Bruchstellen

BALKANKRIEG Samuel Huntington und die Barbarei

Falls es nach dem Ende des Balkankrieges zu einer Anthologie von »Texten für den Krieg« kommen sollte, in diesen Tagen keine Mangelware, werden die Berufungen und Hinweise auf die Thesen Samuel Huntingtons nicht fehlen dürfen. Er sorgte nämlich für Aufregung und Verwirrung mit seiner These, wonach die Konflikte der Zukunft nicht mehr ideologischen, sondern insbesondere zivilisatorischen Ursprungs seien. Im 21. Jahrhundert würde es zum Krieg der Kulturkreise kommen, statt wie im 20. zu einem der Ideologien. An den natürlichen Bruchstellen der acht großen, religiös-geprägten Kulturen der Welt entwickeln sich die Konflikte der Zukunft. Der westliche Kulturkreis solle sich deswegen in acht nehmen, um die seit langem errungenen Werte der westlichen Zivilisation gewährleisten zu können.

Die Besonderheit, gar die Sonderstellung dieses Westens zu erkennen scheint dabei für Huntington gar nicht anders möglich, als dadurch, daß man ihn mit einem Gegentypus kontrastiert. Dabei wird ständig über die Abgrenzung zum Anderen das Eigene definiert. So meint Huntington: »Menschen benutzen Politik nicht nur dazu, ihre Interessen zu definieren. Wir wissen wer wir sind, wenn wir wissen, wer wir nicht sind und gegen wen wir sind.« Beim Balkankrieg scheint Huntington Recht bekommen zu haben. Die Republik Jugoslawien, die noch unter Tito und bis 1991 friedlich zusammenleben konnte, hat sich plötzlich in ein Sammelsurium gegeneinander prallender Ethnien verwandelt. Bei den Serben und den Kosovo-Albanern läßt sich auf ein linguistisches sowie auf ein religiöses Element hinweisen, noch dazu wollen viele eine kontinuerliche Ethnizität und genetische Kohärenz wahrnehmen, die sie vorbestimmen, folgt man Huntingtons Thesen von der Unmöglichkeit des Zusammenlebens. Wo er recht hat, hat er recht, oder?

Erich Rathfelder, Journalist und enthusiastischer Kriegsbefürworter, meinte zum NATO-Kreuzzug in der taz, daß »jetzt endgültig die Grundwerte der Zivilisation auf dem Spiel (stehen)«. Was für eine Zivilisation er meint, sagt er nicht. So selbstverständlich ist die westliche geworden. Wer eine derartige Trennung zwischen dieser Zivilisation und »dem Anderen« vornimmt, der hat Samuel Huntington richtig verstanden und setzt eine Grenze zwischen Mitteleuropa und dem Orient. Der Balkan gehört damit zu einem anderen Typus von Zivilisation und würde einen zivilisatorischen Ursprung besitzen, den Deutschland schon lange hinter sich hätte. Die Barbarei wird dem Anderen zugeschrieben. Und der Balkan bleibt folglich-wie der slowenische Philosoph Slavoj Zizek behauptet-»das politisch Unbewußte Europas.« Da hätten wir als Merkmale eine gewisse Grausamkeit, religiöse und kulturelle Intoleranz und primitive Nationalmythen zu nennen. Nicht von ungefähr spricht man noch heute von der »Balkanisierung der Politik«, wenn es hoffnungslos zugeht. »Wir« als westliche Wertegemeinschaft wären dagegen durch vernünftige Konfliktlösung, eine »freiheitlich-demokratische Grundordnung« und kulturelle Toleranz gekennzeichnet. Daß diese Freund-Feind-Bestimmung nach Carl Schmitt im Kern kulturrassistisch ist, sollte leicht einleuchten.

Die Kriegsrezeption in den arabischen Ländern zeigt nicht zuletzt, daß mit den Thesen Huntingtons doch zu kurz gegriffen ist. Dort wundert man sich nämlich, wie es möglich ist, daß eine christliche Allianz einen christlichen Staat angreift, um »Muslime zu retten.« Die Idee des Islam als Gegner soll also ausgedient haben? Eine nähere Betrachtung der Thesen Huntingtons ergibt, daß es sich um eine Beschreibung historischer Prozesse handelt - und nicht um ihre Analyse. Die Verantwortung für den zukünftigen Krieg wird von dem historischen Willen des Menschen abgekoppelt und an einer kulturellen Vorbestimmheit festgemacht. Wenn wir nämlich annehmen, Konflikte wären unbedingt von einem kulturellen Ursprung ableitbar, dann gibt es und darf es auch keine Lösung für diese geben. Damit betreibt Huntington Geschichtsbetrachtung vom Standpunkt des Siegers. Jetzt ist es klar geworden, daß sich Kultur, wenn sie als etwas Stetiges, Unausweichliches betrachtet wird, gerade wieder in Ideologie zurückverwandelt.

Dem wäre zu entgegnen: die Konstruktion einer westlichen Kultur, die als etwas Unveränderbares gelten soll, was der Mannigfaltigkeit der geistesgeschichtlichen Entwicklung Hohn spricht. Sie beruht auf einem falschen Bild sowohl der westlichen Gesellschaften als auch der Gesellschaften, die man in Betracht genommen hat. Zu schnell haben wir vergessen, daß die Wiege der westlichen Kultur, nämlich die griechische, nur mit der Hybridisierung von anderen möglich geworden ist.

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