Es gibt heute in Deutschland keine "Ammenmärchen" mehr vom ewigen Frieden und der friedlichen Lösung aller Konflikte. Ich bin mit solchen Vorstellungen aufgewachsen und habe sie auch noch als Lehrerin in der DDR weiterzugeben versucht. Dabei konnte ich nach Einsicht und Anweisung gar keine Pazifistin sein, musste gerechte Kriege und den bewaffneten Frieden unterrichten. Die einstige große Gefahr für das Kapital, "bewaffnete deutsche Kommunisten", die gibt es lange nicht mehr. Als es sie noch gab, konnten oder wollten die auch nicht immer so recht dreinschlagen. "Schafe im Wolfspelz", wie Sebastian Haffner sie in der Beurteilung von 1933 nennt.
Es gibt genug andere Gefahren in diesem einheitlichen, kriegerischen, normalen Deutschland: Bankraub und Bildungsnotstand, Krawalle der weggelaufenen Kinder, die marschierende Rechte, die Sexualverbrecher, die ungut geschürte Angst, dass Menschenliebe und Zukunftsvertrauen gründlich verschwinden und all die unberechenbaren Taten der Ausgestoßenen und psychisch Kranken. Der Schauspieler Josef Bierbichler sagt in seinem Buch Verfluchtes Fleisch, dass heute die unlösbaren Probleme, zum Beispiel die psychisch kranken Mörder so aufwendig in den Medien herumgezerrt werden, weil man an die lösbaren Probleme nicht heranwolle. Staaten, organisierte Banden und viele völlig vereinzelte Einzelne, alle bis an die Zähne bewaffnet. Waffen, das beste Geschäft! Ja, das wissen wir doch, und die Wiederholungen machen nur deutlich, wie wir uns nicht zu helfen wissen. Aber was mache ich im täglichen Umgang mit dem Kinde?
Spielerische Gewöhnung an Waffen? Kriegsspielzeug? Es war in der DDR zuerst verpönt, später wurde es verbreitet und verkauft. MIK-Modelle? Wir hatten 1952 so etwas gar nicht, unser Sohn hatte 1972 sehr wenig, unser Enkel 2002 hat schon mehr. Natürlich lese ich mit ihm die Bibel, erzähle ihm von seinem kommunistischen Urgroßvater und übe mit ihm Klavier.
Er wird aber jetzt elf. In all den Fragen der Spiele mit Waffen, der Darstellung von Gewalt in den Fernsehserien, der Computerspiele, die Kampf und Krieg simulieren, muss ich mich täglich entscheiden. Man sollte dabei nicht vergessen, dass das Kind auch in seiner eigenen, ausgedachten Welt lebt. In der wirklichen Welt kann es sich noch nicht so bestätigen. In die virtuelle Welt tut es hinein, was die Erwachsenen geben, ideell - unsere lieben Worte, materiell - das liebe Spielzeug, das wir ihm kaufen, weil es dringend danach verlangt- zum Beispiel Computerspiele mit Kampfsimulationen. Verbiete ich das, dulde ich es mit Ignoranz, oder setze ich mich dazu, spiele ich mit? Eines kann ich einfach nicht lassen, ich rede dauernd auf meinen Enkel ein, dass Krieg, Schießen und Töten weh tut und nicht von Kindern geübt werden sollte mit dem Klick der Maustaste, als sei es nichts. Ich rede in den Wind?
Letzten Sommer, er war neun, wollte er sich von seinem Taschengeld einen Beutel mit einer amerikanischen Einsatztruppe kaufen. Dutzende gelbocker, kackgrüne, schweinchenrosa Plastepresssoldaten und ihre Ausrüstung. Interessiert habe ich mir im Nachbarregal die Matchbox-Serie mit der Beschriftung KFOR angesehen. Dann ließ ich ihn allein. Er kaufte die Matchbox. Wir liefen von Kühlungsborn nach Heiligendamm. Fünf Kilometer. Es war kühl und windig, der Weg matschig. Wir spielten den aktuellen Militäreinsatz auf dem Balkan nach. Einen General im schicken Wagen, Melder im Jeep, Panzerwagen, Transporter, Hubschrauber, die Flüchtlingslager. Ich konnte ihm spielend meine Zweifel zu Nato und Kfor erklären. Er lernte das Wort Mazedonien, das er in Matschedonien abwandelte. Ist ja lächerlich, so geht es auch nicht, dachte ich schließlich.
