Der Style steckt an

Interview Kobito ist in Berlin groß geworden, zum Rap kam er auf dem Schulhof. Heute textet er gegen Sexismus und Nationalismus – und ist damit nicht allein
Ausgabe 37/2016

Dieses Lied ist 2015 erschienen, im Oktober, und hat bis heute nicht an Aktualität verloren. „Und sie zünden Häuser an, weil sie brave Bürger sind“ lautet eine Strophe von The Walking Deutsch, das der Berliner Rapper Kobito damals zusammen mit dem Musiker Spezial-K veröffentlicht hat. Ende August zogen dicke Rauchschwaden aus einer Asylunterkunft in Weil am Rhein, Ermittler gehen von einem rassistischen Anschlag aus. Gleiches gilt für zwei Brände in Heimen in Berlin-Buch und Berlin-Adlershof kurz zuvor. In dem Lied vergleicht Kobito hasserfüllte, rechte Demonstranten mit den Zombies aus der Comic- und Fernsehserie The Walking Dead.

Beim Treffen in einem Café in Berlin-Neukölln trägt Kobito einen schlichten Hoodie, Jeans, Sneakers. Im Gespräch ist das Duzen völlig selbstverständlich. Er wohnt hier ganz in der Nähe, ist etwas weiter nordwestlich, in Schöneberg, groß und vor kurzem 30 Jahre alt geworden. An diesem Freitag erscheint sein neues Album Für einen Moment perfekt beim Hamburger Label Audiolith, dessen Künstler wie Egotronic, Frittenbude oder Feine Sahne Fischfilet eines eint: die dezidiert politische Ausrichtung ihrer Musik.

der Freitag: Kobito, du hast vor mehr als zehn Jahren dein erstes Album veröffentlicht. Wie kamst du überhaupt auf Rap?

Kobito: Das ist eine ganz typische Geschichte: Auf dem Schulhof waren die coolen Kids Rapper, Beatboxer oder Graffitisprayer. Das hat mich schon immer angezogen, die Musik hat mich früh bewegt und vom ersten Ton an in ihren Bann gezogen. Rotzig, rebellierend, gewaltig. So habe ich dann zuerst den Style übernommen und wurde später auf dem Schulhof voneiner Freundin angesprochen, ob ich nicht auch mal zu einer Freestyle-Session mitkommen wollte.

Du bist natürlich hingegangen.

Ja. Und dort wurde ich von einem Typen namens Dave Devilist vor die Wahl gestellt: Entweder du rappst selber was – oder du haust ab und kommst nie wieder. Also hab ich es gemacht. Schlecht war das, aber danach hat mich dieses Gefühl nie wieder losgelassen. Von dem Moment an wollte ich rappen und Leuten beweisen, dass ich was kann und was zu erzählen habe.

„Kobito Ergo Sum“ hieß dein erstes Album, damals warst du gerade 18. Was ist heute anders?

Ich schreibe viel bewusster, weil ich weiß, dass ich das nicht nur für mich und meine Freundinnen und Freunde mache, sondern dass ich jetzt auch ein Publikum habe. Aus dieser Verantwortung erwächstdie Frage: Was will ich eigentlich kommunizieren? Nicht jeder Song, den ich schreibe, kommt raus. Ich glaube, ich bin ruhiger und verantwortungsvoller geworden, falle aber auch immer wieder zurück in das Alte. Ich habe immer noch viel Platz für Humorvolles und auch für Zynisches. Man ist immer so alt, wie man sich fühlt. Ich fühle mich noch nicht wie 30.

Angriff der Zeckenrapper

Gesellschaftskritik war immer Teil der Hip-Hop-Kultur. Als aber vor zirka zehn Jahren Rapper mit explizit linken bis linksradikalen Inhalten die Bühne betraten, war das durchaus neu. Ging es bis dahin noch viel ums „Frauenabschleppen“ und um Kriminalität, texteten Zeckenrapper nun verstärkt gegen Sexismus und Nationalismus.

Zu den ersten Musikern, die man als Zeckenrapper bezeichnen kann, gehören Microphone Mafia oder Schlagzeiln, Letztgenannte unter Beteiligung des Ber-liners Kobito. Inzwischen haben etliche Vertreter des Genres ihren Durchbruch gefeiert: Kraftklub, Antilopen Gang oder Neonschwarz sind nicht mehr nur in Sub-kulturen ein Begriff. Die Antilopen Gang setzte sich in Beate Zschäpe hört U2 mit Nationalismus, Rechtsradikalismus und Verschwörungstheoretikern auseinander, Neonschwarz in Stücken wie 2014 und 2015 mit den Geschehnissen rund umdie Flucht vieler Menschen nach Deutschland und den häufig hasserfüllten Reaktionen alteingesessener Bewohner.

