotante eine Anstellung gefunden hätte; in Kuba war das jedenfalls nicht nur kein Problem, sondern ich war sogar dezidiert dazu aufgefordert, meine Arbeitsweise so fortzusetzen, wie ich es gewohnt war. Aber vor allem: Ich habe in Kuba so gut wie keinen einzigen marxistischen Betonkopf kennengelernt. Aber dies ist vielleicht dem karibischen Lebensgefühl geschuldet.

Ja, ich bin hier in Deutschland die leidenschaftliche Anhängerin jeder Art von wirklichen Reformen (im wahren Sinne dieses in die Perversion pejorierten Begriffs)! Dabei ist mir völlig egal, aus welcher Ecke die Reformanstöße kommen und vor allem, ob sie einer inquisitorischen marxistischen Überprüfung standhalten und ob sie dabei gestreng das revolutionäre Ziel der Systemüberwindung im Auge haben. So wie es mir eben auch egal ist, wer für den Frieden auf die Straße geht. Hauptsache, es geht jemand auf die Straße. Ich unterstütze natürlich mit größter Freude jede Initiative, die den Menschen das revolutionäre Einmaleins beizubringen versucht, ihr Klassenbewusstsein stärkt und ihre Sinne schärft im Kampf für die Freiheit. Aber ich unterstütze auch jeden anderen, der sich in einem völlig anderen Duktus und Terminus und mit anderer politischer Herkunft oder auch mit spirituell-religiösem Hintergrund und Impetus diese Gesellschaft reformieren will und ja, zum dritten Mal, für den Frieden aufsteht. (Dies mit einem Gruß an Konstantin Wecker verbunden!) Dagegen geht mir dieses elitäre und überhebliche Gestänker der hier Kritisierten gegenüber jeder anderen Position, gegen die Linke als Partei, gegen Blogupy, gegen die Mahnwachen, gegen die NachDenkSeiten und viele andere linke, aber nicht dezidiert marxistische Netzpublikationen und gegen Hinz und Kunz sowieso, um nur ein paar Beispiele zu nennen, tierisch auf den Wecker! Aber so san’s halt, die Betonmischer aus der dogmatischen Marxismus-Fraktion.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Reyes Carrillo

Argentinische Kinder- und Jugendpsychologin. Lebt in zweiter Inkarnation in Deutschland. Selbsttherapie: Polemiken verfassen

Reyes Carrillo

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