Die Weltrevolution bleibt aus. Vorerst. Schuld daran sind die Wähler. Das Linksbündnis Syriza legt bei der Wahl zu, springt immerhin von 17 auf 27 Prozent der Stimmen, wird aber nur zweitstärkste Kraft hinter der Nea Dimokratia (ND) mit Parteichef Antonis Samaras. Die Konservativen kommen dank des 50-Mandate-Bonus für den Wahlsieger auf 129 von 300 Parlamentssitzen. Prompt geht ein Seufzer der Erleichterung durch Europa. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso: »Wir respektieren ganz und gar diese demokratische Wahl.« Und man fragt sich unwillkürlich, ob er wohl das gleiche gesagt hätte, wenn Syriza der Wahlsieger gewesen wäre.
Nun also kehren die Verursacher der Misere zurück an die Macht, einschließlich der sozialdemokra
ßlich der sozialdemokratischen Pasok unter Evangelos Venizelos. Die bleibt allerdings mit 33 Mandaten Lichtjahre von der »Wiedergeburt« entfernt, von der ihr Chef beharrlich träumt. Es werden erneut Politiker regieren, die über Jahrzehnte hinweg aufgebaut und zementiert haben, was sie jetzt auf Geheiß aus Brüssel abschaffen sollen.Waren die Wahlen vom 6. Mai vorrangig »Wahlen der Wut« gegen die gescheiterten Volksparteien Nea Dimokratia und Pasok, schien das neuerlich Votum von Angst überschattet. Die Nea Dimokratia hat daran ihren Anteil. In einem ND-Werbespot fragt beispielsweise eine Schülerin den Lehrer, warum Griechenland nicht den Euro habe.Auch sonst setzte Samaras auf Verunsicherung und präsentierte einen Zwölf-Punkte-Katalog für innere Sicherheit: Polizeipatrouillen überall, bessere bewachte Grenzen, härtere Gesetze. Doch das alles entscheidende Thema war der Euro. Die Mehrheit will ihn unter keinen Umständen verlieren, das beweist das Wahlergebnis. Es zeigt auch, dass der Wunsch nach Stabilität größer ist als der Glaube an »die Befreiung des Volkes«, wie sie Alexis Tsipras beschworen hat. Vielen erschien der von Syriza proklamierte Weg offenbar zu riskant. Er hätte schließlich zum Verzicht auf den Euro führen können. Da plötzlich auch alle anderen Parteien die EU-Auflagen neu verhandeln wollten, machte Syriza immer wieder klar, worin man sich unterscheide – im Willen, das Memorandum aufzukündigen. Das heißt, bei einem Sieg wäre ein Zusammenstoß mit der Troika aus Europäischer Zentralbank, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds kaum ausgeblieben. Alles andere hätte Tsipras und seine Partei bei den Wählern diskreditiert.Vor laufender KameraObgleich Syriza nicht stärkste Partei wurde, ist eines unbestreitbar: Sie hat sich als neue, dominierende Kraft etabliert. Mit ihr ist künftig zu rechnen. Sie kann Massen mobilisieren, Generalstreiks ausrufen und jede Regierung unter Druck setzen. Sollte sie von ihrer strikten Kompromisslosigkeit lassen und mehr Realitätssinn zeigen – was innerhalb dieses Linksbündnisses, das mehr Biotop als Partei ist, als unwahrscheinlich gilt – könnte sie das Land wie das Parteiengefüge erheblich verändern.Ebenso etabliert hat sich die faschistische Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte), und das trotz des Vorfalls während eines TV-Streitgesprächs, als Chrysi-Avgi-Sprecher Ilias Kasidiaris vor laufender Kamera auf einen Talkgast der KP einschlug. Was bei vielen Entsetzen hervorrief, sorgte bei den Anhängern der Partei für Applaus. Manche Griechen haben die Faschisten gewählt, weil sie darauf hoffen, dass deren Abgeordnete die Parlamentarier von Nea Dimokratia und Pasok verprügeln. Auch so konnte am 17. Juni das Votum für eine Partei begründet sein.Großer Verlierer sind die Kommunisten. Sie büßten die Hälfte ihrer Mandate ein, weil sie sich mit ihren Mantra-artigen Nein zu allem und jedem wie eine Sekte aufführten und ins Abseits manövrierten. Auch ANEL, die Partei der Unabhängigen Griechen, errang deutlich weniger Stimmen als im Mai. Wie sehr Pathos und Irrationalität derzeit in Griechenland als Politikersatz fungieren, lässt sich an ANEL-Chef Panos Kammenos ersehen. Der verwies im Wahlkampf des öfteren auf Kolokotronis, den Freiheitskämpfer der Revolution von 1821. Nur Gott habe die Freiheit Griechenlands unterschrieben – ergo sei die Unterschrift unter das Memorandum nichts wert.Als Wendehälse bekanntDoch das sind Facetten – was diese Wiederholungswahl zu einer Parodie macht ist die Rückkehr der alten Parteien, die in der EU plötzlich als Gralshüter der Verlässlichkeit gelten. Alles stockt auf der Reformbaustelle Griechenland – die Privatisierung von Staatsfirmen, der Aufbau eines Katasters, die Öffnung „geschlossener Berufe“, die Novellierung des Steuerrechts. 32 Gesetze zur Deregulierung wurden erlassen, aber es gibt keine Deregulierung. Für welche Erneuerung bürgen Antonis Samaras und Evangelos Venizelos? Der ND-Führer, Spross einer reichen Familie und Havard-Absolvent, war bereits Finanz-, Außen- und Kulturminister. Venizelos diente schon Andreas Papandreou, dem Gründer von Pasok und Chefarchitekten des Klientelsystems. Beider Parteien haben es – im Bunde mit dem Gros der Bevölkerung – seit Jahrzehnten versäumt, aus dem vormodernen, im Kern noch osmanisch-feudalen Staat ein modernes Gemeinwesen zu machen, trotz aller Hilfsgelder und einer jahrelang boomenden Wirtschaft.Neu bei Samaras ist allenfalls die Forderung nach entschärften Sparauflagen. Nur da ist der Spielraum winzig. Er will Steuern senken und die Arbeitslosenhilfe um ein Jahr verlängern, was bei der Troika auf wenig Gegenliebe stößt. So gesehen dürfte der Sieg der Euro-Befürworter eher ein kurzlebiger sein. Ohnehin sollte man das Wahlergebnis nicht missverstehen – es ist kein Bekenntnis zum Sparkurs, sondern Ausdruck der Angst vor dem Absturz. Das Land ist so tief gespalten wie vor 200 Jahren, als sich Königstreue und Republikaner gegenüberstanden. Sicher ist immerhin eines: Samaras und Venizelos, die Vertragspartner der Troika, sind Kenner des Memorandum, schließlich haben sie es unterzeichnet. Und die Troika kennt diese Vertragspartner – als Wendehälse, wie man weiß. Das Drama steht vor seinem nächsten Akt.