Später erbat er von seiner Mutter, dass er von sieben bis acht Uhr abends die Serie Dragon Ball sehen darf, RTL2! Harter, japanisierter Zeichentrick. Ab und zu geht es darum, die Menschheit oder die Erde zu retten, aber das ist nur so kollateral. Die "Schlüsselfiguren" der verschiedenen "Völker", die mit übernatürlichen Fähigkeiten und Energien ausgestattet sind, haben als Handlungsmoment hauptsächlich den Zweikampf. Sympathieträger ist Son Goku der Saya jin "von Geburt an stark und aggressiv, ihre größte Freude besteht darin, andere zu besiegen". Die eindeutig Bösen sind die Changelings.
"Sie beherrrschen die Ostgalaxis, bis Sin Goku das ändert." Alle halten gewaltige Schläge aus, überleben Laserstrahlenbündel und Explosionen. Es blitzt und kracht auf dem Bildschirm, ohne dass die Helden etwa zu Schaden kommen und wenn, dann haben sie noch ein Leben. Menschen gibt es auch, aber die sind "das schwächste Volk". Ich sitze also daneben, lasse mir erklären, was eine asexuelle Reproduktion ist. Er führt mir begeistert die Schrittfolgen einer "Fusion" vor.
Er hat seit zwei Wochen aufgehört, die Sendung täglich zu verfolgen. Manche Mädchen in seiner Klasse finden Dragon Ball doof. Wir beide sprechen noch ein bisschen darüber. Wieso heißt ein sehr großes grünes Wesen Piccolo? Wieso ist ein blasses kleines Mädchen "Satans Tochter" und warum wird sie von einem zu Stein gewordenen, unempfindlichen Ungeheuer in der Arena unerträglich lange zusammengeschlagen?
Zu Weihnachten bekam er das Computerspiel Strong Hold. Es gibt Tage, an denen er mit einem Freund Stunden lang davor sitzt. Das Spiel lehrt die Herrschaft über ein feudales Gesellschaftssystem, die Burg, Arbeiter, Obstplantagen, Getreidefelder, Bäckereien, Brauereien, Kirchen, Bogenschützen, Banditenangriffe, Belagerungen, offene Feldschlachten. Beim Einkaufen fragt er mich, ob ich lieber Bogenschützen oder Armbrustschützen und Pechpfannen einsetzen würde. Angreifen, Verteidigen, Einreißen, Aufbauen, Taufen und Töten ohne Unterlass. Der Spieler muss höllisch aufpassen, das "soziale Gleichgewicht" zu halten.
Wochenlang drängte er mich. Ich musste mich dazu setzen, eine Lehrstunde nehmen. Heute hat er mir gestanden, dass es auch eine Folterkammer gibt und dass er sie wenigstens einrichten muss, weil sonst die Bevölkerung faul wird. Dem Beliebtheitsgrad des Burgherren schadet das wie auch die zu hohen Steuern, die Bevölkerung flieht dann, aber was soll er machen? Die Worte auf den CDs sind knapp und hart, ungefähr so: "kurzer Prozess, so gut wie tot!"
Im Kaufhaus kaufe ich eine Personenwaage, 9.90 Euro. Auf der gleichen Etage stehen die neuen Konsolen von Game Cube, 199.- Euro. Er stellt sich hin und spielt, Star Wars, ein Flugzeug schießt Raketen ab, Türme über einer Art Stadt. Es zerstört sie oder prallt dagegen . Ich sage: "So lernt man vergessen, dass Menschen in Gebäuden sind." Er hört unwillig auf und sagt: "Du kannst einem zehnjährigen Kind alle Freude verderben." Wir gehen, am Ende der Rolltreppe greift er nach meiner Hand.
Heute war ich noch einmal im Kaufhaus. An einer Konsole spielen zwei Jungen Schnellboot. Schönes, glasklares, virtuelles Wasser. An allen anderen Konsolen schießen kleine Jungen Türme zusammen, einer ruft: "Stirb einen grausamen Tod!" Ein großer Dünner war gestern auch schon da. Der ist viel älter, blond, blass, mit Brille, er starrt stumm und ungerührt auf den Schirm. Ich beginne mir Sorgen um ihn zu machen. Ein Kleinerer schreit begeistert: "Bums hats gemacht!" Hinter den Kleinen treten die Eltern: "Deshalb sind wir nicht hier, komm!" sagt die Mutter. Der Vater bleibt stehen, er sieht lächelnd und interessiert zu, das Gesicht der Mutter verschließt sich.
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