Zeckenrap spricht wichtige Themen an, die im deutschen Rap bisher unterrepräsentiert waren. Eine Künstlerin wie Sookee hat dort queere und feministische Themen lauter hörbar gemacht. Die Szene wächst und vernetzt sich. Ende 2012 gründete sich zum Beispiel das Netzwerk TickTickBoom, das sogenannte Zeckenrap-Galas veranstaltet, mit Workshops zu Rap-Themen und verschiedenen Konzerten im Programm. Auch politisch ist das Netzwerk aktiv. Vergangenes Jahr erschien die TickTickBoom-Broschüre Deutschrap den Deutschen?, die deutschen Nationalismus im Hip-Hop thematisiert.

Du hast Geschichte und Kommunikationswissenschaften studiert. Da könnte man auch daran denken, mit dem Rap jetzt aufzuhören.

Nein, das ist eine Art innerer Drang. Wie gesagt, die meisten der Texte, die ich schreibe, erscheinen nicht. Bei denen denke ich mir dann oft, dass ich sie vermutlich nur für mich geschrieben habe. Und wenn ich etwa auf Reisen bin, dann schreibe ich total viel. Das brauche ich einfach.

Und es muss um Politik gehen.

Nein, früher habe ich noch über ganz andere Sachen gerappt. Aber dann habe ich angefangen, mit Refpolk zusammenzuarbeiten. Der steht nicht nur auf der Bühne und rappt, sondern hält auch Vorträge zu Sexismus und Männlichkeit im Rap. Er hat mir die Demokultur nähergebracht, ich war total fasziniert. Und in meiner Familie war Politik immer ein Thema. Rassismus, Sexismus und Diskriminierung waren nie okay, das war immer klar. Aber ich schreibe ja nicht nur politische Texte. Ich hättemal wieder Bock auf ein weniger ernstes und mehr witzige Album.

Refpolk, du und eure Crew Schlagzeiln habt das Lied „Deutschland ist ein Athlet“ gemacht, darin geht es gegen Nationalismus. Was hast du eigentlich gegen Deutschland?

Ich glaube einfach überhaupt nicht an diesen „gesunden Nationalismus“ und auch nicht, dass man darauf stolz sein müsste, Deutscher zu sein. Ich bin stolz darauf, was ich selber geschafft habe. Und ich habe es nicht selber geschafft, in meinem Pass Deutscher zu sein. Hätte auch Aserbaidschan oder Frankreich sein können. Jeglicher Nationalismus ist komplett überflüssig. Er führt immer zuAbgrenzung und zu Identifikation mit Leuten, die ich gar nicht kenne. Wenn ich jetzt sagen würde: „Ich bin stolz, Deutscher zu sein“, dann bedeutet das gleichzeitig, dass ich mich mit allen Deutschen gemein mache. Ich kann ja noch nicht einmal für zehn Leute, die um michherum in der U-Bahn stehen, bürgen, dafür, dass die alle cool sind und eine Einstellung haben, die ich auch vertrete. Warum sollte ich das dann nur mit den 82 Millionen Menschen machen, die in Deutschland leben?

Bei den großen Fußballturnieren tragen heute doch selbst Leute mit Migrationshintergrund die Deutschlandtrikots.

Dafür müssen diese Leute bereit sein, ihre eigene nationale Identitätabzulegen. Wir wissen, dass Nationalismus keine Leute mag, die sich integrieren wollen, aber gleichzeitig keine eigene Identität aufgeben wollen. Was gab es für Diskussionenüber die doppelte Staatsbürgerschaft? Da sieht man die Kraft der Ausgrenzung. Klar kann es sein, dass jemand nach Deutschland kommt und zum deutschen Patrioten wird, weil er sagt, dass das hier ein tolles Land ist. Aber ich glaube, da müsste man umdenken und sagen: Lasst uns zusammen stolz darauf sein, dass wir es schaffen, einander einfach aufzunehmen und zusammen zu leben. Das hat aber nichts mit Deutschland zu tun, sondern mit Zwischenmenschlichkeit.

Menschen wollen sich immer in Gruppen zusammenschließen, ob selbstgewählte wie der Freundeskreis oder die Nation. Wo ist der Unterschied?

Ein Freundeskreis ist viel übersichtlicher und direkter. Er basiert auf ausgehandelten und nicht, wie bei einer Nation, auf imaginären Werten. Es gibt genug Leute, die sich als deutsche Patrioten sehen, aber offiziell kommunizierte Werte wie Religionsfreiheit und Freiheit der sexuellen Orientierungnicht vertreten, das hat man zuletzt in der Mitte-Studie gesehen. Die teilen doch gar nicht die offiziellen Werte. In einem Freundeskreis kann man bei so etwas Konsequenzen ziehen. Aber, klar, auch der Freundeskreis kann zu einer diskriminierenden Institutionwerden und sagen: Wir sind die Coolen, alle anderen sind scheiße. Wenn du nicht zu uns gehörst, hauen wir dir aufs Maul. Kollektive sind anfällig für Missbrauch und Abgrenzung. Aber ein cooles Kollektiv macht das anders.

In „The Walking Deutsch“ gibt es die Zeile: „Sehe den ersten kommen und ziele auf den Kopf.“ Ein Aufruf zur Gewalt gegenüber rechten Demonstranten?

Muss ich erst einmal mit Nein beantworten. Es kommt auf die Graustufen an. The Walking Deutsch ist ein metaphorisch gemeintes Lied. In der Überleitung heißt es auch: „bereue alle Zeit, die ich verpennt hab“. Damit ist gemeint, dass der Zeitpunkt vorbei ist, es anders zu bekämpfen. Das Lied ist keine Aufforderung, rauszugehen und Demonstranten auf den Kopf zu zielen. Es gibt in dem Lied auch diese Zombie-Ästhetik, The WalkingDeutsch haben sich angesteckt. Ich will mit dem Lied ausdrücken, dass es dem Moment vorzubeugen gilt, in dem es so weit auseinandergedriftet ist, dass es zu einer gewalttätigen Konfrontation kommt. Aber wenn Leute Asylbewerberheime angreifen, finde ich es richtig, wenn es eine entschlossene und – wenn nötig – auch gewalttätige Reaktion gibt. Wenn Faschos in der Bahn einen Geflüchteten angreifen,würde ich mir wünschen, dass jemand einschreitet und den Angegriffenen beschützt.

Du hat in einem Interview über den Kapitalismus mal gesagt, er würde nun mal funktionieren. Ist der Kapitalismus alternativlos?

Ich glaube, es ist falsch, auf die Revolution oder etwas Ähnliches zu warten. Der Kapitalismus geht nicht so schnell kaputt, er passt sich vielmehr immer weiter an. Das heißt aber nicht, dass ich ihn nicht kritisiere. Was mich stört, ist die Verwertung von allem. Neulich habe ich eine Website entdeckt, auf der Zimmerpflanzen vermietet werden, weil sie im Büro Angestellte produktiver machen würden. Das hat mich erstaunt. Ich halte Blumen für etwas Schönes und verstehe nicht, warum man bei solchen Dingen immer Hintergedanken haben sollte.

Im Lied „Stadt der Freiheit“ heißt es: „Die Freiheit, die sie uns nicht geben will.“ Was für Freiheit gibt die Stadt denn nicht?

In diesem Song habe ich beim Schreiben die Ich-/Wir-Perspektive gewählt und habe beschrieben, wie Ausgrenzung auf das Leben von Menschen wirkt, die an den Rand gedrängt werden. Weil sie kein Geld haben, weil sie dadurch keinen Wert im großen Zirkus einer Stadt haben, weil sie einfach keinen Platz in diesem Spiel haben. Denn alles kostet ja Geld, wir sollen uns vergnügen, wir sollen das Leben genießen – aber wir sollen dabei eben auch konsumieren. Jede Form von Vergnügen wird kommerzialisiert. In der ersten Strophe spreche ich von Geflüchteten, die alles hinter sich gelassen haben und nun in den dunklen Ecken der Stadt leben müssen, weil sie eben nicht genug Macht haben. In der zweiten Strophe spreche ich von Obdachlosen, die das Spiel der Freiheit nicht versauen sollen – sie sollen unsichtbar sein und den Feierwütigen und nach Freiheit Durstigen nicht den Spaß verderben. Das sind Metaphern – und gleichzeitig reale Praktiken in unserer Welt.

Was ist Freiheit denn für dich persönlich?

Auf Reisen gehen und fremde Länder besuchen zu können, dadurch meinen Horizont zu erweitern und mein Leben hier zu reflektieren.

Wohin bist du gereist?

Nach Südamerika, vor allem nach Argentinien, wo ich zwei Monate in einem Radiosender gearbeitet habe. Vergangenen Mai war ich in Bolivien. Das ist für mich Frei-heit. Aber zugleich ist das ein riesiger Begriff und dadurch schwer beschreibbar. Freiheit bedeutet natürlich auch finanzielle Unabhängigkeit. Ich möchte nicht hungern müssen, nicht den letzten Scheißjob machen müssen, um meine Miete zahlen zu können, ich möchte mir aussuchen können, woran ich glauben will und woran nicht. Deswegen kann ich sagen, dass ich sehr frei bin, sehr privilegiert, sehr glücklich in meinem Leben. Wirklich, das kann ich so sagen: Ich bin glücklich. Ich habe Glück gehabt.

Der digitale Freitag

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Geschrieben von

Richard Diesing

17 Jahre, Schüler, freier Journalist, unter anderem für Ze.tt, Vice und die Rheinische Post

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